Sozialistische Zeitung |
"Danke für meine Arbeitsstelle" heißt es voll christlicher Demut und Ergebenheit in einem bekannten Kirchenlied.
Der Adressat der Dankeshymne ist der liebe Gott. Auch die Europäische Union setzt mit ihrem geplanten
"Beschäftigungspakt" auf Dankbarkeit. Möglichst viele der insgesamt 16,8 Millionen Erwerbslosen in Europa will sie
mit ihrem neuen "policy-mix" wieder in Arbeit bringen. Doch eines kommt weder im Kirchenlied, noch in den Empfehlungen
für den "Beschäfigungspakt", der auf dem EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Anfang Juni in Köln
verabschiedet werden soll, zur Sprache: die Lebensbedingungen der Beschäftigten und Erwerbslosen.
Alle EU-Regierungen wollen einen europäischen Beschäftigungspakt", jubelte Hans Eichel, der neue Finanzminister
Deutschlands, nach einem informellen Treffen der EU-Finanzminister in Dresden Mitte April. Bezeichnend, daß hier offensichtlich nicht
die Arbeits- und Sozialminister, sondern die Finanzminister die zustimmenden Signale aussenden.
Das ist kein Zufall. Der Amsterdamer Vertrag enthält zwar erstmals einen "Beschäftigungstitel", ordnet jedoch
gleichzeitig die Beschäftigungs- der Wirtschaftspolitik unter. Demnach legt die 15.000 Mitarbeiter zählende EU-Kommission
alljährlich dem Rat ihre "Empfehlungen für die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der
Gemeinschaft" vor, inclusive Arbeitsmarktpolitik. Der Rat verabschiedet sie - meistens nur mit geringfügigen Änderungen -
als Leitlinien.
Die jährlichen Berichte der Mitgliedstaaten werden vor allem von der Kommission ausgewertet. Wie in vielen anderen Bereichen hat das
Europäische Parlament als einzig demokratisch gewähltes Gremium lediglich die Möglichkeit, eine Stellungnahme
abzugeben und keine Entscheidungsbefugnisse.
Ein Vorschlag der Regierung Österreichs, analog zum Stabilitätspakt auch einen Sanktionsmechanismus für den
Beschäftigungspakt einzuführen, fand keine Mehrheit. Trotzdem geht z.B. der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags
davon aus, daß durch das "permanente Koordinierungsverfahren" ein Konvergenzdruck entsteht, der die
"Mitgliedstaaten zwingt, ihre beschäftigungspolitischen Vorhaben in die europäisch koordinierte
Beschäftigungsstrategie einzupassen".
Neoliberale Dogmen
Hans Eichel sprach in Dresden die Sprache der EU-Kommission. Er betonte das neoliberale Dogma, daß er in der Wahrung der
Preisstabilität und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa keinen Widerspruch sehe. Damit das auch in Zukunft so bleibt, soll
der Beschäftigungspakt nicht nur von den Sozialpartnern und Ministern der Mitgliedsländer, sondern auf Empfehlung der
Kommission auch von der Europäischen Zentralbank im Rahmen eines "Runden Tisches" im Anschluß an die EU-
Finanzministertreffen koordiniert werden.
Unter diesen Vorraussetzungen läuft die "Inpflichtnahme aller Gemeinschaftspolitiken und Maßnahmen für das Ziel, ein
hohes Beschäftigungsniveau zu erreichen" (Art.127 EG-Vertrag) auf die Ausweitung eines europäischen Billiglohnsektors
hinaus. Ein Vorschlag des französischen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn zur Einführung von Mindestlöhnen in
Europa ist auf dem Finanzministertreffen in Dresden nicht zur Sprache gekommen.
Ende März hat die Kommission in ihren Empfehlungen dargelegt, wie sie den Widerspruch zwischen Preisstabilität und
Arbeitsplätzen nach altbekanntem Muster auflösen will. Das 45-Seiten-Papier steckt voll versteckter Warnungen an
Beschäftigte und Gewerkschaften: Die Kommission fordert ein "verantwortungsvolles Verhalten der Sozialpartner, das für
eine Lohnentwicklung sorgt, die mit Preisstabilität und Schaffung von Arbeitsplätzen vereinbar ist". Immer wieder redet die
Kommission von "angemessenen Lohnabschlüssen" und betont, daß die Währungsunion den "Zusammenhang
zwischen Löhnen und Beschäftigung noch deutlicher" machen wird. Lohnabschlüsse sollen künftig den
"Produktivitätsunterschieden nach Qualifikationen, Regionen und Sektoren Rechnung tragen", erklärt die Kommission
und erteilt damit flächentariflichen Vertragsmodellen eine klare Absage.
Zur optimalen Ausbeutung des "Humankapitals" empfiehlt die Kommission "flexible Arbeitszeitregelungen auf
Jahresbasis". Gleichzeitig scheint sie die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung gehört zu haben. Sie spricht sich bei
"etwaigen Verkürzungen der gesamten Arbeitszeit" jedoch dafür aus, daß die "Lohnentwicklung
wettbewerbsfähig bleibt und der künftige Bedarf an Arbeitskräften gedeckt wird".
Sparen, sparen, sparen
Grundsätzlich legt die Kommission den Mitgliedstaaten nahe, "ihre Haushaltslage eher durch Ausgabenzurückhaltung als
durch Steuer- und Abgabenerhöhungen zu verbessern". Darüberhinaus sollen sie vor allem für "geringer entlohnte
Arbeitskräfte" die Steuern und Abgaben senken. Eine Milchmädchenrechnung für die Beschäftigten im
Billiglohnsektor, denn fehlenden Einnahmen sollen die Mitgliedstaaten über Energie-, Öko- und Verbrauchssteuern refinanzieren,
die insbesondere kleinere Einkommen treffen würden. Ganz vorsichtig spricht die Kommission an dieser Stelle auch die Koordinierung
der Unternehmens-, Mehrwert- und Zinssteuerpolitik an - wohlwissend, daß einige Mitgliedstaaten diesbezüglich empfindlich bis
ablehnend reagieren.
Fest steht: Der "Faktor Arbeit" soll billiger werden. Dazu gehört auch eine Absenkung der Lohnnebenkosten. Um trotzdem die
"dauerhafte Tragfähigkeit und Effektivität" der öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten zu gewährleisten,
sollen sie ihre Alterssicherungs- und Gesundheitsfürsorgesysteme "überprüfen".
Die Kommission macht keinen Hehl daraus, daß sie sowohl den Konkurrenzkampf unter den Lohnabhängigen wie auch unter den
Unternehmen weiter anheizen will. "Besonders wichtig ist die Reform von Strukturen, die ‚Insider (d.h. diejenigen, die einen
Arbeitsplatz oder ein Unternehmen besitzen) auf Kosten der ‚Outsider (d.h. der Personen ohne Arbeitsplatz und potentieller
Unternehmer) begünstigen", beschreibt die Kommission ihr Vorhaben verharmlosend.
Konkurrenzkampf
der Lohnabhängigen
In diesem Kontext ist auch die von der Kommission vielgepriesene "Chancengleichheit" zu sehen. Mitgliedstaaten sollen "die
Abschiebung von Arbeitslosen in kostspielige, passive Leistungssysteme" vermeiden und stattdessen in "Humankapital"
investieren. Das heißt, vor allem Frauen, ungelernte Arbeiter und Jugendliche sollen in Qualifikationsmaßnahmen ihre Arbeitskraft
veredeln, damit sie anschließend für Unternehmen interessant werden und mit Millionen anderen dort um schlecht bezahlte Jobs
konkurrieren. Diese Maßnahmen verkaufen Kommission und Mitgliedstaaten u.a. als "Überwindung der Diskriminierung von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt".
Die Empfehlungen der Kommission basieren auf den Erfolgs- bzw. Mißerfolgsquoten, die auf Grundlage der 98er Leitlinien ermittelt
werden. Die EU-Kommission betätigt sich in diesem Punkt als eine Art Rating-Agency, die einzelne EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf
ihre Haushaltspolitik, ihre Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkte bewertet.
Unter dem Kriterium der Arbeitsmarktpolitik schneidet neben Spanien der Benelux-Staat Belgien am schlechtesten ab. Die Kommission
attestiert eine "anhaltend hohe Langzeitarbeitslosigkeit und relativ niedrige Erwerbstätigenquoten". Deshalb soll die
belgische Regierung "Anzreize zur Teilnahme an aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen und zur Annahme von Stellenangeboten"
schaffen. Das heißt, die "Dauer der Gewährung von Sozialleistungen und die Anforderung an die Verfügbarkeit der
Arbeitskräfte" sollen "überprüft" werden. Um die Konkurrenz zusätzlich anzukurbeln, fordert die
Kommission, dem "relativ strengen" Kündigungsschutzrecht in Belgien "größere Aufmerksamkeit" zu
schenken. Denn, so die Kommission, "flexiblere Kündigungsschutzregelungen dürften zu besseren Ergebnissen am belgischen
Arbeitsmarkt führen".
Dem 10 Millionen Einwohner-Staat mit offiziell mehr als 9,2 Prozent Erwerbslosen legt die Kommission zudem mehr
"Lohndifferenzierung" nahe, z.B. in Form eines Gesetzes, "mit dem der Lohnanstieg nach oben begrenzt wird".
Mit fast 20 Prozent Erwerbslosigkeit ist Spanien das Sorgenkind der EU-Kommission. Ein allmähliches Absinken der Quote und die
wirtschaflichen Wachstumsausichten stimmen die Kommissare jedoch milder als im Falle Belgiens: direkte Vorschläge für die
spanische Gesetzgebung gehören hier nicht zum Repertoire.
Doch auch hier gibt die Kommission einige Maßnahmen vor, die von der spanischen Regierung durchzuführen wären: Die
Erschwerung von Frühverrentungen, um "Anreize für die Angebotsseite des Arbeitsmarkts" zu bieten;
"Maßnahmen zur Erhöhung des Humankapitals und der Anpassungsfähigkeit"; die Lohnentwicklung soll an die
"Produktivitätsunterschiede auf regionaler Ebene" angepaßt werden.
In Deutschland richtet die Kommission ihr Augenmerk auf die ihrer Meinung nach zu großzügigen "Sozialversicherungs- und
Sozialtranfersysteme". Sie müßten "überprüft werden, um sicherzustellen, daß für alle Gruppen
hinreichende Anreize zur Teilnahme an berufsbildenden Maßnahmen und Annahme von Stellenangeboten bestehen".
Außerdem soll die Bundesregierung "Arbeitskosten am untersten Ende der Lohnskala" weiter senken.
Voll des Lobes ist die Kommission für den Kleinstaat Luxemburg und Großbritannien. Die offizielle Erwerbslosenquote in
Luxemburg hat noch nie über drei Prozent gelegen. Das sieht auf der Insel anders aus: Dort ist es gelungen, von zehn Prozent 1992 auf
sechs Prozent im vergangenen Jahr zu reduzieren. Die guten Ergebnisse resultieren laut EU-Kommission vor allem aus den "Welfare-to-
Work"-Programmen: das sind z.B. 60 Pfund wöchentlich an Subventionen für Unternehmer, die erwerbslose Jugendliche
zwischen 18 und 24 Monaten einstellen. Lehnen die Jugendlichen eine solche Stelle ab, wird ihnen die Sozialhilfe drastisch
gekürzt.
Die neoliberale Schule, deren willfähriger Schüler die EU-Kommission und auch die sozialdemokratischen Regierungen in Europa
sind, tritt nun in ihre zweite Phase. Nachdem sie mit Deregulierungsmaßnahmen und Währungsunion eine gnadenlose
Rationalisierung vorangetrieben haben, nutzten sie nun die dadurch entstandene hohe Erwerbslosenrate, um den europäischen
Billiglohnsektor auszubauen.
Die vielgepriesenen Qualifikationsprogramme für erwerbslose Frauen, Jugendliche und ungelernte Arbeiter dienen vor allem einem
Zweck: den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt zu verschärfen und damit auch für höher qualifizierte Arbeit das
Lohnniveau zu senken.
Christliche Demut ist da fehl am Platze. Vielmehr geht es darum, den Druck auf der Straße gegen die EU-Beschäftigungspolitik zu
erhöhen. Denn eins ist klar: beim Konkurrenzkampf der Lohnabhängigen bleiben viele auf der Strecke und auch denjenigen, die
einen halbwegs bezahlten Job ergattern, wird ein eisiger Wind entgegenwehen.
Gerhard Klas