Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 8

Kriegsvorwände…

Das Attentat in Sarajevo gegen Erzherzog Franz Ferdinand, den Thronerben Österreich-Ungarns, am 28.Juni 1914 lieferte den nützlichen Vorwand für all die, die seit Jahren den Krieg vorbereiteten. Das Attentat war von jungen bosnischen Patrioten ausgeführt worden, die in einem vom Kaiserreich mit repressiven Mitteln kontrollierten Gebiet lebten und die Herrschaft der Habsburger ablehnten. Doch die Verantwortung für das Attentat wurde Serbien in die Schuhe geschoben und ihm am 23.Juli 1914 in endgültiger Form ein Ultimatum aus zehn Punkten präsentiert. Dieses verlangte, alle habsburg-feindlichen Elemente aus der serbischen Armee und aus serbischen Schulen zu entfernen, alle Wien unliebsamen Zeitungen oder Publikationen zu verbieten, die bosnischen Nationalisten zu verhaften. Es verlangte aber auch die Präsenz österreichischer Polizei auf dem serbischen Territorium, um diese Maßnahmen zu kontrollieren.
  Serbien akzeptierte alles, bis auf diesen letzten Punkt, der das Ende seiner Souveränität bedeutet hätte. Sofort begann die österreichische Invasion, die von Deutschland in der Überzeugung unterstützt wurde, Rußland, das militärisch noch sehr unvorbereitet war, werde nur protestieren, nicht intervenieren. Rußland blieb jedoch seiner Allianz mit Serbien treu, und was der Dritte Balkankrieg werden sollte, wurde zum Ersten Weltkrieg.
  Hitler camouflierte die Invasion Polens am 1.September 1939 mit einem fingierten Angriff "polnischer Soldaten" auf einen Grenzposten. Es reichte, einige Dutzend Uniformen der polnischen Armee zu besorgen, sie gewöhnlichen Häftlingen anzuziehen und den "Angriff" von Kameraleuten aufnehmen zu lassen. Anschließend wurden die "Statisten" erschossen, denen man vorher die Freiheit versprochen hatte. In der ersten Phase des Krieges spielte Hitler - damals leider mit Unterstützung der UdSSR - die Rolle des Opfers, wobei er "Friedenspläne" ankündigte. Er glaubte, seine Beute weiter Stück für Stück verspeisen zu können. Doch er täuschte sich, der Zweite Weltkrieg begann.
  Die diesjährige Aggression gegen Jugoslawien begann mit dem "humanitären" Vorwand, "ethnische Massaker" zu stoppen. Aber sie zielt offen auf die Aufhebung der Souveränität des jugoslawischen Staates, der inzwischen auf Serbien und Montenegro und die beiden früher autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo reduziert ist. Es werden auch Gebiete bombardiert, die nicht von Serben bewohnt werden, man spricht von "humanitären Korridoren", die zu "Brückenköpfen" für weitere Invasionen werden können. Und die NATO hat es nicht nötig, sich wie Hitler auf "Statisten" in serbischen Uniformen zu stützen. Die angebliche "serbische Bedrohung Albaniens", auf die sich unisono alle Zeitungen und Fernsehanstalten beziehen, besteht in Grenzscharmützeln zwischen serbischen Truppen und der UÇK (die mit Mitteln aus den USA in Italien und Albanien bewaffnet und rekrutiert wird). Die UÇK dringt bisweilen in den Kosovo ein (d.h. in den jugoslawischen Staat), bisweilen schießt sie von Albanien aus. Wenn die Serben antworten, schreit alles über die "Aggression gegen Albanien".
  Um die Fortsetzung des Zerstörungskriegs zu rechtfertigen, werden die maßvollsten Vermittlungsvorschläge zurückgewiesen und maßlose Forderungen gestellt - diesmal sind es fünf Punkte statt der zehn von Österreich-Ungarn 1914, aber auch sie sind für jeden souveränen Staat unakzeptabel. Doch reichen sie aus, den Gegner als unverantwortlich und extremistisch darzustellen, als ein Feind des Friedens also, wie Hitler Polen nannte.
  A.M.
 


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