Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 6

Wenig prickelnd

Champagner 99 erfüllte nicht die Erwartungen

Die Idee war zündend, und die erste Debatte gar nicht so übel.
  Ziel der Erwerbslosenkampagne "Champagner 99" war es, so viel öffentlichen Druck zu machen, daß die unmittelbaren Forderungen der Erwerbslosen erfüllt werden. Dazu gehört die Rücknahme der jüngsten Kürzungen und Schikanen gegen Erwerbslose wie die dreimonatliche Meldekontrolle, der Bewerbungszwang oder die Aufhebung des Berufsschutzes. Weiter lauteten die Sofortforderungen: 300 Mark sofort an alle Erwerbslose und SozialhilfebezieherInnen, volle Auszahlung des Kindergeldes, Streichung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
  Geplant war, durch bundesweite Aktionen der Erwerbslosen und ihrer UnterstützerInnen in drei Phasen die neue "rot"- grüne Bundesregierung unter Druck zu setzen. Sie sollten auch die weitverbreitete Unzufriedenheit über die zum Ritual verkommenen monatlichen "Aktionstage" konstruktiv auffangen.
  So unterstützte das letzte Bundestreffen der "Bundesarbeitsgemeinschaft unabhängiger Erwerbslosengruppen" (BAG Erwerbslose) den von der ALSO kommenden Vorschlag der Kampagne. Es wurde vereinbart, über regionale Verteiler die bundesweiten Erwerbslosengruppen mit dem Kampagnenvorschlag zu konfrontieren und Ende Februar zu einer Entscheidung über ihre Durchführung in Kassel zusammenzukommen.
  Dort stellte sich heraus, daß von den 20 versammelten Gruppen nur weniger als die Hälfte erklärten, den ersten Schritt der Kampagne zu realisieren. Daraufhin votierte die ALSO in Ermangelung der erwarteten größeren Resonanz gegen ihren eigenen Vorschlag. Die zur Durchführung entschlossenen Städte bildeten eine Koordinierungsgruppe und bereiteten den ersten Aktionstag am 15.April vor.
  Über Internet und u.a. auf dem "Existenzgeld"-Kongreß der Gruppe FelS in Berlin wurde eifrig Werbung betrieben. Kurz nach Kriegsbeginn schlugen jedoch die aktiven Erwerbslosen aus Kiel vor, den Beginn der Kampagne zu verschieben. Sie begründeten dies mit dem Engagement ihrer Aktivisten bei den Antikriegsaktivitäten und befürchteten, daß die Erwerbslosen zur Zeit das Medieninteresse nicht auf ihrer Seite hätten.
  Trotz dieser berechtigten Einwände startete die Koordinierungsgruppe am 15.April den ersten Schritt. Erwartungsgemäß beteiligten sich weniger als zehn Städte an der Aktion, deren Ziel, nämlich die befristete Besetzung von SPD-Büros, nur in einem Fall erreicht wurde. Insgesamt nahmen etwa 200 Leute an den Aktionen teil. Ungeachtet der mageren Resonanz beschloß die Koordinierungsgruppe die Durchführung der zweiten Phase, die Besetzung von Arbeitsämtern. Dies wurde am 6. und 7.Mai in vier Städten versucht, wobei es nur in Freiburg gelang, über Nacht im Amt zu bleiben.
  Gemäß dem Aktionsplan sollen nun am 17.Mai Parteibüros der SPD unbefristet besetzt werden. Nüchtern ist zu bilanzieren, daß es der Kampagne nicht gelang, neuen Schwung in die hiesige Erwerbslosenbewegung zu tragen. Auch fehlte die Unterstützung der "Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen" sowie des Arbeitslosenverbands.
  Die Solidarität der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) setzte sich nicht in aktives Handeln um. Das Engagement von vielen Erwerbslosen bei den EuroMarsch- und Antikriegsaktivitäten ist sicherlich auch ein Faktor gewesen. Wir müssen konstatieren, daß die Erwerbslosen noch nicht bereit sind, "französisch zu reden".
  Beim EU-Alternativgipfel sollte eine offene und ehrliche Aussprache der aktiven Erwerbslosen über das Scheitern der Kampagne "Champagner 99" erfolgen. Sonst würde ein bitterer Nachgeschmack bleiben.
Paul Stern


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