Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 15

Dangerous Crossroads

Popmusik, Postmoderne und die Poesie des Lokalen

Der erste längere und systematische Text, der die kulturellen Dimensionen der Globalisierung und des Neoliberalismus ausleuchtet." So der erste Satz des Klappentextes von Georg Lipsitz‘ deutscher Ausgabe von Dangerous Crossroads. Gemessen an diesem Anspruch, ist das Buch sicherlich etwas enttäuschend. Sobald die Leserin oder der Leser jedoch einen anderen Ausgangspunkt für die Lektüre wählt, wird das Buch zu einer Bereicherung für alle Neugierigen. George Lipsitz gibt im Vorwort für die deutsche Ausgabe einen Hinweis für einen möglichen Ausgangspunkt. Wissenschaftler auf einer Konferenz über Rassismus 1992 in Frankfurt am Main, an der der Autor teilnahm, präsentierten verschiedene "intellektuelle Traditionen ... So kam es, daß deutsche Wissenschaftler in ihren Vorträgen hochentwickelte theoretische Modelle präsentierten, daß die französischen viel Zeit auf die genaue Definition von Begriffen verwandten, und daß die US-amerikanischen Anekdoten erzählten, die ihre Argumente illustrieren sollten."
  Als Professor für "Ethnic Studies" an der Universität von San Diego erzählen seine Anekdoten in diesem Buch Geschichten über Popmusik nicht nur aus Kalifornien, Mexiko und der Karibik. Das Ziel dieser Arbeit ist dabei nicht eine neue Theorie der Popkultur im Zeitalter der Globalisierung zu entwickeln. Er gibt die Beispiele um die Widersprüchlichkeit der subversiven (oft lokalen) Elemente von Popmusik auf der einen Seite und die globale Vermarktung der gleichen Musik andererseits zu beleuchten. Im ersten Beispiel, "Kalfou Danjere", zeigt er zugleich wie diese Widersprüchlichkeit durch andere überlagert wird. Im Falle der haitianischen Gruppe Boukman Eksperyans erzählt er, wie eine solche Musik - indem sie Voudou-Metaphysik als Stilmittel des Protestes gegen die Diktatur der Duvaliers auf Haiti verwandte - einen antiaufklärerischen Gehalt bekam. Gemessen an der Bedeutung, die diese Gruppe für die "Lavalas"-Demokratiebewegung auf Haiti hatte, schreibt er diesem Aspekt allerdings eine zu vernachlässigende Bedeutung zu.
  Auf seiner Weltreise der Popmusik werden leider die Sowjetunion (bzw. Rußland), China etc. ausgenommen. Auch Großbritannien, sicherlich einer der wichtigsten Orte für die Herausbildung zeitgenössischer Popmusik, wird nur am Rande erwähnt.
  Dafür erfahren wir z.B. etwas über die wichtige Rolle, die Bob Marleys Australientournee 1979 für die Bewegung der Aborigines hatte. "Indem sie sich Marleys panafrikanischer Vision anschlossen, verwandelten sich die Aborigines von einer kleinen nationalen Minderheit in einen Teil einer riesigen globalen Mehrheit ‚nichtweißer‘ Menschen. Wie die Maoris im benachbarten Neuseeland, die die panafrikanischen Farben Grün, Rot und Gelb nach Marleys Visite übernahmen, so fanden auch die australischen Aborigines, daß Marleys Genie, ‚Schwarzsein‘ in den unterschiedlichen Kontexten ... ihnen half, besser zu verstehen, was ‚Schwarzsein‘ in den früheren britischen Kolonien im Südpazifik bedeuten könnte."
  Die Verarbeitung von Stilelementen anderer Kulturen führt immer wieder zu einem besseren Verständnis der eigenen Lage und zur Möglichkeit, neue Widerstandsformen zu entwickeln. Dabei meint George Lipsitz nicht die Verarbeitung "exotischer" Musikstile und Beiträge afrikanischer und lateinamerikanischer Musikerinnen und Musiker, wie es zum Beispiel Paul Simon auf Graceland gemacht hat. Paul Simon hatte unter anderem die südafrikanische Gruppe Ladysmith Black Mombazo für diese Produktion engagiert. Sowohl dem Inhalt als auch der Form nach präsentiert diese Produktion eine typische koloniale Herangehensweise an die Kultur anderer Ethnien, sie wird geglättet und unter der "Oberaufsicht und unter dem Copyright" des weißen Meisters marktfähig gemacht. Eine Verwendung eines "fremden" Stils im Sinne einer emanzipatorischen Bereicherung ist für Lipsitz demgegenüber die Punkmusik der "Latino Punks" in Kalifornien. Die englische Punkmusik, dort von Arbeiterkindern und Kunststudierenden als Protest gegen die spießige perspektivlose Gesellschaft der Thatcher-Ära entwickelt, wurde in East Los Angeles aufgenommen und zusätzlich gegen den Rassismus und die Segegration in den US-amerikanischen Großstädten gewandt.
  Die Kreuzungen, auf die uns Lipsitz führt, sind gefährliche Kreuzungen. Auf denen es fast unmöglich ist keine Fehler zu begehen. "Aber wenn wir lernen zuzuhören, könnten wir möglicherweise Experten an unerwarteten Orten treffen; wir könnten erfahren, daß scheinbar machtlose Menschen mehr Wege des Weltverständnisses kennen als ihre Unterdrücker und daß eben die globalen Vertriebs- und Kommunikationsnetzwerke, die uns beschränken, zugleich Möglichkeiten kulturübergreifenden Widerstands eröffnen."

Georg Lipsitz, Dangerous Crossroads, Hannibal Verlag, 38 DM.


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