Sozialistische Zeitung |
Nach dem Ende der Balkankriege zu Beginn dieses Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg verteilte sich die
albanische Nation auf verschiedene Staaten: Albanien, Griechenland und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929
Königreich Jugoslawien). Kosova wurde Jugoslawien zugeschlagen. In der Zwischenkriegszeit führte die jugoslawische Regierung
eine Politik der serbischen und montenegrinischen Immigration nach Kosova, die jedoch auf den Widerstand nicht nur der mehrheitlich
albanischen Bevölkerung, sondern auch der indigenen slawischen Bevölkerung stieß.
Die Gebietsaufteilung der ersten Nachkriegsperiode hatte dazu geführt, daß die Mehrzahl der Albaner (ca. 60%) außerhalb
Albaniens lebte, 70% davon in Kosova. Nun wurde Albanisch zum erstenmal Unterrichtssprache und auch in der Verwaltung weithin
verwendet. Serbische und montenegrinische Siedler, die im Zusammenhang mit der jugoslawischen Kolonisierung Kosovas in den 20er und
30er Jahren nach Kosova gekommen waren, wurden von Albanern angegriffen. Über 10.000 slawische Familien wurden gezwungen,
Kosova zu verlassen. Allerdings wandten sich diese Feindseligkeiten hauptsächlich gegen neue Siedler; serbische Familien, die seit
Generationen in Kosova ansässig waren, hatten darunter weit weniger zu leiden.
Während des Zweiten Weltkriegs war Kosova geteilt: Deutschland hielt den an Erzen reichen nördlichen Teil besetzt, Bulgarien
den östlichen, Italien den Rest. Der von Italien besetzte Teil wurde Albanien angeschlossen, das von Italien besetzt und 1938 der
italienischen Krone zugeschlagen worden war. Viele Bewohner Kosovas hatten die italienische Invasion begrüßt, weil sie den
Traum von der Zusammenführung aller Albaner in einem Staat zu realisieren schien. Nach dem Sturz Mussolinis besetzten die Deutschen
ganz Kosova.
Unter den Kosova-Albanern entwickelten sich eine Reihe von Organisationen, die mit den Besatzern kollaborierten: die Nationale Allianz der
Albaner; die Zweite Prizren-Liga, die beanspruchte, alle Albaner in Albanien und Jugoslawien zu vertrete; und Balli Kombetar. Mit Ausnahme
der kleinen Schar von Albanern, die der SS-Freiwilligendivision "Skanderbeg" beitrat, waren die meisten dieser Organisationen
trotz ihrer Kollaboration nicht in erster Linie pronazistisch eingestellt, sondern hauptsächlich von einem albanischen Nationalismus
motiviert, der sich oft mit einem entschiedenen Antikommunismus paarte.
Kosova war das Gebiet mit der geringsten Unterstützung für die Partisanen. Im Sommer 1940 gab es hier nur 239 Mitglieder der
Kommunistischen Partei, davon ganze 25 Albaner. Erst im Januar 1943 entfaltete die erste albanische Partisaneneinheit "Zejnel
Ajdini" eine ernsthafte militärische Aktivität in Kosova, als sie eine deutsche Kolonne auf der Straße südlich von
Prishtina in einen Hinterhalt lockte. Dieser Erfolg führte zur Bildung einer zweiten albanischen Einheit, "Emin Duraku", die
bei ihrem ersten Einsatz eine italienische Kolonne angriff und dabei 23 Soldaten tötete.
Trotz dieser Erfolge stand in einem Lagebericht der KP Jugoslawiens (KPJ) vom August 1943: "Die Bewegung im Kosovo ist sehr
schwach, fast tot. Sie ist von den albanischen Massen vollkommen abgeschnitten … Unter den albanischen Massen gelten die Kommunisten als
diejenigen, die sich an die Serben verkauft haben." Tatsächlich hatte die KPJ auch unter den Serben in Kosova wenig
Rückhalt; die meisten von ihnen unterstützten die serbisch-nationalistische Bewegung der Tschetniks.
Infolge der Schwäche der Partisanen war die Befreiung Kosovas weitgehend das Werk der bulgarischen und sowjetischen Armee, vor
allem im Osten. Albanische und jugoslawische Partisanen bekämpften zwar das Skanderbeg-Regiment im Westteil Kosovas, in den
meisten Fällen konnten sie jedoch erst nach dem Rückzug der deutschen Truppen die Städte besetzen.
Der Abzug der Deutschen war auch von wachsenden Anti-Partisanen-Aktivitäten begleitet; sie mündeten in einem verbreiteten
albanischen Aufstand Anfang 1945. Kosova wurde daraufhin unter Kriegsrecht gestellt; Tausende von Albanern wurden von den Partisanen im
Zuge der Unterdrückung des albanischen Widerstands getötet.
Die Politik der KPJ und Albaniens
Während des Krieges änderten jugoslawische und albanische Partisanen häufig ihre Haltung zum Status von Kosova. Bei der
Gründungskonferenz [November 1941] der KP Albaniens (PKSh) stand die Frage nicht einmal auf der Tagesordnung. Im August 1943
gab es in Mukje, einem Dorf nördlich von Tirana, ein Treffen zwischen der PKSh und Balli Kombetar; sie einigten sich auf den
gemeinsamen Kampf für "ein unabhängiges Albanien und - über die Anwendung des Prinzips … der Selbstbestimmung
der Völker - für ein ethnisches Albanien".
Diese hinsichtlich der Zukunft Kosovas zweideutige Formel stieß auf den Widerspruch der Führung sowohl der KPJ wie der PKSh.
Enver Hoxha schrieb den Delegierten der PKSh in Mukje, sie sollten "dem Faschismus den Krieg erklären, nicht die
Unabhängigkeit ausrufen". Dennoch fanden Ende 1943 einige Hinweise auf das Selbstbestimmungsrecht, einschließlich des
Rechts auf Loslösung, Eingang in die Erklärungen der PKSh zu Kosova - mit Billigung der KPJ.
Dieser politische Kurswechsel verstärkte sich auf einer Sonderkonferenz zweier örtlicher Verbände der KPJ in Kosova. Die
Konferenz von Bujan vom 31.Dezember 1943 bis zum 2.Januar 1944 wurde von 49 Delegierten besucht, 42 davon Albaner. Sie akzeptierte
weitgehend das Recht Kosovas, sich von Jugoslawien zu lösen und mit Albanien zu vereinigen. Tito widersetzte sich jedoch ihrem
Beschluß.
Es sieht so aus, daß die KPJ nicht die Absicht hatte, einen Anschluß Kosovas an Albanien zuzulassen. Edvard Kardelj
argumentierte zwar, die Vereinigung Kosovas wäre die beste Lösung, aber er erklärte auch, "weil weder einheimische
noch auswärtige Faktoren dies begünstigten, muß [Kosova] eine zusammenhängende Provinz im Rahmen Serbiens
bleiben".
Kosova unter Tito
Kosova wurde weitgehend gegen den Willen seiner Bewohner Jugoslawien angegliedert. Die Entscheidung, Kosova zu Serbien zu schlagen,
wurde auf einem Treffen des Regionalen Volksrats von Kosova im Juli 1945, wo ein "Resolutionsentwurf für den Anschluß
von Kosova-Metohija an den Bundesstaat Serbien" per Akklamation angenommen wurde. Bezeichnenderweise waren nur 33 von 142
Delegierten auf diesem Treffen Albaner. Zu der Zeit standen ca. 50.000 Partisanentruppen in Kosova. Die albanische Opposition war zu
diesem Zeitpunkt bereits niedergeworfen worden.
In der Verfassung von 1946 wurde Kosova als "autonome Region" Serbiens anerkannt; sie erhielt damit einen geringeren Status als
die "autonome Provinz" Vojvodina. Die Albaner, obgleich die drittstärkste Bevölkerungsgruppe in Jugoslawien (hinter
Serben und Kroaten), wurden nicht als "Nation" anerkannt, sondern nur als "nationale Minderheit. Nur "Nationen"
konnten eigene Republiken in der Föderation bilden, und nur "Nationen" hatten das Recht auf Sezession.
Darüber hinaus war die albanische Bevölkerung über verschiedene Republiken zerstreut: Montenegro, Mazedonien, Serbien
und natürlich Kosova. Anders als die Vojvodina bekam Kosova keine eigene Gesetzgebung und keinen eigenen Obersten Gerichtshof.
Seine lokalen Verwaltungseinheiten entbehrten jeder unabhängigen Entscheidungsgewalt.
Dennoch war dies nicht nur eine zynische Entscheidung. Beide Führungen, die der KPJ wie der PKSh, waren nach 1945 für den
Aufbau einer größeren Balkanföderation und es gibt keinen Grund zur Annahme, sie hätten nicht geglaubt, die Frage
Kosovas könne - wie die anderer albanischer Gemeinden in Jugoslawien - auf friedlichem Weg innerhalb einer solchen
größeren Föderation gelöst werden. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, Tito habe sich Stalins zynischen
Standpunkt zu eigen gemacht - wie er von Milovan Djilas berichtet wird -, Jugoslawien solle Albanien einfach schlucken.
Tatsächlich gab es Schritte hin zu einer engeren Einheit zwischen Albanien und Jugoslawien. 1946 besiegelte ein
"Freundschaftsvertrag" ein Wirtschaftsabkommen, das alle Zollschranken beseitigte. Es gab in dieser Zeit eine gewisse Migration
aus Albanien nach Kosova - doch keineswegs in der Größenordnung, die heute von serbischen Nationalisten behauptet wird -, und
es gab einen beträchtlichen Grenzverkehr zwischen Kosova und Albanien. Enver Hoxha erarbeitete Pläne für eine
Vereinigung der albanischen und jugoslawischen Armeen, und noch im März 1948 drängte er Tito, konkrete Schritte zu einer
Vereinigung der beiden Staaten (Albanien und Jugoslawien) zu unternehmen.
Nach den repressiven Anfängen hatte die KPJ ebenfalls Schritte unternommen, den Forderungen der Kosovaren entgegenzukommen.
Obgleich sie ihre ursprüngliche Entscheidung, den serbischen Siedlern das Recht auf Rückkehr nach Kosova zu verwehren, wieder
aufhoben, zeigten viele frühere Siedler in der Praxis - nach ihren Kriegserfahrungen - wenig Neigungen zurückzukehren. Im
Ergebnis wurden fast 16.000 Hektar Land an Albaner verteilt. Die albanische Sprache wurde, mindestens in der Theorie, dem
Serbokroatischen in Politik und Verwaltung gleichgestellt.
In der Praxis gab es anfangs wenig Veränderungen, weil die meisten Beamten Slawen waren; 74% der kosova-albanischen
Bevölkerung über 10 Jahre waren Analphabeten. 1945 gab es auch nur ca. 300 albanische Schullehrer; sie forderten, das
Lehrpersonal solle aus Albanien kommen. Diese geringfügigen, aber wichtigen Maßnahmen wurden nach dem Bruch zwischen Tito
und Stalin 1948 eingestellt; die albanische Führung entwickelte sich zu einer der unerbittlichsten Gegnerinnen Jugoslawiens.
Folgen des Bruchs
Der Bruch mit Stalin, und somit mit Albanien, führte zu einer Periode verschärfter Repression gegen die albanische
Bevölkerung in Jugoslawien. Belgrad hatte Angst, die albanische KP würde versuchen, die zahlreiche albanische
Bevölkerung in Jugoslawien zu mobilisieren, um Tito zu stürzen. Gleichzeitig warf das Hoxha-Regime in Albanien Opponenten
vor, Agenten Titos zu sein. Die Grenze zwischen den beiden Staaten wurde geschlossen und führte einige Jahrzehnte hindurch zu einer
Isolation zwischen Albanern auf beiden Seiten der Grenze.
Gleichzeitig ergriff die jugoslawische Führung Maßnahmen, die albanische Bevölkerung in der Föderation zu
verringern. Vornehmlich startete sie eine Kampagne der "Turkifizierung"; die Albaner in Kosova und in Mazedonien wurden
ermutigt, sich als ethnische Türken eintragen zu lassen. Dieser Prozeß wurde von Türken unterstützt, die 1951 zu einer
nationalen Minderheit erklärt wurden; in Kosova wurden türkische Schulen eröffnet.
Den Erfolg dieser Politik kann man an der Bevölkerungsentwicklung ablesen: 1948 waren 1315 Türken in Kosova registriert; 1953
stieg ihre Zahl auf 34.583. Im selben Jahr wurde eine starke Emigration von "Türken" aus Kosova in die Türkei
zugelassen. Von 1954 bis 1957 verließen an die 157.000 Albaner das Land in Richtung Türkei; an ihre Stelle traten neue serbische
und montenegrinische Siedler.
Die Politik der "Turkifizierung" scheint weitgehend ein Mittel gewesen zu sein, einen großen Teil der albanischen
Bevölkerung in Kosova davon zu "überzeugen", das Land zu verlassen. Sie hatte allerdings auch eine gute Seite: eine
große Zahl von Serben, Albanern und Türken waren damals dreisprachig. Heute sprechen Serben und Kosovaren die jeweils
andere Sprache in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr.
Während der 50er Jahre blieb die albanische Bevölkerung im wesentlichen unterdrückt und ständiger Repression
ausgesetzt. Es gab allerdings auch Zeichen von Widerstand. Am 1.Mai 1956 entfalteten vier junge Kosovaren eine albanische Flagge in
Djakovica. In den folgenden Monaten wurden albanische Flaggen auf Regierungsgebäude, Schulen und Züge gehißt. Es folgte
eine noch schärfere Repression, mit Tausenden von Verhaftungen. Albanische Häuser wurden regelmäßig nach Waffen
durchsucht, und da die Geheimpolizei annahm, jeder albanische Haushalt sei im Besitz von mindestens einer Waffe, mußte jeder, der eine
solche nicht vorzeigen konnte, mindestens in den Verdacht geraten, sie versteckt zu haben.
1956 war sicher das schlimmste Jahr in diesem Jahrzehnt für die Kosovaren. Im Juni und Juli wurden drei Derwisch-Scheichs (darunter
Nijazi Maljoku, der Neffe von Mehmet Hoxha, einem Minister in der serbischen Regierung) im Geheimen in Prizren vor Gericht gestellt, neben
einer Anzahl von Bauern, die des Lesens und Schreibens unkundig waren. Alle Angeklagten wurden zu schweren Gefängnisstrafen
verurteilt.
Der Fall macht allerdings auch den beginnenden Kurswechsel in der jugoslawischen Führung deutlich. Die Geheimpolizei wollte
nämlich auch Fadil Hoxha, einen Partisanenführer aus der Kriegszeit, und eine Reihe anderer führender Kommunisten
verhaften, wurde daran aber durch das Außenministerium gehindert, das eine Wiederannäherung an die UdSSR und Albanien suchte
und deshalb einen weiteren "Kominform-Skandal" vermeiden wollte. Zwölf Jahre später wurden alle Verurteilten
freigelassen und für unschuldig erklärt. Trotz fortgesetzter Repression auch nach 1956 führte der neue Kurs zu einer
erheblichen Veränderung der Stellung der Kosovaren im folgenden Jahrzehnt.
In der Periode 1956-1960 entwickelten sich in Kosova albanische Literatenzirkel. Adem Demaci - ein zukünftiger Führer der UCK
- wurde dort erstmals bekannt. In seiner Novelle "Blutschlangen" hat Demaci ein anklagendes Bild von der schrecklichen
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rückständigkeit Kosovas gezeichnet, in der die Blutrache noch verbreitet war. Die Novelle
wurde äußerst populär; infolgedessen verboten. Zwei Jahre später wurde Demaci ins Gefängnis geworfen, weil
er die Zwangsdeportation von Hunderttausenden Albanern unter dem Vorwand, sie seien Türken, kritisiert hatte. Andere Schriftsteller
Kosovas wurden ebenfalls ins Exil gezwungen, oder sie kamen ins Gefängnis.
Die Verfassungen von 1963 und 1974
Die Verfassung von 1963 hatte auf die Kosovaren widersprüchliche Auswirkungen. In gewisser Hinsicht machte sie ihre Situation
schlimmer: anders als die Verfassung von 1946 anerkannte sie die autonomen Regionen nicht länger als konstitutiven Bestandteil der
Föderation (des Bundes). Die Schaffung bzw. Auflösung von autonomen Regionen war nun in das Recht der Republiken gestellt.
Gleichzeitig nahm die Zahl der Abgeordneten aus Kosova in die Nationalitätenkammer des Bundes zu und Kosova erhielt nun denselben
Status wie die Vojvodina - hauptsächlich dadurch, daß der Status der letzteren eingeschränkt wurde.
In anderer Hinsicht verbesserte sich die Situation der Albaner. 1966 entließ Tito den Chef der Geheimpolizei Alexander Rankovic. Er
wurde beschuldigt, Albaner und Ungarn brutal behandelt zu haben. Die wirklichen Gründe für seine Entlassungen lagen
wahrscheinlich eher in innerbürokratischen Auseinandersetzungen; aber sie hatte zur Folge, daß die Albaner wieder
Aktivitäten für eine größere Autonomie entfalteten. Der Staatsanwalt der Provinz Kosova, Rezak Salja, forderte gar
eine eigene Republik für die in Jugoslawien lebenden Albaner, mit dem Recht auf Selbstbestimmung und auf Lostrennung. Tito wies diese
Forderung zurück, aber 1967 besuchte er Kosova, was die Albaner als eine Unterstützung ihrer Forderungen verstanden.
Die Losung "Kosova - Republik" war erstmals am 27.November 1968 im Zusammenhang mit Straßendemonstrationen in
Prishtina und anderen Städten Kosovas zu hören. Andere Losungen lauteten: "Wir wollen eine Universität";
"Nieder mit der Kolonialpolitik in Kosova"; "Lang lebe Albanien"; "Lang lebe Enver Hoxha". Die
Demonstrationen weiteten sich in Kosova und in Mazedonien rasch aus.
Sie mündeten 1968 und 1969 in Änderungen der Bundesverfassung sowie der Verfassung Serbiens; die autonomen Provinzen
erhielten mehr judikative und legislative Rechte und eine direkte Vertretung in der Bundesversammlung. Die autonomen Provinzen galten nun
als "soziopolitische Gemeinschaften"; das war derselbe Begriff, mit de auch die Republiken definiert wurden.
Kosova bekam auch eine höhere Priorität bei der Verteilung zentraler Wirtschaftsfonds, obschon in sehr ungleicher Weise. Es
bekam eine eigene Universität und Flagge (die Albaniens). Ein weiteres Zugeständnis an das albanische Nationalgefühl war
die Änderung des Provinznamens von Kosova-Metohija in Kosova. (Metohija bezieht sich auf Land, das vormals der serbisch-
orthodoxen Kirche verliehen worden war und deshalb serbischen Besitz implizierte, was für die Albaner einen Affront
darstellte.)
Das Bekenntnis zu Albanien und zu Enver Hoxha wurde nicht länger als Landesverrat geahndet, wie dies wenige Jahre zuvor noch der
Fall gewesen war. Es ist auch fraglich, ob es in Kosova tatsächlich viel Unterstützung für Hoxha gegeben hat. Die erste
bekannte Pro-Tirana-Bewegungen in Kosova, die revolutionäre Bewegung für die Vereinigung der Albaner, wurde erst in den 60er
Jahren von Adem Demaci gegründet; wahrscheinlich hatte sie nicht mehr als 300 Mitglieder. Die meisten Kosovaren, die Albanien
besucht hatten, hatten wenig Grund, sich für Hoxhas Staat zu erwärmen.
Dennoch bedeutete die Aufstellung proalbanischer Parolen und ihre Duldung durch die jugoslawischen Behörden einen Wechsel in den
Beziehungen zwischen Belgrad und Tirana nach der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei 1968.
1968 war der 500.Todestag des großen albanischen Nationalhelden Skanderbeg. Er wurde sowohl in Kosova wie in Albanien gefeiert. In
dieser Zeit intensivierten sich die Beziehungen zu Albanien. Es gab sogar Bestrebungen, in Kosova anstelle des dort meist gesprochenen
gegischen Dialekts den toskischen Dialekt als Amtssprache einzuführen. Dies hatte jedoch negative Folgen für die slawische
Bevölkerung, die klagte, sie könne die örtlichen Albaner nicht mehr verstehen.
Die Hinwendung zu Albanien schlug sich auch im Aufschwung der Universität Prishtina nieder; die Zahl der Studierenden der freien
Künste, besonders der albanischen Geschichte und Literatur, nahm stark zu. Es gab auch verstärkte Bestrebungen, die mehr Albaner
in den Verwaltungsapparat Kosovas aufzunehmen. Diese Fortschritte wurden durch die Verfassung von 1974 festgeschrieben: sie verlieh
Kosova und der Vojvodina die Rechte einer Republik, ohne sie so zu nennen. In der Folgezeit gab es eine verstärkte Albanisierung der
Provinz: Zweisprachigkeit wurde zu einer notwendigen Voraussetzung für die Beschäftigung im Staatsdienst; vier Fünftel
aller Stellen wurden für Albaner reserviert.
Doch es gab auch weiterhin Verfolgung. 1974 demonstrierten die Studenten in Prishtina für die Vereinigung der mehrheitlichen
albanischen Regionen von Montenegro und Mazedonien mit Kosova. Im darauffolgenden Jahr wurden zahlreiche Studenten eingesperrt, weil sie
eine "Nationale Befreiungsbewegung Kosovas" gegründet hätten, die für die Vereinigung mit Albanien eintrat.
Andere Hoxha-orientierte Organisationen wie die "Revolutionäre Bewegung von Albanern" und die "Marxistisch-
Leninistische Partei von Albanern in Jugoslawien" wurden verboten.
1976 wurde Adem Demaci zusammen mit 18 weiteren Angeklagten, abermals vor Gericht gestellt; ihm wurden verschiedene
"Verbrechen" vorgeworfen, darunter "Umtriebe gegen die Bevölkerung und den Staat", "feindliche
Propaganda" und die Gründung der "Nationalen Befreiungsbewegung Kosovas". Die Angeklagten wurden zu 15 Jahren
Gefängnis verurteilt. Weitere Verhaftungen folgten im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zur 100jährigen Gründung der
Prizren-Liga, die erste albanische Nationalbewegung der Neuzeit.
Nach Titos Tod
Die Verfassung von 1974 stärkte die Hoffnungen und das Nationalbewußtsein der Albaner, aber sie tat wenig, ihren Lebensstandard
zu verbessern. Die massive Erleichterung des Zugangs zur Universität Prishtina war nicht von einem gesteigerten Arbeitsplatzangebot
begleitet - nicht zuletzt weil die Mehrzahl der Studierenden einen Abschluß in den freien Künsten hatte.
1981/82 brachen Demonstrationen albanischer Studierenden in Prishtina und der ganzen Provinz aus. Sie wurden unter Einsatz von 30.000
Soldaten brutal unterdrückt. Offiziell wurde die Zahl der Toten mit elf angegeben, viele Albaner sprechen von fast tausend.
Anfänglich richteten sich die Demonstrationen gegen die schlechten Studienbedingungen an der Universität. Sie griffen jedoch
schnell von den Studenten auf die Arbeiter über und bekamen einen stärker politischen Charakter.
Gefordert wurde der Republikstatus für Kosova, es gab aber auch Parolen wie: "Wofür arbeitet Trepca?",
"Vereinigung mit Albanien", "Wir sind Albaner, keine Jugoslawen", "Lang lebe Adem Demaci" (letzterer
saß wieder einmal im Gefängnis). Und wieder einmal trieb die Kosovaren wahrscheinlich weniger der Enthusiasmus für
Enver Hoxha, obgleich der intensivere Kulturaustausch das Interesse am Nachbarstaat verstärkt hatte. Entgegen jugoslawischer
Behauptungen läßt sich jedoch nicht nachweisen, daß Tirana irgendeine Rolle bei der Organisierung dieser Demonstrationen
gespielt habe. Im Gegenteil, oft lieferte die albanische Regierung "subversive Elemente", die im Nachbarland Schutz gesucht hatten,
an die jugoslawischen Behörden aus.
Im großen und ganzen waren proalbanische Gefühle stärker unter den im Exil, vor allem in Deutschland lebenden Kosovaren
verbreitet; hier hatten sie auch eine proalbanische Organisation namens "Rote Nationale Front". Doch selbst diese forderte nur eine
albanische Republik Kosova innerhalb der jugoslawischen Föderation. Mehrere Mitglieder unter ihnen wurden vom jugoslawischen
Geheimdienst in den 80er Jahren umgebracht. Allerdings erhielten nach 1981 Tirana-orientierte Gruppen stärkeren Zulauf, vor allem
unter den Studenten, aber auch unter der Landbevölkerung Kosovas. Die jugoslawische Nachrichtenagentur berichtete am 10.März
1984, zwischen 1981 und 1983 seien 72 illegale Organisationen aufgedeckt worden. Einige von ihnen waren sicherlich an der Ermordung von
jugoslawischen Politikern und Staatsvertretern in verschiedenen europäischen Ländern beteiligt.
Das 1981 verhängte Kriegsrecht wurde nach zwei Monaten wieder aufgehoben, die Rechte der Kosovaren seitdem aber stetig
eingeschränkt. Im September 1981 wurde der Unterricht in albanischer Geschichte unter strikte Zensur gestellt; der Anteil kosovarischer
Studenten schrittweise zurückgedrängt. Die Maßnahmen beschränkten sich im übrigen nicht auf Kosova.
Hunderte Albaner wurden in Mazedonien ins Gefängnis geworfen, die albanische Flagge sollte hier verboten werden, obwohl es in
Mazedonien keine Aufstände gegeben hatte.
Die Kosova-Albaner teilten sich in drei Richtungen auf: die einen forderten die Loslösung; die anderen verteidigten die Politik des
Bundes der Kommunisten Jugoslawiens; die meisten nahmen eine Zwischenposition ein. Unter den Jugendlichen wuchs jedoch die Begeisterung
für Albanien, sie sahen lieber das albanische Fernsehen oder hörten Radio Tirana. Mehr und mehr wendeten sie sich von den
innerjugoslawischen Problemen ab und setzten auf eine albanische Zukunft.
Aufschwung der LDK
Gegen die Aufhebung des Autonomiestatus Kosovas durch Milosevic 1989 und die anschließende Repression opponierten fast alle
Sektoren der Kosova-Albaner. Die Bergleute von Trepca traten in den Streik, sie führten unter Tage sogar einen Hungerstreik durch. Die
Antwort war ihre Entlassung. Das Parlament von Kosova tagte, während das Parlamentsgebäude von Panzern umstellt wurde und
Hubschrauber und Kampfflugzeuge darüberflogen; unter diesem Eindruck verzichtete es auf die Autonomie; doch 114 von 123
Abgeordneten trafen sich am 2.Juli 1990 auf der Straße vor dem verschlossenen Parlamentsgebäude und erklärten Kosova zu
einer "gleichberechtigten und unabhängigen Einheit innerhalb der jugoslawischen Föderation".
Am 7.September desselben Jahres trafen sich dieselben Abgeordneten in Kacanik und verlasen die Proklamation des Grundgesetzes für
eine "Republik Kosova", die Bestimmungen für eine Neuwahl des Parlaments von Kosova und des Präsidenten der
Republik enthielt. Im September 1991 wurde ein Referendum durchgeführt, das die Erklärung Kosovas zu einer souveränen
und unabhängigen Republik durch das Untergrundparlament ratifizierte. Vermutlich haben sich 87% der passiv Wahlberechtigten daran
beteiligt, davon stimmten 99% dafür. Am 19.November 1991 wurde Kosova für unabhängig erklärt. Am 24.Mai 1992
wurden Wahlen durchgeführt; die Privatwohnungen dienten dabei als Wahllokale.
Die Strömung, die als die stärkste aus den Wahlen hervorging, war die Demokratische Liga Kosovas (LDK) unter der
Führung von Ibrahim Rugova. Die Bezeichnung "Liga" war bewußt gewählt, in Anlehnung an die Prizren-Liga.
Die Organisation hat ihre Wurzeln im "Verband der Philosophen und Soziologen Kosovas" und im Schriftstellerverband Kosovas
(1988 waren die meisten serbischen Schriftsteller aus diesem Verband ausgetreten, um einen rein serbischen zu bilden).
In den Wahlen vom Mai 1992 errang die LDK 96 Sitze (von 144); die von Adem Demaci geführte Parlamentarische Partei Kosovas 13
Sitze; die Albanische Christdemokratische Partei 7 Sitze; die Albanische Bauernpartei 7 Sitze. 2 Sitze gingen an unabhängige
Kandidaten; 5 Sitze an Vertreter der slawischen Muslime. Weitere 14 Sitze wurden für die Vertreter der serbischen und
montenegrinischen Bevölkerung offengehalten; sie wurden jedoch nicht eingenommen, weil nur wenige Serben und Montenegriner an
dieser Wahl teilnahmen. Ibrahim Rugova wurde zum Präsidenten gewählt.
Der Wahlausgang machte die LDK zu der politischen Kraft, die die Nationalbewegung dominierte, umso mehr als das Parlament nie
zusammentrat. Die Entscheidungen traf Rugova mit seinen engsten Beratern, er mußte sie nicht mit anderen Vertretern Kosovas
diskutieren.
Obwohl nur ein einziger Staat, Albanien, den neuen Staat Kosova anerkannte, verhielt sich Rugova, als kontrolliere er tatsächlich einen
Staat. Er bildete eine Exilregierung, baute unabhängige Schulen in Kosova auf, die in Privathäusern und Garagen untergebracht
werden mußten, weil die Serben die bestehenden albanischen Schulen schlossen. Nach einem Massenausschluß von Albanern aus
dem serbisch geführten Gesundheitssystem wurden parallele albanische Krankenhäuser aufgebaut. Geld für die
unabhängige Republik Kosova wurde unter den albanischen Gemeinden im Exil gesammelt, doch reichte es bei weitem nicht, um einen
parallelen Staatsbetrieb aufrechtzuerhalten. Vor allem die Gesundheitsversorgung war ärmlich und unhygienisch.
Rugovas Hauptanliegen war, einem Konflikt mit Belgrad aus dem Weg zu gehen; deswegen schlug er den Weg des passiven Widerstands ein.
Militantere Aktionen denunzierte er als das Werk von Provokateuren, die im Interesse Belgrads handelten. Seine Hoffnung war, die westlichen
Regierungen würden die Zurückhaltung der Kosovaren mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovas vergelten. Solche
Hoffnungen wurden durch das Abkommen von Dayton schwer erschüttert und große Teile der Kosovaren davon überzeugt,
daß sie ihr Ziele eines unabhängigen Kosova nur mit einem bewaffneten Kampf durchsetzen könnten.
Doch Rugovas Projekt scheiterte nicht nur international; es hatte auch schwerwiegende Folgen für Kosova selbst. Die LDK
beschloß, alle Wahlen zum serbischen Parlament zu boykottieren. Infolgedessen errang Arkan einen Parlamentssitz für Kosova und
Milo?sevi´c blieb an der Macht. Albaner, die für eine Beteiligung an den Wahlen eingetreten waren, wurden als Verräter
beschimpft. Der Versuch, einen parallelen Staat zu schaffen, verstärkte die bereits entwickelten Tendenzen zu einem
"Apartheidsystem" in Kosova. Von 1996 an gab es so gut wie keine Kommunikation mehr zwischen Serben und Albanern. Sie
benutzten nicht einmal dieselben Verkehrsmittel: die Serben nahmen den Zug, die Albaner hingegen den Bus. Die meisten Albaner unter 20
können Serbokroatisch weder reden noch verstehen. Die Verantwortung für diese Situation trägt natürlich Milosevic,
aber die Politik der LDK hat sie verschlimmert.
Die LDK glaubte, nach der Wahl Sali Berishas zum Präsidenten Albaniens 1991 würde albanische Hilfe nach Kosova
fließen. Berisha kam aus Nordalbanien und sprach Gegisch, deshalb glaubte man, er werde die Sache Kosovas unterstützen. In
seinen frühen Reden versprach er auch, Kosova alle erdenkliche Hilfe zuteil werden zu lassen. Der Zustand der verarmten albanischen
Wirtschaft - und der Druck aus dem Westen - zwangen ihn jedoch zur Zurückhaltung. Bei einem Besuch Rugovas in Albanien im Juli
1992, bei dem er mit Premierminister Alexander Meksi zusammentraf, wurden Albaniens Grenzen zu Montenegro und Serbien für
unersetzlich erklärt. Konkreteres als ein Lippenbekenntnis für eine evtl. Unabhängigkeit Kosovas konnte Albaniens
Regierung nicht bieten.
Die Forderung nach Vereinigung mit Albanien verstummte aber nicht. Einer ihrer bekanntesten Vertreter war Rexhep Qosja, der Rugova
für sein Vertrauen in den passiven Widerstand kritisierte und darauf bestand, Serben und Albaner müßten sich trennen.
Derselbe Rexhep Qosja gehörte zu den Unterzeichnern des Vertrags von Rambouillet, der die UCK verpflichtet, die Waffen
niederzulegen und bei Serbien zu bleiben.
Qosjas Angriffe auf Rugova waren ein Zeichen der wachsenden Opposition gegen die Politik der LDK. 1996 gab es 15 verschiedene
albanische politische Parteien in Kosova. Doch es war schwer, eine einheitliche Opposition gegen Rugova zu organisieren. Das Parlament
Kosovas war immer noch nicht zusammengetreten, darüber hinaus wurden die für Mai 1996 angesetzten Wahlen
ausgesetzt.
Die verbal schärfsten Angriffe kamen von Adem Demaci, der die Demokratie in Kosova als Karikatur bezeichnete und die LDK für
ihr Machtmonopol kritisierte. Er war auch ein scharfer Kritiker der Institutionen des parallelen Staates. Demaci argumentierte, eine
Zusammenarbeit mit der serbischen Opposition gegen die Diktatur wäre wichtiger als das hoffnungslose Unterfangen, die
Aufmerksamkeit des Westens zu erregen. Obwohl Demaci nicht zum bewaffneten Kampf aufrief, wäre er fast zum Führer einer
neuen Kraft in Kosova aufgestiegen, die Rugovas politische Vorherrschaft ernsthaft ins Wanken gebracht hat: die UCK (Befreiungsarmee
Kosovas).
Die UCK
Ein Teil der Führung der UCK kommt aus verschiedenen Pro-Tirana-Gruppen, die sich nach dem Aufstand von 1981 gebildet haben; die
Nationale Bewegung für die Befreiung Kosovas, die damals unter der Führung Adem Demacis stand, war eine bedeutende Kraft
unter ihnen. Mitte 1998 hatte die UCK Demacis Partei als politische Führung anerkannt. Das war ein bedeutender Schritt angesichts der
Tatsache, daß Demaci für den Dialog mit nichtnationalistischen Serben eintrat. Er war auch dafür, daß eine
unabhängige Republik Kosova eine neue und gleichberechtigte Föderation mit Serbien und Montenegro bildete, die er
"Balkanija" nannte.
Der unerwartete Aufschwung der UCK im Spätjahr 1997 ist dem plötzlichen Umlauf von Hunderttausenden von Waffen aus
Albanien zu verdanken, die während des revolutionären Aufstands gegen Berisha freigesetzt wurden. Viele dieser Waffen fanden
ihren Weg über die Grenze nach Kosova. Zu den Führern des bewaffneten Kampfes gehören viele frühere Offiziere der
ehemaligen jugoslawischen Volksarmee und der Territorialverteidigung Kosovas aus der Zeit vor 1989.
Freiwillige, Waffen und Geld kommen auch von den 600.000 albanischen Arbeitern, die hauptsächlich in Deutschland und in der
Schweiz leben - mit anderen Worten von denselben Leuten, die in der Vergangenheit Rugova finanziert haben. Einiges Geld wird auch von den
albanischen "Mafia" und aus dem Drogenhandel kommen. In der Vergangenheit wurde auch Rugova vorgeworfen, er finanziere sich
aus dem Drogenhandel; die meisten Befreiungsbewegungen haben zu Zeiten Geld aus zweifelhaften Quellen erhalten. Ich weiß, daß
die in London lebenden Kosova-Albaner, die erwerbstätig sind, einen großen Teil ihres Lohns an die UCK schicken und mit
ziemlicher Sicherheit ist dies die Hauptquelle ihrer Finanzierung.
Anfang 1999 erneuerten die USA ihre Bemühungen, die Kosovaren dazu zu bringen, den Vertrag von Rambouillet anzunehmen. Da die
Albaner nicht glaubten, sich in Serbien sicher fühlen zu können, wenn sie nicht über eigene bewaffnete Kräfte
verfügten und die UCK entwaffnet würde, boten die USA ihnen eine "Friedensstreitkraft" der NATO an, um die
politische Seite des Vertrags militärisch abzusichern.
Die Führung der UCK, die ursprünglich links orientiert war, ist nun nach rechts gerückt und stützt sich lieber auf die
NATO als auf ihre eigene Kraft. Natürlich läßt sich leicht verstehen, warum viele Kosovaren derzeit in der NATO ihr Heil
sehen. Die militärische Macht der NATO und das Fehlen einer jeglichen alternativen Führung drücken sie in diese Richtung.
Trotzdem haben Demaci und andere in Rambouillet die Delegation Kosovas gedrängt, diesen Versuch, "die Albaner mit der
Verbreitung von Illusionen und falschen Versprechungen davon zu überzeugen, daß sie kapitulieren". Sowohl die UCK wie
auch Serbien hatten zunächst den Vertrag abgelehnt. Doch unter dem massiven Druck von prowestlichen Kräften unter den Albanern
hat die Führung der UCK schließlich kapituliert. Demaci trat aus der Führung zurück und lebt jetzt in Slowenien. Es
heißt, die neue Führung der UCK habe gedroht, ihn als Verräter umzubringen.
Die "Illusionen", von denen Demaci sprach, entspringen der politischen Schwäche der UCK-Führung, die
"militaristische Tendenzen" aufweist, den politischen Kampf ablehnt und die gescheiterte Politik Rugovas mit Politik
überhaupt gleichsetzt. In ihren politischen Erklärungen fordert die UCK ein "unabhängiges, demokratisches
Kosova". Doch erwähnt sie die serbische Minderheit nicht; sie sagt nur, daß es "im Interesse des Friedens auf dem
Balkan, für Serben wie für Albaner" ist, die Besetzung Kosovas zu beenden.
Im allgemeinen äußert sich die UCK wenig ideologisch. Im letzten September erklärte sie: "Wir kämpfen nicht
für eine Partei oder für politische Interessen, wie dies die politischen Parteien in Kosova und in Albanien tun." Das ist eine
wirkliche Schwäche.
Es ist bekannt, daß die sog. militantere, militaristische Fraktion des UCK in Rambouillet schließlich den Vertrag unterschrieben hat,
während der "gemäßigte" Flügel um Demaci, der für einen Dialog mit den Serben eintritt, den
Vertrag als Kapitulation gegenüber dem Imperialismus ablehnt. Sicher, wenn Kosova die Unabhängigkeit erringen sollte,
läge sie eher auf der Linie Demacis als auf der der aktuellen UCK-Führung. Doch die NATO hat bei vielen Gelegenheiten
klargestellt, daß sie ein unabhängiges Kosova nicht dulden will und die NATO-Truppen dort stationiert werden, um eben eine
solche Unabhängigkeit entweder zu verhindern, oder eine Teilung durchzusetzen, die sie zuvor mit Milosevic ausgehandelt hat. Noch
weniger würde sie zulassen, daß Kosova Teil von Albanien wird. Eine politische Linie, die sich auf die NATO stützt und
nicht den Dialog mit der nichtnationalistischen serbischen Opposition gegen Milosevic aufnimmt, kann nur in ein Desaster führen.
Geoff Ryan