Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 14

Nein zum Krieg reicht nicht

Kosovo

Die Antikriegsbewegung ist gespalten - über ihre Haltung zum Konflikt auf dem Balkan. Ist Milosevi´c ein Diktator und unterdrückt er die Albaner? Und wenn ja, geht uns das was an? Haben die Albaner im Kosovo ein Recht sich zu wehren, oder betreiben sie damit nur das Spiel des Imperialismus? Ist die Unabhängigkeit des Kosovo eine Lösung, liegt die Perspektive im bewaffneten Kampf der UÇK und was kann Selbstbestimmungsrecht heute heißen? Jenseits solcher konkreten Fragen gibt es dann noch die Meta-Diskussion darüber, ob es Völker überhaupt gibt und ob man ihnen erlauben soll, daß sie selber über sich bestimmen.
  Vom marxistischen Standpunkt aus ist der Ausgangspunkt jeder Politik für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse des Menschen der Mensch, mit seinen Widersprüchen, Hoffnungen und konkreten Zwängen, die häufig nicht in das Gut-Böse-Schema passen, das vor allem Kriege aufzwingen.
  In dem aktuellen Krieg auf dem Balkan werden zwei Kriege geführt. Den einen führt die serbische Regierung gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo. Dieser Krieg hat zum einen das Ziel, ehemalige serbische Flüchtlinge aus der Krajina und Slawonien (die dort von der kroatischen Armee vertrieben wurden) im Kosovo anzusiedeln - er wird also um Land und "Lebensraum" für Serben geführt, denen die Albaner weichen sollen.
  Zum andern sollen mit einer serbischen Kolonisierung die Mehrheitsverhältnisse im Kosovo gewaltsam verändert und der serbische nationale Anspruch auf das Gebiet, incl. der mythenbildenden "nationalen Stätten" bestärkt werden. In diesem Krieg gibt es eine "gerechte Seite", die Kosovo-Albaner.
  Den anderen führt die NATO gegen die serbische Regierung und gegen das serbische Volk. Tatsächlich ist es die Bevölkerung, die am meisten unter ihm zu leiden hat, ungeachtet der herrschenden Propaganda gegen Milo?sevi´c als Diktator und Unterdrücker auch der innerserbischen demokratischen Opposition. Auch in diesem Krieg gibt es eine "gerechte Seite", Serbien.
  Allerdings ist dieses Serbien, anders als die Albaner im Kosovo, keine unterdrückte Nationalität, sondern es hat ein Regime, das auf dem Rücken anderer Völker auf dem Balkan (u.a. Ungarn, Roma, Muslime) seit dem Zerfall der jugoslawischen Föderation ein großserbisches Reich zu errichten sucht - dessen aktuelle Opfer derzeit die Kosovo-Albaner sind.
  Gegen die NATO-Invasion Serbiens gibt es ein juristisches Argument: die NATO verletzt Völkerrecht, weil sie einen unabhängigen und souveränen Staat angreift und diesem ihren Willen aufzuzwingen versucht. Aber dieses Argument ist höchst lückenhaft, weil es vom tatsächlichen Charakter des serbischen Regimes abstrahiert, nur den Staat, nicht die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in ihm betrachtet.
  Politisch ist die NATO-Invasion in Serbien ein Akt der Barbarei gegen die serbische Bevölkerung, insbesondere gegen die demokratische Opposition, die durch den Krieg mundtot gemacht wird und den mühsam aufgebauten Spielraum wieder verliert. Im innerserbischen Kräfteverhältnis dient der Krieg Milo?sevi´c, nicht seinen demokratischen Kritikern. Damit diese wieder Handlungsspielraum bekommen, muß der Krieg sofort gestoppt werden.
  Im Krieg gegen die serbische Vorherrschaft haben die Kosovo-Albaner ein Recht, sich gegen ihre Unterdrückung zu wehren. Dieses Recht ist universell, unteilbar und elementar, unabhängig von der jeweiligen politischen Konstellation; wer es instrumentell behandelt, also nur gelten läßt, wenn dies in einer anderen Auseinandersetzung (z.B. gegen die NATO), opportun erscheint, der verläßt den Boden der Menschenrechte.
  Das Recht auf Gegenwehr ist ein demokratisches; wenn Linke es den Betroffenen absprechen oder als nebensächlich behandeln, machen sie denselben Fehler, den sie gemacht haben, als in Osteuropa unter stalinistischen und poststalinistischen Regimen demokratische und Menschenrechte unterdrückt wurden. Vielen, gerade in der deutschen Linken, kam es damals nicht opportun, daß hier im Kampf gegen den eigenen Imperialismus eine Flanke aufgemacht wurde. Sie haben sich zu dieser Unterdrückung deshalb nicht verhalten, sie teilweise sogar geleugnet.
  Den Kampf gegen den Imperialismus hat dies letztlich nicht gestärkt, sondern geschwächt, weil so der bürgerlichen Propaganda erlaubt wurde, sich als die wahre Verteidigerin der Menschenrechte aufzuspielen und damit die Geschichte auf den Kopf zu stellen (tatsächlich war es die Arbeiterbewegung, die die meisten demokratischen Rechte erstritten hat).
  Wenn wir uns heute mit Kosovo-Albanern auseinandersetzen müssen, dann nicht darüber, ob sie gegen die serbische Großmachtpolitik kämpfen dürfen, sondern mit welchen Mitteln und welcher Zielsetzung sie dies tun. Das setzt zunächst einmal voraus, daß man ihren Kampf respektiert und zu verstehen versucht - und sie nicht umstandslos zur 5.Kolonne der NATO erklärt, weil die meisten von ihnen keinen anderen Ausweg aus ihrer Lage sehen als durch eine NATO-Intervention.
  Insbesondere die UÇK wird von vielen auf dieselbe Stufe gestellt wie Milo?sevi´c oder Tudjman, weil ihre derzeitige Führung den Anschluß an Albanien verfolgt. In zahlreichen Beiträgen wird mehr oder weniger kenntnisreich und gut dokumentiert dargelegt, wie Teile der UÇK zunächst durch albanischen Drogen- und Waffenhandel alimentiert, später von deutschen und US- amerikanischen Interessen instrumentalisiert wurden. Es besteht wenig Anlaß, solchen Ausführungen keinen Glauben zu schenken.
  Die meisten dieser Ausführungen machen aber den Fehler, daß sie zwar das Verhältnis der UÇK zu den NATO-Staaten erhellen, nicht aber das Verhältnis der kosovo-albanischen und der albanischen Bevölkerung zu ihr. Diesen Blickwinkel glaubt man sich schenken zu können, wenn man nur das Verhältnis zum Imperialismus richtig geortet hat.
  So nimmt es auch nicht wunder, daß in diesen Beiträgen wenig über die Entwicklung der UÇK zu erfahren ist, die betonte Zurückhaltung der albanischen Regierungen (mit Ausnahme der von Sali Berisha) in der Frage des Kosovo keine Erwähnung findet, auch nicht der Kurswechsel, der während der Verhandlungen im Rambouillet in der UÇK stattgefunden hat.
  All dies muß aber zur Kenntnis genommen werden, will man sich damit auseinandersetzen, welche Befreiungsperspektive die albanische Bevölkerung im Kosovo denn hat. Selbst die Verstrickungen der UÇK in den Drogenhandel lesen sich anders, wenn man weiß, daß 70 Prozent der Bevölkerung erwerbslos sind und im Handel mit allem möglichen wahrscheinlich die einzige Erwerbsquelle sehen.
  Das alles bedeutet noch nicht, daß man den Kurs der UÇK gutheißen muß. Aber es wäre die Voraussetzung, "die Albaner" nicht politisch-ethnisch über einen Leisten zu schlagen, sondern nach Differenzierungen und damit Ansatzpunkten für eine andere, nichtnationalistische Politik zu suchen.
  Auch die inzwischen mehrheitlich angestrebte Unabhängigkeit von Serbien bzw. der Anschluß an Albanien hat einen anderen Charakter aus der Perspektive einer verfolgten Nationalität, die im Armenhaus Europas lebt und lange Zeit erfolglos andere Wege ausprobiert hat, als aus der Perspektive der reichen Provinzen Kroatien und Serbien, die im Prozeß des Zerfalls Jugoslawiens die solidarische Umverteilung der Reichtümer zu den ärmeren Provinzen eingestellt haben.
  Die imperialistischen Institutionen - IWF, Weltbank, jetzt die NATO - tragen ein gerüttelt Maß Verantwortung erst für den sozialen, dann den nationalen Zerfall Jugoslawiens.
  Mehr als anderswo ist hier offenkundig, daß der Nationalismus und Chauvinismus erstens nur in einer multi-ethnischen und demokratischen Perspektive und zweitens nur überwunden werden können, wenn auch Antworten auf eine soziale Entwicklungsalternative gefunden werden. Aus der Optik, jeder möge vor allem gegen seinen eigenen Imperialismus kämpfen, erschließt sich eine solche Perspektive nicht.
  Die antiimperialistische Dimension ist eine notwendige Voraussetzung, weil Selbstbestimmung - wie auch immer geartet - nur unabhängig von diesem Joch möglich ist. Aber sie reicht nicht. Was der Krieg auf dem Balkan vor allem deutlich macht, ist das erschreckende Fehlen einer gesellschaftspolitischen Perspektive für die Länder des ehemaligen Ostblocks ebenso wie für die imperialistischen Länder und die der sog. Dritten Welt. Das ist es, was wieder aufgebaut werden muß, sonst ist jeder antiimperialistische Kampf und jeder Kampf gegen den Krieg zum Scheitern verurteilt.
  Das geht nur praktisch, durch die Herstellung konkreter solidarischer Verbindungen zu allen Völkern des Balkan in dem Bestreben, soziale Gemeinsamkeiten über die nationalen Grenzen hinweg zu schaffen. So versteht sich z.B. die Initiative der Euromärsche, in der umkämpften Region ein übergreifendes Netzwerk der Kommunikation, Information und Debatte aufbauen zu helfen - im wörtlichen Sinne, um die Völkerverständigung zu befördern.
  Unsere Antworten für eine Konfliktlösung auf dem Balkan setzen nicht auf Separation, sondern auf die Herstellung von Bedingungen, die ein friedliches Zusammenleben aller Völker der Region auf der Basis des gegenseitigen Respekts ermöglichen. Das erfordert erstens umfassende Demokratie, zweitens soziale Fortschritte. Insofern identifizieren wir - im Gegensatz zur bürgerlichen Propaganda - Selbstbestimmung nicht mit Nationalismus und Kleinstaatenbildung auf ethnischer Basis, im Gegenteil.
  Wenn das jedoch keine abstrakte Parole bleiben soll, müssen Linke einen Schritt aus ihrem imperialistischen Schneckenhaus rausmachen und auf die Betroffenen zugehen, auf der Suche nach geeigneten Ansatzpunkten für eine konkrete Politik in dieser Richtung.
  Wer so an die Sache rangeht, der kann den aktuellen Kurs der UÇK scharf kritisieren, ohne daß ihm zugleich jeder UÇK-Kämpfer zu einem verkappten Chauvinisten und Söldner der NATO gerät. Der vergißt auch den Unterschied zwischen einer unterdrückenden und einer unterdrückten Nation nicht.
Angela Klein


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