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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 5

Der G8-Kompromiß

Wettlauf mit der Zeit

Joseph Fischer wird auf dem Sonderparteitag der Grünen am 13.Mai noch als "Friedensstifter" auftreten können - so sehr haben sich die Zerstörungsorgien der NATO in Serbien und in Kosova verselbständigt und die Allianz politisch in die Sackgasse geführt.
  Dabei ist noch völlig unklar, ob sein "Plan", die geplante Überwachungstruppe in Kosova einem UN-Mandat zu unterstellen, irgendeine Realisierungschance hat. Zunächst aber hat er die Aura der diplomatischen Initiative auf seiner Seite (zusammen mit Italien und Rußland), während die USA und Großbritannien scheinbar nur Bomben werfen können.
  Der Kompromiß, der auf dem Sondertreffen der Außenminister der G8 am 7.5. zustandekam, läßt denn auch alle wesentlichen Fragen offen:
  * Es soll einen "Rückzug militärischer, polizeilicher und paramilitärischer Kräfte aus Kosova" geben - von allen Beteiligten oder nur von einigen; aus ganz Kosova oder nur einem Teil davon?
  * Es soll eine "internationale zivile und Sicherheitspräsenz in Kosova stationiert werden, die von den UN gebilligt, beschlossen und in der Lage ist, die gemeinsamen Ziele zu garantieren".
  Das ist eine der spannendsten Fragen. Die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post berichtet, Tschernomyrdin und Clinton hätten sich auf eine Kfor-Truppe unter UN-Mandat in einer Stärke von 50.000 Mann geeinigt, die zur Hälfte aus Soldaten nicht-alliierter Staaten bestehen soll. Die "Zwei-Komponenten-Kraft" besteht aus einem nichtbewaffneten und einem bewaffneten Teil. Welcher soll die Waffen tragen, die NATO oder die Nicht-NATO? Clinton habe auf der NATO bestanden. Und wenn es so ist, welche NATO-Staaten würden Soldaten entsenden: die der Kriegsparteien oder die nicht direkt im Krieg involvierten?
  Die Ober-Kriegshetzerin Madeleine Albright besteht darauf, der "NATO-Kern" müsse von Amerikanern und Briten angeführt werden, "sonst kehren die Kosovaren nicht in ihre Heimat zurück und es wird nicht möglich sein, die Region zu entmilitarisieren". Milosevic, so zitiert die italienische Tageszeitung "La Repubblica" das serbische Bulletin Vip Daily News, sei "bereit, Truppen aus Rußland, der Ukraine und einiger nichtpaktgebundener Staaten zu akzeptieren", aber auch einiger NATO-Staaten wie Portugal, Griechenland und Italien.
  Der entscheidende Punkt hinsichtlich der NATO-Kräfte scheint der zu sein, ob sie Kriegspartei sind oder nicht. Truppen aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Türkei will Milosevic nicht akzeptieren.
  Weiter ist die Frage: Operieren die Truppen auf der Basis des Artikels 6 der UNO-Charta (dann dürfen Soldaten Waffen nur zu legitimen Selbstverteidigung einsetzen) oder des Artikels 7 (dann gilt diese Beschränkung nicht)?
  Innerhalb der NATO gibt es Streit um die Frage, ob der Rückzug der jugoslawischen Truppen Voraussetzung für die Einstellung der Bombenangriffe ist oder nicht. Milosevic, der den G8-Kompromiß positiv aufgegriffen hat, hat seine Position folgendermaßen skizziert (laut UPI): "1. die NATO stellt die Bombenangriffe ein; 2. sie zieht alle ihre Truppen von den jugoslawischen Grenzen zurück; 3. in diesem Fall wäre Belgrad bereit, seine Militär- und Polizeitruppen von derzeit 100.000 Mann in Kosova auf 10.000-20.000 zu reduzieren. Die NATO will aber einen Totalabzug." Anderen Quellen zufolge erwägt er den Rückzug der Streitkräfte auf ein Teilgebiet von Kosova.
  * Teil des G8-Kompromisses ist des weiteren die Schaffung einer Übergangsverwaltung für Kosova, die Meldungen zufolge von der OSZE gebildet werden soll, unter "voller Berücksichtigung des Rambouillet-Abkommens". Die UÇK soll entwaffnet werden.
  Dagegen hat sie heftig protestiert. Ihr Sprecher Jakup Krasniqi versucht Ibrahim Rugova die Rolle des Sprechers der Kosovaren streitig zu machen.
  In der Sache gibt es kaum Unterschiede: Sowohl Rugova wie die UÇK-Führung (wie im übrigen auch die albanische Führung, die offiziell aber keine Rolle spielt) unterstützen eine Stationierung von NATO-Truppen in Kosova und die Einrichtung eines entsprechenden Protektorats; die UÇK macht sich Hoffnungen auf eine offizielle Anerkennung durch die NATO - evtl. als Polizeitruppe in Kosova, und lehnt "jede Friedenstruppe ab, die nicht unter der Führung der NATO steht". Sie ist die schärfste Verfechterin des Bombenterrors und wirft Rugova seine serbischen Kontakte als "Verrat" vor.
  Es steht sehr in den Sternen, ob ein Kompromiß auf dieser Basis zustandekommt - die Positionen sind nicht weniger unversöhnlich als in Rambouillet. Daran ändert auch wenig, daß nunmehr die russische Regierung mit ins Boot geholt werden konnte.
  Die westlichen Medien feiern dies einerseits als "Einschwenken" auf die NATO-Linie und weitere Isolierung der Regierung Milosevic, andererseits betonen sie die Labilität der russischen Verhältnisse.
  Die Financial Times (8.5.) stellt Überlegungen an, wenn ein Kompromiß gefunden werden solle, müsse dies rasch geschehen; die NATO müsse Zeit haben, noch vor dem Winter einen Bodenkrieg zu führen und ihn abzuschließen.
  Dies deutet daraufhin, daß USA und Großbritannien weiterhin darauf bauen, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Wenn der G8-Kompromiß jedoch scheitert, stünde die Frage der Bodentruppen definitiv zur Entscheidung an.
  Die Antikriegsbewegung kann durchaus das Ihre dazu beitragen, daß sie zu einer Zerreißprobe für die NATO gerät.
Angela Klein


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