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Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist das grundlegendste Menschenrecht.
Dementsprechend enthält das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom Mai 1949 das Verbot des Tötens von Staats oder
Rechts wegen. Führend bei der Abschaffung der Todesstrafe war der damalige Justizminister von Baden-Württemberg, der SPD-
Politiker Carlo Schmid.
Bis in die 60er Jahre drängten jedoch reaktionäre politische Kräfte darauf, das Mordverbot aus dem Grundgesetz zu
streichen. Ihr entschiedenster Wortführer war der CSU-Bundestagsabgeordnete Jäger, genannt "Kopf-ab-Jäger".
Diese Tendenzen sind bis heute nicht verschwunden.
Ein Justiz- oder Rechtssystem wie das der USA, das glaubt, mit der Todesstrafe gesellschaftliche Probleme lösen zu können, stellt
sich selbst ein Zeugnis der Inhumanität und Absurdität aus. Alle seriösen Untersuchungen beweisen, daß die
Todesstrafe kriminelle Taten nicht verhindert, das geschieht lediglich in der Fantasie der Befürworter der Todesstrafe. Denn wenn dieses
Argument zuträfe, müßte Texas, gemesssen an vergleichbaren Ländern ohne Todesstrafe und Polizeiterror, ein Land
sein, in dem die Kriminalitätsrate kontinuierlich abnimmt. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Hinrichtung der aus Deutschland stammenden Stiefbrüder Karl La Grand, 35 Jahre, und Walter La Grand, 37 Jahre, im US-Staat
Arizona am 24.2 und 3.3.99 wirft erneut ein trübes Licht auf das US-amerikanische Justiz- und Rechtssystem. Die Exekution erfolgte trotz
zahlreicher Proteste von mehr als 20 Menschenrechts- und humanitären Organisationen.
Ungehört blieben auch die Gnadenappelle zahlreicher Politiker, unter ihnen Bundeskanzler Schröder. Im Kampf gegen die
Hinrichtung der Brüder La Grand war Claudia Roth (Grüne), Vorsitzende im Bundestagsausschuß für Menschenrechte,
die einzige bundesrepublikanische Politikerin, die vor Ort die Abwesenheit offizieller deutscher Repräsentanten und die
Inhumanität des Rechtssystem der USA anprangerte.
Die Bundesregierung lehnte nach Presseberichten ein entschiedeneres Vorgehen ab, weil sie keine Konfrontation mit den USA wünschte
und es außerdem als aussichtslos und kontraproduktiv betrachtete. Der deutsche Botschafter Choborg versuchte deshalb vor allem,
Zweifel an dem Urteil zu nähren. Er warf u.a. die Frage nach den mildernden Umständen auf, etwa der Berücksichtigung des
jugendlichen Alters der Täter zur Tatzeit (17 bzw. 18 Jahre).
Im Fall Walter La Grand versuchte die Bundesregierung nach der Exekution von Karl La Grand durch die Giftinjektion - erst in letzter Minute,
und das auch nur unter Druck - wegen Verstoßes gegen die "Wiener Deklaration" über die Justiz des Staates Arizona zu
intervenieren. Die "Wiener Deklaration" verpflichtet alle Vertragstaaten, einem ausländischen Angeklagten die
Möglichkeit zu geben, über das Konsulat seines Heimatlands Rechtsbeistand zu erhalten. Aber die Justizbehörde von Texas
setzte sich schon im vergangenen Jahr über eine Anordnung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hinweg, indem sie einen
Ausländer hinrichtete. Das war ein klarer Verstoß gegen die "Wiener Konvention", denn die konsularische Vertretung
war nicht unterrichtet worden. Das zeigt einmal mehr, wie die USA mit internationalen Vereinbarungen umzugehen pflegt.
Auch im Fall Walter La Grand blieben diese Einwände ohne Erfolg. Die Brüder La Grand wurden nach 17 Jahren Haft, davon 14
Jahren im Todestrakt des Staatsgefängnisses Florence in Arizona, hingerichtet. Die letzte Zeit hatten sie in strenger Isoaltionshaft
zugebracht.
Die Gouverneurin Hull und die Justizministerin Napolitano hatten kurzfristig der Änderung der Hinrichtungsart bei Karl La Grand -
über die Strafvollzugsbehörde hinweg - zugestimmt. Nach der Exekution ließ Hull durch eine Sprecherin erklären, das
wichtigste sei, daß er hingerichtet worden sei.
Der Sprecher der deutschen Sektion von Amnesty International, Steffen Beitz, erklärte in Bonn: "Erneut hat die US-Justiz bewiesen,
daß es der Rachegedanke ist, der sie bei der Verhängung der Todesstrafe leitet und nicht die Vernunft."
Unvernunft, Wild-West-Mentalität und das Konzept von Rache und Vergeltung haben denn auch 1976 das Oberste Gericht der USA
geleitet, den Beschluß von 1972 aufzuheben. Von 1972 bis 1976 war in den USA die Todesstrafe als unvereinbar mit der Verfassung
ausgesetzt. Nach der Revision von 1976 ist es jetzt den Einzelstaaten freigestellt, über die Todesstrafe zu entscheiden.
Während in fast allen europäischen Ländern bis auf Rußland, Weißrußland, Ukraine, Jugoslawien und
Lettland die Todesstrafe abgeschafft ist, ticken in den USA die Uhren anders. Obwohl die USA sich weltweit als die Gralshüter der
Menschenrechte aufspielen, werden im eigenen Land die Menschenrechte permanent mit Füßen getreten.
Die erste Exekution nach der Revision von 1976 fand im Staate Utah statt. Für die Erschießung wurden damals freiwillige
Schützen angeworben. Von den 50 Einzelstaaten der USA wird in 38 Staaten die Todesstrafe verhängt. Jedoch haben von den 38
Staaten einige bis heute kein Todesurteil vollzogen. In den Südstaaten wird die Todesstrafe häufiger vollstreckt als in den Staaten
der West- und Ostküste der USA.
Die meisten Hinrichtungen gab es bisher mit 171 in Texas, gefolgt von Virginia mit 61 Hinrichtungen. Es folgen Florida mit 43, Missouri mit
34, Louisiana mit 25, Georgia mit 23 und South Carolina mit 22, allesamt im Süden der USA. Dabei kamen als Tötungsmethoden
die Giftinjektion, der elektrische Stuhl, die Gaskammer, der Galgen und das Erschießen zur Anwendung.
In den US-amerikanischen Gefängnissen sitzen zur Zeit mehr als 3500 Menschen in den Todestrakten. Unter diesen zum Tode Verurteilten
befinden sich Menschen, die zur Tatzeit minderjährig waren oder geistig zurückgeblieben sind. Die Bedingungen für die
Verurteilten entsprechen nach Ansicht von Amnesty International in keiner Weise den internationalen Maßstaben zum Schutze der
Menschenrechte.
Diese Kritik betrifft vor allem die Verhältnisse in Texas. In diesem US-Staat werden nach Angaben von Amnesty mehr Menschen als in
den Staaten der westlichen Welt zusammen hingerichtet. Sie vegetieren in 3 Quadratmeter großen Käfigen, die meisten haben keine
Aussicht auf ein neues Verfahren. Von 74 Exekutionen in den USA im Jahre 1997 entfielen mit 37 die Hälfte auf den Staat Texas 37.
Diese Hinrichtungen wurden im Staatsgefängnis von Huntsville vollstreckt. Dort sitzen zur Zeit 2300 Menschen in Haft, davon warten
454 Männer auf den Tod.
Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, daß Geschworene, Richter und Staatanwälte in der Mehrheit Weiße sind. Unter
den Verurteilten überwiegen bei weitem Afroamerikaner und arme Menschen. Außerdem kann sich diese Gruppe keine teuren
Anwälte leisten und ist auf unerfahrene Pflichtverteidiger angewiesen. Untersuchungen bestätigen den täglichen Rassismus im
Justiz- und Polizeiapparat.
In Huntsville müssen die Todeshäftlinge in den winzigen Zellen ohne Bezug zur Außenwelt, ohne Lohn und ohne Klimaanlage
bei Sommertemperaturen von 40 Grad und mehr im Schatten ihr Leben fristen. Rund ein Dutzend Todeshäftlinge verbringt mehr als 20
Jahre unter diesen Bedingungen.
Inhumanität, Klassencharakter, Rassismus und politische Willkür im US-amerikanischen "Rechtssystem" haben eine
lange Tradition. An dieser Stelle sei an die Justizmorde an den vier Chicagoer Arbeiterführer Parsons, Spies, Engels und Fischer in den
80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnert, die als Reaktion auf die große Streikwelle Opfer der Klassenjustiz wurden. Weiterhin sei
erinnert an die Ermordung von Sacco und Vanzetti in den 20er Jahren und an die Hinrichtung des jüdischen Ehepaaars Rosenberg in den
50er Jahren.
Aktuell ist das Leben des schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal in Gefahr, dem ein Polizistenmord untergeschoben wird.
Der über fünf Jahre in der Todeszelle von Alabama eingesperrte und täglich mit seiner Exekution konfrontierte Randolf
Padgett sagte: "Wenn bisher 75 Justizirrtümer aufgedeckt wurden, muß doch davon ausgegangen werden, daß es viel
mehr solcher Fälle gegeben hat, nur daß diese Menchen keine Chance mehr hatten, ihre Unschuld zu beweisen, weil sie zuvor
hingerichtet wurden."
Nach der Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshof der USA für die Todesstrafe 1976 gründete sich ein
Zusammenschluß gegen die Todesstrafe: "Familie von Mordopfern für Aussöhnung". Heute zählt diese
Organisation rd. 600 Mitglieder. Die Gruppe setzte sich auch für die Brüder La Grand ein.
An der Northwestern University in Chicago lehrt der Rechtsprofessor Lawrence Marshall, der als entschiedener Gegner der Todestrafe gilt.
1996 kamen dank der Recherchen und des Engagements von Marshall und seinen StudentInnen vier Männer frei. 1978 waren zwei von
ihnen zum Tode verurteilt und die beiden anderen zu einer lebenslangen Freiheitstrafe hinter Gitter geschickt worden. Im Februar 1999 zwangen
Recherchen von JournalistikstudentInnen der Universität die Justiz einen wegen Doppelmords Verurteilten zwei Tage vor der geplanten
Hinrichtung freizulassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 16 Jahre unschuldig in der Todeszelle verbracht. An der Universität
Chicago fand vor kurzem eine landesweite Konferenz über Fehlurteile und die Todesstrafe mit Überlebenden aus den Todeszellen
statt. Somit hat der Kampf gegen die Todesstrafe durch das Wirken von Professor Marshall und seinen StudentInnen endlich eine Stimme
bekommen.
Exemplarisch für die Perversität des Rechtssystem möge der Fall des heute 42jährigen Michael Pardue stehen. Als
17jähriger wurde er in Alabama als Obdachloser festgenommen und für drei Morde verantwortlich gemacht. Beweise hatte die
Polizei keine. Aber nach einem 78stündigem Verhör erpreßte die Polizei ein Geständnis. Alles natürlich ohne
Rechtsbeistand. Das Tonbandprotokoll wies Schnittstellen auf, und Michael wurde zum Tode verurteilt. Dem Zufall einer Briefbekanntschaft ist
es zu verdanken, daß er heute noch lebt. Vor 15 Jahren heiratete er seine Brieffreundin und diese setzte sich vehement für ihren in
Haft sitzenden Mann ein. Mit Erfolg! Der Schuldspruch mußte aufgehoben werden. Aber Michael muß weiter im Gefängnis
bleiben. Denn in Alabama will es das Gesetz, daß ein Mensch, der drei Straftaten begangen hat, lebenslänglich hinter Gitter
muß. Michael Pardue hatte dreimal versucht, aus der Haft, in der er unschuldig einsaß, zu fliehen. Nun meint der zuständige
Staatsanwalt Whetstone, Michael sei da, wo er auch hingehöre und das sei richtig so. Es bleibt zu hoffen, daß durch eine Zivilklage
wegen widerrechtlichen Freiheitsentzugs Michael Pardue bald auf freien Fuß kommt.
Ein weiterer tragischer Fall ist der von Troy Dale Farris. Das Oberste Berufungsgericht und der Begnadigungsausschuß des Staates Texas
lehnten den Aufschub der Hinrichtung ab, aber immerhin nicht einstimmig wie sonst. Von 18 Juroren hatten sechs für eine Neuaufnahme
des Verfahrens gestimmt. Es wurde ihm vorgeworfen, 1983 einen Hilfssheriff erschossen zu haben. Aber aufgrund schlampiger Ermittlungen
der Polizei, Verlust von Beweismitteln und sich später widersprechender Zeugenaussagen wurde Farris im Januar 1999
hingerichtet.
Die unmenschliche Todesstrafe auf der einen Seite steht im krassen Mißverhältnis zur Glorifizierung des Waffentragens durch
Politiker und Industrielobby auf der anderen. Es gilt als Ehrensache, sich für das freie Waffentragen aller US-Bürger einzusetzen.
Dagegen hat sich noch kein Politiker, der in ein Amt gewählt werden wollte, gegen die Todesstrafe gewandt oder ihre Abschaffung
gefordert.
Und dennoch macht sich ein Meinungsumschwung bemerkbar. Der Gouverneur von Arkansas, der jüngst einen Todeskandidaten
begnadigte, war über die öffentliche Reaktion völlig überrrascht. Sein Begnadigungsakt fand in der Bevölkerung
eine Zustimmung von weit über 50%. Damit hatte er nicht gerechnet. Waren noch vor 13 Jahren über 80% der US-Bürger
für die Todesstrafe, so sind heute 38% nicht mehr damit einverstanden.
1829 erschien das Werk des großen französichen Humanisten und Dichters Victor Hugo "Der letzte Tag eines
Verurteilten". Bis heute ist es das leidenschaftlichste Plädoyer gegen die Todesstrafe, das jemals verfaßt wurde. Seine
eindringliche Darstellung bewirkte, daß der Begriff der "mildernden Umstände" eingeführt wurde und die Zahl
der Hinrichtungen erheblich zurückging. Möge der Geist Victor Hugos - und das nicht nur in den USA, sondern überall auf
der Welt - die Menschen in ihrem Kampf gegen die Todesstrafe bestärken.
Hans Peiffer