Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 2

Steine auf die US-Botschaft

von ANGELA KLEIN

Man kann den Chinesen nur dankbar sein, daß sie den Beschuß ihrer Botschaft in Belgrad mit Massenprotesten und einem Steinhagel auf die US-Botschaft in Peking beantwortet haben. Das trägt die Antikriegsbewegung mit einemmal weit über Europa hinaus und verschafft ihr mächtige Verbündete in den Ländern, über die die USA meinen, sich bei der Planung ihres global play selbstherrlich hinwegsetzen zu können - in erster Linie die Staaten im UN-Sicherheitsrat, die gegen die NATO-Angriffe waren, Rußland und China.
  Im NATO-Hauptquartier hat man nicht begriffen, was man angerichtet hat. Die beiläufige Entschuldigung ist in der Betonung ihrer Nebensächlichkeit unglaublich arrogant. Was ist schon dabei, wenn China und Rußland sich aufregen, hängen sie nicht beide am Tropf des IWF? Essen sie nicht beide das Gnadenbrot des Westens? Rußland darf ein bißchen den Hampelmann spielen, weil es in Europa liegt und den europäischen Bündnispartnern das Verhältnis zu diesem Staat nicht egal ist. Aber sonst? Die Aufregung wird sich bald legen und ein Anlaß, die Bombardierungen einzustellen, besteht nicht.
  Irrtum, hoffentlich. Denn die Selbstgewißheit, mit der das deutsche Fernsehen die Proteste in Peking als "organisiert" und "herangekarrt" qualifiziert, mit ein paar nichtorganisierten Spinnern, die nur auf eine Gelegenheit gewartet hätten, Randale zu machen, zeigt doch eins: Arroganz macht blind. Ist die Wut über verletztes Nationalgefühl denn weniger ernst zu nehmen, wenn ihre Demonstration von der Regierung erlaubt oder gewünscht wird? Die Menschen im Fernsehen sahen nicht so aus, als hätten sie nur eine von oben verordnete Pflicht erfüllt, sie waren ganz bei der Sache und standen offensichtlich dahinter. Und kann es nicht auch mehr sein als nur verletztes Nationalgefühl, was hier zum Ausdruck kommt? Zum Beispiel Frustation über die Anpassung an die sog. "westlichen Werte" Konkurrenz, privater Besitz und soziale Ungleichheit?
  Danke für die Steine. Sie müßten überall fliegen. Hoffentlich bald auch wieder in Amerika, dem die Chinesen vielleicht gezeigt haben, daß der Balkan doch näher liegt, als sie annehmen. Denn es geht schon lange nicht mehr um die Flüchtlinge. Es geht darum, ob die NATO uneingeschränkt der Welt ihren Willen aufzwingen kann. Es geht um diese neue Weltordnung der Konzerne, Banken und Militärs, die jetzt, vielleicht, ihre verdiente Antwort bekommt: eine neue weltweite Antikriegsbewegung wie damals zu Vietnam. Wenn auch in anderen Formen und Konstellationen.


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