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Nur eine Ruine ist von Chinas Botschaft in Belgrad geblieben. In der Nacht vom 7. auf den 8.Mai wurde sie
von NATO-Raketen getroffen. Drei Menschen starben in den Trümmern: die Xinhua-Korrespondentin Shao Yunhuan und die beiden
Reporter Xu Xinghu und Zhu Ying. Über 20 Menschen wurden verletzt.
Pentagon-Vertreter Ken Bacon sprach von einem "Fehler". "Wir haben nicht auf das Gebäude gezielt, die
Bombardierung war ein Fehler", meinte Bacon gegenüber der Presse. "Aber es gibt keinen Weg, kollaterale Schäden
oder unbeabsichtige Konsequenzen zu vermeiden, wenn Waffen eingesetzt werden." Gleich drei Geschosse trafen das Gebäude, aus
unterschiedlichen Richtungen kommend.
Bei der NATO machte man daher auch gar nicht erst den Versuch, von einem zufälligen Treffer zu sprechen, sonder schob der CIA die
Schuld in die Schuhe. Der habe falsche Koordinaten geliefert. Man habe sich auf alte Karten aus der Zeit vor dem Bau der Botschaft bezogen.
Nicht nur der Kommentator der "South China Morning Post" hält das für wenig glaubhaft.
Aus NATO-Kreisen hieß es, ein anderes Gebäude habe sich im Visier befunden. "Wir haben den chinesischen
Behörden erklärt, daß es sich um einen Unfall handelt, und ihnen unser tiefes Bedauern angeboten", erklärte
NATO-Sprecher Jamie Shea in Brüssel. Man habe ein Bürogebäude treffen wollen, in dem Jugoslawiens Waffenein- und
ausfuhren abgewickelt würden. Wie es zu dem Fehler kam, konnte Shea allerdings nicht erklären.
In Peking protestierte man mit einer scharfen Stellungnahme gegen den Angriff. "Die US-geführte NATO muß die volle
Verantwortung für den Vorfall übernehmen", hieß es in einer ersten Stellungnahme. "Die chinesische Regierung
behält sich weitere Schritte vor." Die NATO-Bomben hätten Völkerrecht und die Wiener Konventionen zum Schutz von
Diplomaten verletzt. Präsident Jiang Zemin sprach von einer "Kanonenboot-Politik" der NATO.
In China kam es an den Tagen nach den Bombardements zu zahlreichen Demonstrationen. 400.000 Menschen demonstrierten nach Angaben
Hongkonger Zeitungen in der Volksrepublik und in Hongkong gegen den "Akt der Barbarei", wie es verschiedene
Regierungssprecher nannten. Die Manifestationen wurden von den Behörden mit Wohlwollen betrachtet, wenn nicht gar organisiert.
Allerdings warnten Regierungsvertreter auch schon davor, daß sie zu weit gehen könnten.
Auf Verlangen Chinas trat in New York noch am 8.Mai der UN-Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammen. Pekings UN-Botschafter Qin
Huasun forderte den sofortigen und bedingungslosen Stopp der Luftangriffe. Nach mehrstündigen Verhandlungen hinter geschlossenen
Türen einigte sich das Gremium auf eine Stellungnahme, in der "Schrecken und Besorgnis" über die Toten und die
Zerstörungen ausgedrückt wurde.
Die Volksrepublik hatte sich gegenüber den westlichen Sicherheitsratsmitgliedern nicht mit einer Verurteilung der Angriffe als
"ernste Verletzung des Völkerrechts" durchsetzen können. Unterstützt wurde Peking in der Debatte unter anderem
von Rußland, Kuba und vom Irak. Chinesische Zeitungen halten den Verlauf der Sitzung für einen Hinweis darauf, daß es
schwieriger werde, ein Friedensabkommen zu erreichen.
In einem Gespräch mit seinem russichen Amtskollegen Igor Iwanow machte Pekings Außenminister Tang Jiaxuan klar, daß
Vorbedingung für jede Lösung ein Ende der Bombardements sein müsse. Die Basis für jedes Abkommen müsse
die Souveränität und Zustimmung Jugoslawiens sein. Die beiden Minister vereinbarten weitere Zusammenarbeit in dieser
Frage.
Als Reaktion auf das Bombardement hat sich auch Pekings Haltung zu den Verhandlungen über den Beitritt der VR China zur
Welthandelsorganisation (WTO) verhärtet. Nur Stunden nach dem Vorfall nahm der chinesische Unterhändler in einem
Gespräch mit japanischen Regierungsvertretern zahlreiche Zugeständnisse zurück, die Peking im Vormonat gemacht
hatte.
Beobachter in Hongkong nehmen an, daß nun die WTO-Gegner um den Vorsitzenden des Volkskongresses, Li Peng, und den Minister
für Informationstechnologie, Wu Jichuan, Oberwasser bekommen. In der chinesischen Wirtschaft hatten sich ohnehin manche Stimmen
besorgt über die rasche Öffnung der Märkte für Importe geäußert, die den USA bisher allerdings noch nicht
schnell genug geht.
Geht man von den Berichten chinesischer Zeitungen aus, dann glaubt in der Volksrepublik (und auch in Hongkong) kaum einer an einen
"Unfall". Die Pekinger Regierung hatte sich wiederholt scharf gegen die Angriffe auf Jugoslawien ausgesprochen. Zuletzt hatte es
über diese Frage sogar eine deutliche Annäherung an Indien gegeben. Beide Staaten kritisieren die Aushebelung der UNO und
fürchten einen Präzedenzfall, nicht zuletzt in Hinblick auf diverse interne Konflikte.
Daß ist weniger abwegig, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. In den USA sind sich die führenden Kräfte beider
Parteien einig, daß man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht wieder zulassen werde, daß eine zweite Supermacht
entsteht ("Le Monde Diplomatique", Juli 1997). Washington betreibt daher schon seit Jahren gegenüber China eine Politik der
militärischen Einkreisung. Neben der hohen Truppenpräsenz in Japan und Südkorea gehören dazu auch neue
Flottenabkommen mit den Philippinen und geplante Antiraketensysteme, die u.a. auch für Taiwan entwickelt werden sollen.
Wolfgang Pomrehn