Sozialistische Zeitung |
Mitten im Krieg", am 14.04.1999, wurde der Totale Kriegsdienstverweigerer Jörg Eichler (23)
vom Amtsgericht Amberg (Oberpfalz) wegen "Fahnenflucht" zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung
verurteilt. Der Verhandlung war eine über fünfmonatige Untersuchungshaft vorausgegangen. Die Bundeswehr hat den Dresdner
unterdessen aufgefordert, den Wehrdienst nunmehr anzutreten. Da Eichler dem nicht nachkam, wird er nun erneut von der Bundeswehr gesucht
und ein weiteres Strafverfahren wegen Fahnenflucht eingeleitet. Gegen das erste Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
Eichler war ursprünglich zum 01.07.98 zur Bundeswehr nach Pfreimd einberufen worden, dort aber nicht angetreten. Im Rahmen einer
Demonstration erschien der Verweigerer am 5.8.98 vor der Pfreimder Kaserne und gab sich auch zu erkennen. Die Bundeswehr verzichtete
hierbei jedoch auf eine Festnahme. Am 5.11.98 wurde der Jura-Student dann von einem Zivilen Einsatzkommando des Staatsschutzes in
Dresden gezielt verhaftet.
In den folgenden Monaten wurde die Haft mit den abstrusesten Begründungen ein ums andere Mal aufrechterhalten: Obwohl Eichler der
Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, sich einem Strafverfahren auf jeden Fall stellen zu wollen, wurde diesem Vorgang bei der Haftbeschwerde
keine Bedeutung beigemessen, denn "hierbei handelt es sich nach Überzeugung der Kammer um eine bloße
Zweckbehauptung". Daß die Flucht vor der Bundeswehr grundsätzlich nicht geeignet ist, Fluchtgefahr im Zuge des
Strafverfahrens zu begründen, hatten zwei Oberlandesgerichte bereits 1972 entschieden. Auf diese Entscheidungen wurde von Anfang an
hingewiesen. Die beiden Beschlüsse wurden von den Gerichten jedoch in den nachfolgenden fünf Haftfortdauerentscheidungen mit
keiner Silbe erwähnt. Einer der Höhepunkte bestand schließlich darin, daß internationale Solidaritätspost, die
den Untersuchungsgefangenen erreichte, ebenfalls zur weiteren Begründung der Fluchtgefahr herangezogen wurde: "Im Rahmen der
Briefkontrolle hat sich gezeigt, daß der Angeschuldigte durchaus über Kontakte zu im Ausland wohnenden Sympathisanten
verfügt."
Daneben wurde Verteidigerpost geöffnet und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Der Brief eines engen Freundes Eichlers wurde
beschlagnahmt, da er angeblich "grobe Beleidigungen" enthalte.
Es stellt sich die Frage, weshalb die Strafjustiz - durch alle Instanzen bis hin zum Oberlandesgericht Nürnberg - hier auf dem Klavier der
Rechtsbeugung spielt, daß es nur so scheppert. Mehrere Erklärungen sind denkbar: Zum einen handelt es sich bei diesem
Totalverweigerer nicht um "einen unter vielen", sondern Jörg Eichler ist seit Jahren in Dresden politisch aktiv und
entsprechend "bekannt", daneben aber inzwischen auch Herausgeber der bundesweiten TKDV-Zeitschrift Ohne uns. Weiterhin ist
gerade die Amberger Justiz im Zusammenspiel mit dem OLG Nürnberg bekannt dafür, es mit dem Recht - um es sehr moderat
auszudrücken - nicht so genau zu nehmen. Schließlich aber - und etwa hundert zum Prozeß martialisch auftretende Polizisten
machten das klar - ist Krieg.
Eine gewisse Schlüssigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Wo serbische Deserteure seit Jahren kein Aufenthaltsrecht in der BRD
bekommen, geschweige denn Asyl, statt dessen abgeschoben und nunmehr auch von deutschen Soldaten ermordet werden, kann es kaum
angehen, daß "Deserteure im eigenen Land" mit Gnade zu rechnen haben. Treffend daher die Bemerkung des Verteidigers in
der Hauptverhandlung: Das Verhalten des Totalverweigerers sei die "Kehrseite von dem, was zur Zeit deutsche Soldaten in Jugoslawien
anrichten." Inzwischen wird nicht nur die Desertion selbst verfolgt, sondern die Staatsanwaltschaften gehen landauf, landab dazu
über, auf Aufrufe zur Desertion oder Befehlsverweigerung gegen den - auch noch offen rechtswidrigen - Krieg mit Strafverfahren zu
reagieren. Der Krieg wird zunehmend auch an der Heimatfront geführt.
Detlev Beutner