Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 4

Zwischen UNO und Generalstreik

Internationale Proteste gegen den NATO-Krieg

Vor allem in den NATO-Staaten regt sich zunehmend Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Intervention der NATO in Jugoslawien und deren Billigung durch die Regierungen. In Brüssel, der Hauptstadt der EU, sind vorsorglich alle Demonstrationen gegen den NATO-Angriffskrieg verboten worden.
  In Paris folgten Tausende einem Protestaufruf der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), der Gewerkschaften und der Friedensbewegung. Die GegnerInnen der NATO-Angriffe in Frankreich teilen sich in zwei Lager, Linke und Neofaschisten, mit jeweils sehr unterschiedlichen Beweggründen. Die PCF und die trotzkistischen Gruppierungen LO (Lutte Ouvrière) und LCR stellen das Gros der Anti-Kriegs-DemonstrantInnen. Die PCF fordert eine Friedenskonferenz, um den Krieg unverzüglich zu stoppen. Außerdem schlägt sie die Entsendung einer Entflechtungstruppe auf der Basis eines gegenseitigen Abkommens mit Belgrad vor. Die Friedenstruppe soll unter UNO-Führung stehen und Rußland miteinbezogen werden. 25 linke Intellektuelle veröffentlichten eine Petition in Le Monde, die eine scharfe Abgrenzung von der NATO sowie von der Regierung Milo?sevi´cs beinhaltet.
  Der größte Widerstand gegen den NATO-Terror erhob sich bislang in Italien und Griechenland.
  Innerhalb von acht Tagen haben in Italien drei Massenkundgebungen gegen den Krieg stattgefunden. Am 3.4. wurde eine Demonstration von der Friedensbewegung, der Sektion des "populären Katholizismus" und KommunistInnen aller Richtungen organisiert, zu der sich etwa 100.000 Menschen in Rom einfanden. Eine große kurdische Abordnung wandte sich "gegen jegliche ethnische Säuberung". Am 7.4. folgten 6000 einem Aufruf der drei Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL nach Bari. Am Tag darauf veranstalteten die Wochenzeitung Il Manifesto und die PRC (Partito della Rifondazione Comunista) eine Kundgebung in Rom, zu der 50.000 Menschen kamen.
  Zugleich fanden Demonstrationen in weiteren italienischen Städten statt. In Varese haben DemonstrantInnen den Sitz der größten italienischen Gewerkschaft CGIL "für einen Generalstreik gegen den Krieg" besetzt. Der größte Protestzug formierte sich in Mailand. Die Proteste gehen vor allem an den Luftwaffenstützpunkten weiter. Auch Vorlesungen und Seminare an Universitäten werden boykottiert.
  Um so opportunistischer verhalten sich die Regierungsparteien, einschließlich der "Partei der italienischen Kommunisten" (PdCI). Nur die PRC forderte die Regierung dazu auf, die Nutzung der USA- und NATO-Basen zu verweigern.
  In Griechenland sind 97 % der Bevölkerung gegen den Krieg. Die Ablehnung der NATO-Bombardements besteht über alle parteipolitischen und weltanschaulichen Differenzen hinweg. Es fanden bereits große Demonstrationen in Athen und Thessaloniki statt. Mitte April weigerte sich ein Teil der Besatzung des griechischen Zerstörers Themistoklis am NATO-Einsatz auf Jugoslawien teilzunehmen. In Thessaloniki streikten die Eisenbahner zwei Tage lang, da sie im Hafen gelagertes Kriegsmaterial, darunter deutsche Leopard- Panzer, nach Mazedonien befördern sollten.
  Auch in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien mehren sich die Stimmen gegen die massive NATO-Präsenz im eigenen Lande. Unterschriftensammlungen und Petitionen werden allmählich von lautstarken Protesten gegen die imperialistischen und mörderischen Bombardements abgelöst.
  Nicht überall ergab sich eine so schnelle und starke Mobilisation der KriegsgegnerInnen. In Großbritannien fanden bisher nur kleine Demonstrationen in den Hauptstädten statt.
  In Spanien ist die Mobilisation der KriegsgegnerInnen allem Anschein nach im Zunehmen begriffen. Mehrere hundert Protestierende gaben vor der USA-Botschaft Washington die Schuld an dem Militäreinsatz. Ehemalige Interbrigadisten empörten sich über Außenminister Fischers Vergleich des NATO-Einsatzes mit dem Kampf für die spanische Republik.
  Im NATO-Staat Portugal lehnt ein maßgeblicher Teil der Öffentlichkeit die Bombardierung Jugoslawiens ab. Im auflagenstärksten bürgerlichen Blatt Diario de Noticias äußerte sich das ehemalige Mitglied der Demokratischen Bewegung zur Befreiung Portugals (MDLP), Ramiro Moreira: "Die NATO erfüllt nicht mehr, wofür sie gegründet war ... Die NATO und Europa begehen eine ernsten Fehler, indem sie nicht die Absichten der USA durchschauen."
  Unter den neuen NATO-Mitgliedstaaten in Osteuropa, Ungarn, Polen und Tschechien, ist die Antikriegsstimmung in Tschechien am größten. Trotz der massiven Propaganda der Massenmedien verurteilt eine knappe Mehrheit der Bevölkerung die NATO- Angriffe. Es finden große Demonstrationen gegen den Krieg und für die Verteidigung des Völkerrechts statt. Tschechien pflegte bislang gute Beziehungen zu Jugoslawien. Die sozialdemokratiche Regierung Zeman hat in den ersten Stellungnahmen jede Verantwortung für die NATO-Luftangriffe abgelehnt. Premier Zeman äußerte, man wolle auch als NATO-Mitglied nicht "zu Primitivlingen werden, die meinen, Bomben würden alles lösen". Die Mehrheit der Delegierten auf dem Parteitag der Sozialdemokraten (CSSD) unterzeichnete einen Brief an den jugoslawischen Botschafter, in dem die NATO-Angriffe als Aggression verurteilt werden. Aber nach dem Besuch Rudolf Scharpings bei Zeman verkündete der tschechische Außenminister Jan Kavan auf der Tagung des NATO-Rats, daß sein Land voll hinter der NATO stehe.
  Die Proteste gegen den NATO-Krieg beschränken sich nicht auf Europa. So haben die blockfreien Staaten, zu deren Gründungsmitgliedern Jugoslawien gehört, ihr Neutralitätsprinzip im Kosovo-Konflikt aufgegeben. Bereits zwei Tage nach Kriegsbeginn versuchten Belorußland und Indien zusammen mit Rußland im 15köpfigen UN-Sicherheitsrat vergebens eine Verurteilung der NATO-Angriffe zu bewirken.
  Auch Kuba übt scharfe Kritik am Verstoß gegen das Völkerrecht. Der kubanische Vertreter bei der Menschrechtskonferenz in Genf, Juan Antonio Fernández, fordert für die Völker Jugoslawiens "einen gerechten Frieden, keinen unwürdigen, der ihnen durch ausländische Interventionen aufgezwungen werden soll".
  Sogar in den USA sind Proteste laut geworden. Am 17.4. sind mehr als 2000 Menschen gegen den Krieg im Zentrum von Manhattan auf die Straße gegangen, ebenso in San Francisco und anderen Städten. Der Journalist Mumia Abu-Jamal rief aus der Todeszelle zum Widerstand gegen diese Machtdemonstration der USA auf, die mit Hilfe der NATO eine neue Weltordnung herbeibombe.

Monika Piendl


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