Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 13

Südkorea

Funken übergesprungen

Mit einem martialischen Aufgebot löste Südkoreas Bereitschaftspolizei am Sonntagabend eine Versammlung streikender Arbeiter auf. Wasserwerfer, Hubschrauber und Tränengas waren im Ensatz, als die Beamten die National- Universität in Seoul stürmten, wo sich 4000 U-Bahn-Arbeiter seit Beginn der letzter Woche verbarrikadiert hatten. Vertreter des demokratischen Gewerkschaftsdachverbands KCTU sprachen von einer kriegsähnlichen Situation. Die Polizei sei mit äußerster Brutalität vorgegangen.
  Die Arbeiter der U-Bahn-Werkstätten hatten sich im Amphitheater der Universität versammelt, einem traditionsreichen Ort, der eng mit dem Kampf der Studenten gegen die Diktatur in den 80ern verbunden ist.
  Weitere 1500 Menschen, vor allem die Fahrer, hatten bereits am Montag an der Myungdong Kathedrale im Zentrum Seouls ein Kamp errichtet. Insgesamt befinden sich rund 7500 Arbeiter und Angestellte der U-Bahn im Streik.
  Sie folgten damit einem Aufruf des Verbands der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes KPSU, zu dem ihre Betriebsgewerkschaft gehört. Die KPSU macht mobil gegen Privatisierung und die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Schultern der Arbeiter. Besonders wehren sich die U-Bahner gegen die angedrohte Entlassungen von 2078 Arbeitern (18% der gegenwärtigen Beschäftigungszahl) und gegen Pläne zur Umstrukturierungen des Unternehmens.
  Im Zentrum steht die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit von 44 auf 40 Stunden, was nach Berechnungen der Gewerkschaft ca. 1800 neue Arbeitsplätze schaffen würde. Das Paket des Managements sieht dagegen längere Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Flexibilisierung vor.
  Damit liegt es ganz auf der Linie des Unternehmerverbands und der Regierung, die in derartigen Maßnahmen im Einvernehmen mit dem Internationalen Währungsfonds den Ausweg aus der Krise sehen. Die Gewerkschaften klagen auch darüber, daß mit dem Umstrukturierungsprogramm einseitig frühere Vereinbarungen gebrochen werden.
  Statt auf die Forderungen der Gewerkschaften nach Verhandlungen einzugehen, setzen Management und Regierung unterdessen auf Konfrontation.
  Bereits die Versammlungen in denen am 18. und 19. in den Betriebshöfen über den Streik abgestimmt wurde, waren von Bereitschaftspolizei umstellt worden. In den drauffolgenden Tagen wurden Regierungsangestellte und Eisenbahner als Streikbrecher eingesetzt. Auch bei den Lok-Herstellern des Landes forderte man Mechaniker an. Dort verweigerten allerdings die gewerkschaftlich Organisierten Streikbrecherdienste.
  Bereits zum 21. April hatte das U-Bahn-Management den Streikenden ein Ultimatum gestellt, das ergebnislos verstrich. Darin wurden den Arbeiter disziplinarische Maßnahmen angedroht. Die örtlichen Behörden gingen sogar einen Schritt weiter und forderten die Entlassung aller, die nicht zu Arbeit zurückkehren. Selbst Präsident Kim Dae-Jung, der eine Ausweitung der Streiks befürchtet, mischte sich ein und erklärte den Streik für illegal. Entsprechend erließ die Provinzstaatsanwaltschaft Haftbefehle gegen den KPSU-Vorsitzenden Yang Kyung-Kyu und seinen Stellvertreter.
  Weitere Haftbefehle gegen 66 Funktionäre und Aktive der U-Bahn-Gewerkschaft hatte es bereits am Tag nach Ausrufung des Streiks gegeben. In dem ostasiatischen Land sitzen auch nach dem die langjährige Identifikationsfigur der demokratischen Opposition Kim Dae- Jung zum Präsidenten gewählt wurde mehrere Hundert Gewerkschafter in den Gefängnissen oder werden per Haftbefehl gesucht.
  Die Angst der Regierung vor Ausweitung der Streiks ist durchaus berechtigt. Bei verschiedenen Radio- und Fernsehsendern haben bereits erfolgreiche Urabstimmungen über weitere Streiks statgefunden. Hier gehen die Auseinandersetzungen vor allem um Privatisierungs- und Auslagerungspläne.
  Auch bei der koreanischen Telecom, die ebenfalls unter den Hammer soll, ergab eine Urabstimmung eine große Mehrheit für Streik. Kurz nach Redaktionsschluß der SoZ soll es losgehen. Weitere Mitgliedsgewerkschaften der KPSU im Gesundheitswesen und in der Wissenschaft befinden sich bereits im Streik oder bereiten sich konkret vor. Auch hier geht es um Kürzungen und Entlassungen als eine Folge der vom IWF diktierten Sparpolitik.
  Auch in der Industrie braut sich einiges zusammen. Mitte letzter Woche machte der Daewoo-Konzern mit der Ankündigung von sich reden, seine Werft an japanische Interssenten verkaufen zu wollen. Außerdem wurde die Entflechtung des Konzerns in Aussicht gestellt. Firmenteile sollen verkauft werden, um Schulden zu bezahlen.
  Bei den Arbeitern, die Entlassungen befürchten, stießen die Ankündigungen auf starken Widerstand. In mehreren Betrieben kam es zu spontanen Streiks. Die unerwarteten Eröffnungen des Daewoo-Chefs Kim Woo-Choong, heißt es in der Seouler KCTU- Zentrale, waren gerade der Funken, der noch fehlte, um den seit langem schwelenden Konflikt in der Metallindustrie zum Ausbruch zu bringen. Die Kampagne des Gewerkschaftsbundes würde dadurch noch an Moment gewinnen.
  Der Dachverband KCTU hat sich bereits Ende Februar enttäuscht aus den gemeinsamen Verhandlungen mit Unternehmern und der Regierung verabschiedet. Man fühlte sich über den Tisch gezogen. Seit dem wird eine neue Offensive gegen Massenentlassungen und Flexibilisierungspläne der Unternehmer vorbereitet.
  Anfang des Monats hatte man zu diesem Zweck auch Kontakte zu Bauernorganisationen und anderen sozialen Bewegungen aufgenommen. Der nächste Schritt soll ein Generalstreik am 1.Mai mit Demonstrationen im ganzen Land bilden.
Wolfgang Pomrehn


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