Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 4

Belgrader Appell jugoslawischer NGOs

Tief geschockt von der Zerstörung unseres Landes durch die NATO-Schläge und der Flucht der Kosovo-Albaner fordern wir, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und des Gewerkschaftsverbands Nezavisnost, entschieden von denen, die diese Tragödie verursacht haben, unverzüglich alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um Bedingungen für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu schaffen.
  Seit zwei Wochen töten die wirtschaftlich, politisch und militärisch mächtigsten Staaten der Welt Menschen, sie zerstören militärische und zivile Einrichtungen, Brücken, Eisenbahnlinien, Fabriken, Kraftwerke, Lager und Treibstofftanks. Dies hat einen Exodus ungekannten Ausmaßes hervorgerufen. Hunderttausende Jugoslawen, vor allem ethnische Albaner, sind gezwungen, ihre verwüsteten Häuser zu verlassen, um den Bombardements sowie den militärischen Aktionen des Regimes und der UÇK zu entgehen - in der Hoffnung, dass sie einen Ausweg aus ihrer tragischen Lage als Flüchtlinge finden. Es ist offensichtlich, dass all dies zu einer Katastrophe führt und dass ein friedliche und Verhandlungslösung für das Kosovoproblem, auf die wir seit Jahren gedrängt haben, weiter entfernt ist als je zuvor.
  Unsere Anstrengungen, die Demokratie und eine zivile Gesellschaft in Jugoslawien zu entwickeln und seine Mitgliedschaft in allen internationalen Institutionen wiederherzustellen, fanden unter dem ständigen Druck seitens des serbischen Regimes statt. Wir, die Vertreter ziviler Gruppen und Organisationen, haben mutig und kontinuierlich gegen jede Kriegstreiberei und jede nationalistische Politik sowie für die Respektierung der Menschenrechte gekämpft, insbesondere gegen die Repression der Kosovo-Albaner.
  Wir haben stets auf die Respektierung ihrer Menschenrechte und Freiheiten bestanden sowie auf der Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo. Während dieses ganzen Zeitraums waren serbische und albanische Bürgerrechtsgruppen die einzigen, die Kontakte und eine Zusammenarbeit aufrechterhielten.
  Die NATO-Intervention hat alles zerstört, was bisher erreicht worden war, und auch das bloße Überleben der Zivilgesellschaft in Serbien. Angesichts der gegenwärtigen tragischen Situation stellen wir im Namen der Humanität und der Werte und Ideen, die uns bei unseren Aktivitäten geleitet haben, die folgenden Forderungen auf:
  Wir fordern eine unverzügliche Einstellung der Bombardierungen und aller bewaffneten Operationen.
  Wir fordern die Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit internationaler Vermittlung auf regionaler (Balkan) wie auf europäischer Ebene sowie auch im Rahmen der Vereinten Nationen.
  Wir fordern von der Europäischen Union und Russland, ihren Anteil an der Verantwortung zu übernehmen, um eine friedliche Lösung der Krise zu finden.
  Wir fordern eine Beendigung der Praxis der ethnischen Säuberung und die Rückführung aller Flüchtlinge.
  Wir fordern Unterstützung für Frieden, Stabilität und Demokratisierung Montenegros und jede mögliche Aktion, die darauf abzielt, dieser Republik bei der Lösung der verheerenden Folgen der Flüchtlingskrise zu helfen.
  Wir fordern von den serbischen und den internationalen Medien eine professionelle und unparteiische Berichterstattung über die aktuellen Entwicklungen, ferner daß sie sich nicht am Medienkrieg beteiligen und nicht interethnischen Hass, Hysterie und die Verherrlichung der Gewalt als einzigen vernünftigen Ausweg aus der Krise predigen.
  Wir sind nicht in der Lage dies auf uns allein gestützt zu erreichen. Wir erwarten von euch, unsere Forderungen zu unterstützen und uns zu helfen, sie durch eure Aktionen und Initiativen zu verwirklichen.

Unterzeichnet von:
  - Bürgervereinigung für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Unterstützung von Gewerkschaften
  - Belgrader Kreis
  - Zentrum für kulturelle Entgiftung
  - Zentrum für Demokratie und freie Wahlen
  - Zentrum für den Übergang zur Demokratie
  - Bürgerinitiativen
  - EKO-Zentrum
  - Europäische Bewegung in Serbien
  - Forum für ethnische Beziehungen und Stiftung für Frieden und Krisenmanagement
  - Gruppe 484
  - Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Serbien
  - Studentenunion Serbiens
  - Vereinigung für die Wahrheit über den antifaschistischen Widerstand
  - VIN: Video-Wochennachrichten
  - Frauen in Schwarz
  - Komitee jugoslawischer Anwälte für Menschenrechte
  - Gewerkschaftsverband Nezavisnost
 


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