Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 4

1.Mai in Berlin

Back to the Roots?

Der "Revolutionäre 1.Mai" in Berlin hat auch in diesem Jahr wieder großen Zuspruch gefunden. Allerdings nicht wegen der politischen Inhalte. War die autonome Zweiwochenzeitung Interim in früheren Jahren schon Monate vorher voll mit Debattenbeiträgen zum 1.Mai, herrschte dieses Jahr Funkstille. Das Editorial der Interim 474 bringt die Rolle der Autonomen unter der Überschrift "Unser alljährlicher Frühjahrsspaziergang" prägnant auf den Punkt: "Heraus zum 1.Mai, sagt die Partei (Antifaschistische Aktion Berlin). Und wieder kommen wir fast alle zum Oranienplatz. Und wir haben Spaß dabei. Nur interessiert es kaum jemand, was die Partei da so sagt."
  Versuche der Gruppe Venceremos, im Vorfeld eine Debatte über Inhalte des Revolutionären 1.Mai zu organisieren, stießen auf Desinteresse. Zur Repolitisierung des 1.Mai hatte Venceremos vorgeschlagen, "dieses Jahr den Zentren der Macht einen Besuch abzustatten. Warum sich in den Kiez zurückzuziehen und kleine Plattenläden demolieren, wenn man/frau die Möglichkeit hat, durch Daimler-City zu laufen?" Die Mehrheit der VorbereiterInnen ging lieber "back to the roots" nach Kreuzberg, da wo der Revolutionäre 1.Mai 1987 seinen Anfang nahm. Damit scheint das von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) favorisierte Konzept einer Revolutionären 1.Mai-Demonstration im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg endgültig beerdigt. Unter den dortigen StadtteilaktivistInnen fand die Demo nie große Unterstützung und die Vorbereitungsgruppen ließen sich an einem Finger abzählen.
  Die Teilnehmerzahl der von einem Großteil der Autonomen als stalinistisch etikettierten Mai-Demo, die jedes Jahr vom Oranienplatz losgeht, bröckelt ebenfalls kontinuierlich ab. Da lag die Idee, die schwachen Kräfte zu vereinen, nahe. Daß es schließlich doch wieder zwei Demonstrationen mit fast identischer Route, Parolen und Plakaten gab, lag am Beharrungsvermögen der maoistischen "Revolutionären Kommunisten" (RK). Nur eine Demo, die um 13 Uhr losgehe, sei richtig revolutionär, lautete deren Erklärung.
  Die AAB wiederum bestand auf 18 Uhr als Demotermin. Offiziell mit der Begründung, daß damit vorher noch die Möglichkeit bestehe, gegen etwaige Naziaufmärsche zu agieren. Inoffiziell hieß es aber, die AAB habe zumindest einen Kompromiß verlangt, damit es nicht ganz so aussehe, als habe sie sich nach dreimaligem Ausscheren in den Osten wieder brav in das Kreuzberger Demokonzept eingereiht.
  So marschierten denn ca. 2500 Menschen ab 13 Uhr mit den RK - durch den Kiez. Um 18 Uhr waren es dann ca. 13.000 Menschen, die einer Mischung aus Demo und Popevent beiwohnten. Für letzteres sorgte die AAB, die einen riesigen Lautsprecherwagen mit der linken Kultband Atari Teenage Riot auf der Demo mitfahren ließ. Der Musikwagen war von den DemonstrantInnen umlagert, auch der Zustrom aus den umliegenden Häusern war beachtlich. Die politischen Inhalte, die andere Gruppen in die Demo zu tragen versuchten, hatten da wenig Chancen gehört zu werden. Es ging hauptsächlich um Solidarität mit PKK-Chef Öcalan und die Ablehnung des Krieges in Jugoslawien.
  Bald machte auch die Staatsmacht dem fröhlichen Treiben ein Ende. Ließen sich zu Demobeginn noch lächelnde "Anti- Gewalt-Polizisten" mit Punks fotografieren, war es kurz vor Demoende schluß mit lustig. Starke Polizeikräfte stürmten in die Menge und prügelten auf alles, was ihnen im Wege stand. Mehrere schwerverletzte DemonstrantInnen, zum Teil mit Arm- oder Beinbrüchen durch Knüppelschläge, waren das Resultat. Die Demo wurde daraufhin vorzeitig aufgelöst. Auch mehrere PressevertreterInnen machten mit dem Polizeiknüppel Bekanntschaft, darunter ein Fernsehteam von Spiegel-TV und Redakteure des Berliner Kurier und der jungen Welt.
  Nach dem 1.Mai wiederholte sich, wie jedes Jahr, das übliche Ritual. Der Innensenator stellte sich bedingungslos hinter die Polizei, während die Demovorbereitungsgruppe den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz beklagte. Schon nach wenigen Tagen war auch in der linken Presse nichts mehr davon zu hören. Bis es dann im nächsten Frühjahr wieder heißt: "Auf zum revolutionären 1.Mai!"
Peter Nowak


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