Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 3

Siemens im Rüstungsgeschäft

Der neue Kamerad in der Kompanie

Am 21.April demonstrierten vor der Kölner Siemens-Niederlassung etwa 30 KriegsgegnerInnen gegen die Verstrickung des Konzerns in die Kriege auf dem Balkan und in Kurdistan.

Kriege sind weder Schicksal noch Naturereignis. Sie werden geplant, vorbereitet und mit Berechnung angefangen und geführt. Manchmal auch ohne Kriegserklärung, wie im Fall des Krieges des NATO-Mitgliedstaats Türkei gegen die Kurdinnen und Kurden.
  Die daran beteiligt sind, die daran verdienen, haben Namen und Adressen und sind oft schon lange im schmutzigen Geschäft. Siemens war wichtigster Lieferant für elektrotechnische Rüstungsgüter im Nationalsozialismus. Der Umsatz stieg in dieser Zeit von 330 Millionen auf 1,8 Milliarden Reichsmark. Ab 1940 bestand die Siemens-Belegschaft zu 30% aus Zwangsarbeitern. Siemens beutete Häftlinge aus Ravensbrück, Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen und Auschwitz aus. An den Siemens-Standorten Nürnberg, Wien, Berlin und Neustadt-Coburg gab es KZ-Außenkommandos.
  Nur unter Druck, und weil man in die USA expandieren wollte, hat Siemens 1962 7 Millionen DM an die Jewish Claims Conference gezahlt. 2200 jüdische KZ-Insassen, die Zwangsarbeit und Lager überlebt hatten, erhielten eine einmalige Zahlung von 3300 DM. Die große Mehrzahl der Siemens-ZwangsarbeiterInnnen wurde bis heute nicht entschädigt.
  Vor etwa einem Jahr vermeldete das Internationale Konversionszentrum Bonn in einer Pressemitteilung zum Erscheinen des dritten Conversion Survey 1998 (Jahrbuch zur Rüstungskonversion): "In Westeuropa trennten sich eine Reihe von Firmen vollständig von der Rüstungssparte. Dieser Ausstieg aus der Rüstung wird speziell in Deutschland mit seinen stark diversifizierten Unternehmen als Strategie der Anpassung gewählt. So stieg mit Siemens eine Firma mit Traditionsnamen vollständig aus dem Rüstungsgeschäft aus und konzentriert sich auf die ohnehin starken zivilen Betätigungsfelder." Fast gleichzeitig gab Siemens einen Großauftrag von der Daimler-Benz Aerospace für die Entwicklung eines militärischen Datenverarbeitungssystems bekannt.
  Schon Anfang der 90er Jahre skizzierte Daimler-Chef Jürgen Schrempp eine grundlegende Veränderung der Rüstungsindustrie in Deutschland und in Europa. Die immensen Entwicklungskosten für neue Waffensysteme und die sich aus der veränderten Weltlage ergebenden politisch-militärischen Vorgaben verlangten stärkere internationale Kooperation. Außerdem würden bis auf wenige Ausnahmen klassische, reine Rüstungsschmieden verschwinden.
  Der scheidende Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Bundeswehrgeneral Naumann - der maßgeblichen Anteil an der Planung und Durchführung des NATO-Angriffs auf Jugoslawien hatte - forderte in einer Rede vor dem Brüsseler Manfred- Wörner-Kreis vor ein paar Wochen, die USA sollten die Abschottung ihrer militärischen Forschung aufgeben. Von einer Kooperation würde zwar Europa derzeit stärker profitieren, weil es den Know-how-Vorsprung der USA aufholen könne, aber in der Perspektive hätten alle Beteiligten etwas davon. Zeitgleich vermeldeten die Wirtschaftsseiten neue Rationalisierungen und Entlassungen bei Siemens und ein verstärktes Engagement des Konzerns in den USA.
  Was der Öffentlichkeit als Rüstungskonversion verkauft wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Neuordnung der deutschen bzw. europäischen Rüstungsindustrie. Die Fusion Daimler-Chrysler war Teil davon. Auch Siemens spielt darin eine wichtige Rolle.
  Eine Trennung zwischen "ziviler" und "militärischer" Produktion gibt es heute nicht mehr: Kriegführung ist ohne den sich ständig intensivierenden Einsatz von Mikroelektronik unmöglich. Kein Flugzeug, kein Hubschrauber, kein Panzer, kein Kriegsschiff kann sich ohne elektronische Hilfsmittel bewegen, geschweige denn einen Schuß, eine Rakete, einen Marschflugkörper abfeuern. Was bspw. für die Steuerung des sich verdichtenden "zivilen" Flugverkehrs erfunden wurde, findet Anwendung bei den Angriffen auf Jugoslawien.
  Wenn in den Medien von Milliardensummen die Rede ist, die der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien kostet, so fließen Teile dieser Summen auf Konten des Weltkonzerns Siemens. Bei jedem Einsatz der türkischen Armee mit Panzern, Hubschraubern oder Kampfflugzeugen gegen Kämpfer der PKK im Nordirak klingelt bei Siemens die Kasse.
  Siemens selbst pries Anfang der 90er Jahre seiner Kundschaft die Vorzüge zivilmilitärischer Verknüpfung so an: "Darüber hinaus besteht Zugang zum gesamten Know-how der anderen Bereiche des Siemens-Konzerns. Damit steht dem Kunden die volle Innovationskraft eines Großunternehmens zur Verfügung. Ein wichtiger Faktor, da heute viele militärisch nutzbare Fortschritte in der Elektronik vornehmlich im kommerziellen Bereich erzielt werden und die Produkte erheblich verbilligen."
  Die Zeitungen der Militärs und Rüstungsprofiteure feierten schon vor Jahren die Einführung der Mikroelektronik als "Revolution" der Militärtechnik, vergleichbar mit der Einführung der Panzer.
  Wir alle, die wie selbstverständlich PCs benutzen, sollten uns bewußt sein, daß es heute weder die Geräte noch die Programme ohne militärische Forschung so geben würde. Das Internet bspw. ist Ergebnis militärischer Forschung: Es ging den Militärs darum, auch nach "atomaren Schlägen" noch über ein funktionierendes Kommunikations- und Befehlsnetz zu verfügen. Die sich heute im zivilen Bereich durchsetzende Glasfasertechnologie zur Datenübertragung fand zuerst Anwendung im militärischen Bereich. Siemens war an Erforschung und Optimierung dieser Technologie beteiligt.
  "Ein neuer Kamerad in der Kompanie - Wenn die Verteidigungsbereitschaft in Zukunft mit reduziertem Budget und geringerer Truppenstärke zu sichern sein wird, muß vor allem einer ganz besonders stramm stehen: Kamerad Computer." So warb Siemens Mitte der 90er Jahre großformatig in einschlägigen Zeitschriften wie Europäische Sicherheit und Wehrtechnik: "Die Fortschritte moderner Elektronik werden im militärischen Bereich besonders augenfällig für Aufklärung, Führung und Waffeneinsatz genutzt … Ohne leistungsfähige Übermittlungseinrichtungen für Sprache, Daten und Video ist ein zeitgerechter, sicherer Informationsfluß nicht denkbar. An moderne Kommunikationssysteme und -netze stellen die Streitkräfte hohe Anforderungen in bezug auf Übertragungskapazität für Sprache, Daten und Video, Übertragungsgeschwindigkeit, Störsicherheit, Reichweite, Verschlüsselung … In enger Zusammenarbeit mit den Streitkräften hat Siemens Funk- und Fernmeldesysteme entwickelt, die diesen Forderungen entsprechen …"
  "Freund-Feind-Identifizierung: Ab Anfang der 70er Jahre arbeitete Siemens im Auftrag des Bundes an einem störsicheren neuen Identifizierungssystem. Die wesentlichen Erkenntnisse aus diesem Versuchssystem wurden von der NATO übernommen und bilden die Grundlage des jetzt unter Beteiligung von Siemens entstehenden neuen Identifizierungssystems NIS (NATO Identification System), das sich durch eine hohe Störfestigkeit auszeichnet…"
  Siemens gehört zu den Gewinnern des "Zusammenbruchs" des "real existierenden Sozialismus". Über Nacht taten sich im Osten Europas riesige bis dahin für Siemens schwer zugängliche Märkte für Telekommunikation und Computertechnik auf. Der Balkan ist in Sachen Telekommunikation eine der am wenigsten entwickelten Regionen in Europa. Jugoslawien hat es bis zum Auseinanderbrechen bis an die Schwelle zur Digitalisierung gebracht. Die Fusion der deutschen mit der italienischen Telecom hat auch etwas mit den sich hier auftuenden Märkten zu tun. Und Siemens ist einer der wichtigsten Zulieferer der deutschen Telekom.
  Bekanntlich sind das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter mit Siemens-Computern ausgestattet. Die größte elektrotechnische Fabrik der Türkei gehört Siemens. Man kann davon ausgehen, daß dort wie hier an den Terminals der Flughäfen und Grenzstationen Siemenstechnologie im Einsatz ist gegen Illegale, Flüchtlinge und politisch Verfolgte.
  Mitte der 80er Jahre erhielt Siemens den Auftrag für den Bau von Nachrichtenübertragungsstrecken in der Türkei im Wert von 265 Millionen Mark. Ende der 80er Jahre errichtete Siemens eine Fabrik für digitale Vermittlungseinrichtung für ca. 40 Millionen Mark. Mit einem Anteil von mehr als 8% ist Siemens führender Anbieter auf dem Elektromarkt der Türkei. Eine von IWF und Weltbank geforderte anstehende Privatisierung einer noch weitgehend staatlichen Industrie und Infrastruktur macht die Türkei ebenso zu einem interessanten Markt für Siemens wie der wachsende Energieverbrauch: sechs neue Kraftwerke sind geplant, wofür der Energieminister der Türkei ausländische Investoren sucht.
  Siemens baut mit an der U-Bahn für Istanbul, damit diese Stadt, der Türkei Tor zum Westen, den Ansprüchen westlicher Reisender in Sachen Handel, Krieg und Diplomatie gerechter wird - womit den Armen immer weniger Raum zum Leben bleibt.
  Siemens ist beteiligt am Bau türkischer U-Boote, Propellermotoren, Bordnetzen, Kommandoanlagen… Die an die Türkei gelieferten Fregatten sind mit Siemens-Elektronik ausgerüstet. Siemens lieferte ganze Waffensysteme an die Türkei wie die "germanisierte Version" (O-Ton Siemens) des US-amerikanischen Raketensystems Patriot. Siemens lieferte ein komplettes System für die Kommunikation zwischen Bombern, Aufklärern, Hubschraubern und deren Bodenstationen, mit denen die Militärs ihre Angriffe koordinieren können.
  Der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung frißt Jahr für Jahr ca. 6 Milliarden Mark aus dem türkischen Haushalt. Durch Investitionen von Weltkonzernen wie Siemens wird die Türkei zum Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie befähigt. Sie kann jetzt selber exportieren und erhält damit die Dollars, die sie für den Krieg braucht.
  Die Frankfurter Rundschau berichtet am 6. Oktober 1987 von der Vertragsunterzeichnung zwischen der türkischen Regierung und Siemens über den Bau eines Atomkraftwerks.
  Siemens hat seitdem mit dem Typ SDR-1000 einen neuen Reaktortyp entwickelt. Dafür läuft ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren beim Bundesamt für Strahlenschutz. Siemens verspricht sich von diesem Reaktortyp besondere Expotchancen in weniger industrialisierte Länder.
  Im Oktober 1998 verschob die türkische Regierung die erwartete endgültige Entscheidung für den Bau des Atomkraftwerks Akkuyu. Finanzielle Schwierigkeiten und das Problem, den Atomimport mit der türkischen Verfassung in Einklang zu bringen sind offenbar gravierender als erwartet. Außerdem steht zu vermuten, daß es internationale Vorbehalte dagegen gibt, der Türkei zu spaltbarem Material und damit zur Möglichkeit atomarer Rüstung zu verhelfen. Ein wichtiger Punkt der Risikoanalyse, die Grundlage der neuen NATO-Strategie ist, benennt die weitere Verbreitung atomarer, biologischer und chemischer Waffen…
  Für eine Antikriegsbewegung, die versucht, sich Klarheit und Scharfblick zu verschaffen, gibt es in diesem Land viele Adressen für Protest und Widerstand.
Kölner InternationalistInnen


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