Sozialistische Zeitung |
Der erste längere und systematische Text, der die kulturellen Dimensionen der Globalisierung und des
Neoliberalismus ausleuchtet." So der erste Satz des Klappentextes von Georg Lipsitz deutscher Ausgabe von Dangerous
Crossroads. Gemessen an diesem Anspruch, ist das Buch sicherlich etwas enttäuschend. Sobald die Leserin oder der Leser jedoch einen
anderen Ausgangspunkt für die Lektüre wählt, wird das Buch zu einer Bereicherung für alle Neugierigen. George
Lipsitz gibt im Vorwort für die deutsche Ausgabe einen Hinweis für einen möglichen Ausgangspunkt. Wissenschaftler auf
einer Konferenz über Rassismus 1992 in Frankfurt am Main, an der der Autor teilnahm, präsentierten verschiedene
"intellektuelle Traditionen ... So kam es, daß deutsche Wissenschaftler in ihren Vorträgen hochentwickelte theoretische
Modelle präsentierten, daß die französischen viel Zeit auf die genaue Definition von Begriffen verwandten, und daß die
US-amerikanischen Anekdoten erzählten, die ihre Argumente illustrieren sollten."
Als Professor für "Ethnic Studies" an der Universität von San Diego erzählen seine Anekdoten in diesem Buch
Geschichten über Popmusik nicht nur aus Kalifornien, Mexiko und der Karibik. Das Ziel dieser Arbeit ist dabei nicht eine neue Theorie
der Popkultur im Zeitalter der Globalisierung zu entwickeln. Er gibt die Beispiele um die Widersprüchlichkeit der subversiven (oft
lokalen) Elemente von Popmusik auf der einen Seite und die globale Vermarktung der gleichen Musik andererseits zu beleuchten. Im ersten
Beispiel, "Kalfou Danjere", zeigt er zugleich wie diese Widersprüchlichkeit durch andere überlagert wird. Im Falle der
haitianischen Gruppe Boukman Eksperyans erzählt er, wie eine solche Musik - indem sie Voudou-Metaphysik als Stilmittel des Protestes
gegen die Diktatur der Duvaliers auf Haiti verwandte - einen antiaufklärerischen Gehalt bekam. Gemessen an der Bedeutung, die diese
Gruppe für die "Lavalas"-Demokratiebewegung auf Haiti hatte, schreibt er diesem Aspekt allerdings eine zu
vernachlässigende Bedeutung zu.
Auf seiner Weltreise der Popmusik werden leider die Sowjetunion (bzw. Rußland), China etc. ausgenommen. Auch Großbritannien,
sicherlich einer der wichtigsten Orte für die Herausbildung zeitgenössischer Popmusik, wird nur am Rande
erwähnt.
Dafür erfahren wir z.B. etwas über die wichtige Rolle, die Bob Marleys Australientournee 1979 für die Bewegung der
Aborigines hatte. "Indem sie sich Marleys panafrikanischer Vision anschlossen, verwandelten sich die Aborigines von einer kleinen
nationalen Minderheit in einen Teil einer riesigen globalen Mehrheit ‚nichtweißer Menschen. Wie die Maoris im benachbarten
Neuseeland, die die panafrikanischen Farben Grün, Rot und Gelb nach Marleys Visite übernahmen, so fanden auch die
australischen Aborigines, daß Marleys Genie, ‚Schwarzsein in den unterschiedlichen Kontexten ... ihnen half, besser zu verstehen,
was ‚Schwarzsein in den früheren britischen Kolonien im Südpazifik bedeuten könnte."
Die Verarbeitung von Stilelementen anderer Kulturen führt immer wieder zu einem besseren Verständnis der eigenen Lage und zur
Möglichkeit, neue Widerstandsformen zu entwickeln. Dabei meint George Lipsitz nicht die Verarbeitung "exotischer"
Musikstile und Beiträge afrikanischer und lateinamerikanischer Musikerinnen und Musiker, wie es zum Beispiel Paul Simon auf
Graceland gemacht hat. Paul Simon hatte unter anderem die südafrikanische Gruppe Ladysmith Black Mombazo für diese
Produktion engagiert. Sowohl dem Inhalt als auch der Form nach präsentiert diese Produktion eine typische koloniale Herangehensweise
an die Kultur anderer Ethnien, sie wird geglättet und unter der "Oberaufsicht und unter dem Copyright" des weißen
Meisters marktfähig gemacht. Eine Verwendung eines "fremden" Stils im Sinne einer emanzipatorischen Bereicherung ist
für Lipsitz demgegenüber die Punkmusik der "Latino Punks" in Kalifornien. Die englische Punkmusik, dort von
Arbeiterkindern und Kunststudierenden als Protest gegen die spießige perspektivlose Gesellschaft der Thatcher-Ära entwickelt,
wurde in East Los Angeles aufgenommen und zusätzlich gegen den Rassismus und die Segegration in den US-amerikanischen
Großstädten gewandt.
Die Kreuzungen, auf die uns Lipsitz führt, sind gefährliche Kreuzungen. Auf denen es fast unmöglich ist keine Fehler zu
begehen. "Aber wenn wir lernen zuzuhören, könnten wir möglicherweise Experten an unerwarteten Orten treffen; wir
könnten erfahren, daß scheinbar machtlose Menschen mehr Wege des Weltverständnisses kennen als ihre Unterdrücker
und daß eben die globalen Vertriebs- und Kommunikationsnetzwerke, die uns beschränken, zugleich Möglichkeiten
kulturübergreifenden Widerstands eröffnen."
Georg Lipsitz, Dangerous Crossroads, Hannibal Verlag, 38 DM.