Sozialistische Zeitung |
Die mehrheitlich sog. "linken" Regierungen geben für den Krieg der NATO auf dem Balkan
eine andere Begründung, als sie rechte und konservative Regierungen abgegeben hätten. Wo Konservative unverblümt die
wirtschaftlichen und nationalen Interessen hervorheben, müssen "linke" Regierungen diese hinter einer Wand von
"humanitären" Argumenten verschleiern, um in ihrer Wählerschaft und unter der breiten Masse der Bevölkerung
die notwendige Legitimation und Zustimmung für Mord und Zerstörung zu erhalten.
Der ideologische Trick, auf den sie dabei zurückgreifen, ist die Gleichstellung von Milosevic mit Hitler, der eigenen Kriegsaktion mit
der Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg. Sie spalten damit gerade in der Bundesrepublik den Teil der Bevölkerung, der aus dem
Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg die Lehre gezogen hatte, neuen Aggressionsabsichten des deutschen Imperialismus künftig
frühzeitig und mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, damit sich "so etwas nie mehr wiederholt". Antifaschismus und
Antimilitarismus werden in einen scheinbaren Gegensatz gebracht, der Antifaschismus als Grundkonsens der Linken mutwillig gebrochen und
der Krieg damit als Mittel der Politik für einen breiten Kreis der Bevölkerung wieder hoffähig gemacht. Die neuen
Feldzüge zur Aufteilung der Welt werden nunmehr im Namen des Antifaschismus durchgeführt.
Tatsächlich ist die Charakterisierung des derzeitigen Krieges auf dem Balkan als "antifaschistisch" in mehrerer Hinsicht
deplaziert. Milosevi´cs Regime, wiewohl eine Diktatur, ist mit dem Nationalsozialismus in keiner Weise vergleichbar: er terrorisiert
nicht die arbeitende Bevölkerung (Proteste, Demonstrationen, eine oppositionelle Presse konnten sich in den vergangenen Jahren
entwickeln, mußten nicht in den Untergrund und wurden nicht durch bewaffnete Banden bedroht); es gibt einen verbreiteten serbischen
Rassismus gegen die Albaner und es gab auch Vertreibungen vor dem Beginn der NATO-Angriffe, aber es gibt keine Vernichtungsstrategie
gegen die albanische Bevölkerung, wie die Nazis sie gegen die Juden betrieben.
Der Unterschied zwischen einem Flüchtlingslager und einem Vernichtungslager ist aber der Unterschied zwischen Tod und Leben! Wer
wie Scharping diesen Unterschied verwischt, der verteidigt nicht das Leben, der besorgt das Handwerk des Todes. Sein hysterisches Geschrei,
auf dem Balkan gelte es, einen Völkermord zu verhindern, relativiert die Greueltaten der Nazis effektiver, als dies bislang Hunderte
Seiten "Historikerstreit" vermochten.
Leider ist der Rückgriff auf die Legende um die Anti-Hitler-Koalition und die angeblich "antifaschistische" Motivation der
Westmächte u.a. deshalb so wirkungsvoll, weil sie nicht nur von antinazistischen bürgerlichen Kreisen, sondern auch von vielen
linken, u.a. "kommunistischen", Kräften verbreitet wurde und wird. Aus dieser Sicht war die Niederlage des Faschismus das
Werk der Armeen des "demokratischen Imperialismus"; der Beitrag der Roten Armee wird von bürgerlicher Seite schon
heruntergeredet; der Anteil, den die Klassenkämpfe/Partisanenkämpfe in den von Hitler und Mussolini besetzten Ländern
spielt gar keine eigenständige Rolle und deren aktive und passive Unterdrückung durch die Alliierten (auch die Rote Armee) wird
entweder begrüßt oder nicht problematisiert.
Es wird damit ein einfaches polarisiertes Geschichtsbild transportiert, wonach die, die im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler waren, keine andere
Wahl gehabt hätten als für die alliierten Westmächte zu sein - für den guten, gegen den bösen Imperialismus
sozusagen. Hitler wäre nicht durch die antifaschistische Mobilisierung der Bevölkerungen der am Krieg beteiligten Länder
zu stürzen gewesen, sondern nur durch die gewaltsame Intervention einer "humanitären, den westlichen Werten
verpflichteten" Macht. Das ist eine zutiefst antiemanzipatorische Haltung, die im Grunde dafür argumentiert, daß das Leben
zwischen den Völkern prinzipiell nicht anders als vermittelt durch eine Weltpolizei zu regeln sei - der Super-Leviathan.
Eine genaue Analyse des Zweiten Weltkriegs bringt anderes an den Tag, das in mehrfacher Beziehung für den gegenwärtigen Krieg
auf dem Balkan lehrreich ist.
In den 80er Jahren prägte Heiner Geißler das Wort vom "Pazifismus, der Auschwitz erst möglich gemacht hat",
damit versuchte er, den Gegnern der Raketenstationierung den Boden unter den Füßen zu entziehen. Damals gehörten die
Grünen zu denen, die die Äußerung empört zurückwiesen, aber es war wohl hauptsächlich eine moralische
und keine auf Wissen gestützte Opposition, denn heute wiederholen sie genau diese Behauptung auf unsägliche Weise.
Der Pazifismus und Auschwitz
Tatsächlich hat es auf seiten der Westalliierten einen Pazifismus nie gegeben. Der Zweite Weltkrieg ging, wie der Erste auch, um die
Aufteilung der Welt und wurde mit dieser Zielsetzung vor allem zwischen Deutschland, Großbritannien und den USA geführt. Der
anglo-amerikanische Kriegseintritt war nicht dadurch motiviert, ein faschistisches Regime zu Fall zu bringen, sondern von eigenen
Weltherrschaftsplänen, denen die deutsche Expansion im Wege stand. Diese Kriegsgründe sind nicht zu verwechseln mit der
Legitimationsideologie, mit der vor allem Großbritannien den Krieg geführt hat und die in der Tat weitgehend eine antifaschistische
war; damals wie heute diente sie jedoch nur dazu, die Zustimmung der Bevölkerung zu erheischen.
Chamberlains "Beschwichtigungspolitik", auf die sich Geißler in seiner antipazifistischen Philippika bezog, hatte weniger
etwas mit Nachgiebigkeit oder einer blauäugigen Verkennung von Hitlers Zielen zu tun als damit, daß die Kriegsvorbereitungen
Großbritanniens 1938 noch nicht so weit gediehen waren. In einem lesenswerten Buch über den Zweiten Weltkrieg erklärt
Ernest Mandel dies folgendermaßen:
"Chamberlains Politik hatte im wesentlichen die Funktion, Deutschlands Führung in der Wiederaufrüstung zu
überwinden, denn Hitler hatte schon 1933 damit begonnen, der britische Imperialismus aber erst drei, vier Jahre später. Mit
anderen Worten, es handelte sich um den illusionären und verwegenen Versuch, Hitler auszumanövrieren, nicht um die Hinnahme
eines von Berlin beherrschten Europa. Im Gegensatz zur französischen Bourgeoisie war die britische keineswegs demoralisiert oder
defätistisch; es stand die Verteidigung des britischen Imperiums auf dem Spiel. Der Unterschied zwischen dem Flügel von
Chamberlain und dem von Churchill war nicht der zwischen solchen, die bereit waren, vor dem deutschen Imperialismus zu kapitulieren, und
solchen, die dazu nicht bereit waren. Es war ein Konflikt über den effektivsten Weg, das Empire zu erhalten und Hitler entgegenzutreten
… Für kurze Zeit spielten einige der ,Beschwichtiger mit dem Gedanken, die aggressive Dynamik des deutschen Imperialismus
gegen die
UdSSR zu lenken, aber nach der Besetzung von Prag wurde ihnen klar, daß Hitler mit der Eroberung Osteuropas eine Stärke
verliehen würde, die groß genug war, um sich gegen das britische Empire zu richten."
Die Kriege im Krieg
Ein Teil der im Zweiten Weltkrieg geführten Kriege waren Befreiungskriege, die sich teils gegen die Invasoren, teils zugleich gegen die
einheimischen Machthaber richteten. Für die Frage, ob der Nationalsozialismus durch Aktionen von unten hätte zu Fall gebracht
werden können, sind diese Kriege besonders aufschlußreich.
"Unter der militärischen Offensive des deutschen Revanchismus brachen die morschen Stützen der bürgerlichen
Ordnung, die am Ende des Ersten Weltkriegs in vielen Teilen Europas errichtet worden waren, zusammen. Ihre Nachfolger gingen aus Aktionen
von unten hervor, weil Arbeiter und arme Bauern Vereinigungen bildeten, mit dem Ziel nationaler Befreiung und radikaler sozialer Reformen;
Ziele die die ortsansässige Bourgeoisie und die landbesitzenden Klassen weder billigen konnten noch wollten. Die einheimischen
herrschenden Schichten warteten nur darauf, daß die Armeen der Alliierten die Nazis schlagen und sie wieder an die Macht bringen
würden. In der Zwischenzeit arbeiteten sie entweder aktiv mit den Nazis zusammen, oder sie verhielten sich den Invasionstruppen
gegenüber passiv.
Aber der Großteil der Bevölkerung der besetzten Länder entschied sich für den Widerstand und damit für eine
aktive Rolle in der Umstrukturierung Europas nach dem Krieg. In dem Maße, in dem der antifaschistische Widerstand an Stärke
gewann, wuchs auch die Neigung der ortsansässigen herrschenden Klassen zur Kollaboration mit den Nazis…
Der Fall Jugoslawien zeigt dies besonders deutlich. Die Monarchie, das bürgerliche Establishment, die reguläre Armee - alle drei
brachen innerhalb von wenigen Wochen, wenn nicht Tagen, nach der Invasion zusammen. Was die Bevölkerung erwartete, kündigte
die großangelegte Bombardierung der offenen Stadt Belgrad an, noch bevor der Krieg offiziell erklärt worden war…
Aber es gab eine Reaktion, mit der die Nazis nicht gerechnet hatten. Die jugoslawischen Massen erhoben sich zu Tausenden, um den
Besatzungsarmeen und den einheimischen Kollaborateuren Widerstand zu leisten. Was als Krieg um nationale Befreiung begann, nahm bald den
Charakter einer sozialen Revolution an, getragen durch und gestützt auf eine Partisanenarmee, die Ende 1945 eine halbe Million
Männer und Frauen zählte. (Die unter serbischem Kommando stehenden Tschetniks, die damals als alliierte Armee anerkannt
waren, kamen schon 1941 zur Überzeugung, die Hauptbedrohung käme eher von den Kommunisten als von den Deutschen. Sie
haben mit den Nazis und den italienischen Faschisten aktiv kollaboriert.)…
Wäre eine Entwicklung ähnlich der, die in Südeuropa und in Italien stattfand, auch in Deutschland möglich gewesen,
wenn der massive Terror nach dem Anschlag auf Hitler vom 20.Juli 1944 nicht einen bedeutenden Teil des überlebenden Kaders der
deutschen Arbeiterbewegung dezimiert hätte und wenn die massive Bombardierung nicht schwere Verluste in der Zivilgesellschaft
gefordert hätte?
Es gibt allen Grund zu der Annahme, daß dies tatsächlich der Fall gewesen wäre. Schließlich hatten die deutschen
Arbeiter während des ganzen Krieges wenigstens ein elementares Klassenbewußtsein in ökonomischen Fragen behalten. Die
Berichte der SS-Geheimdienste verzeichnen häufige Proteste der Arbeiter, wann immer Lohnkürzungen vorgenommen wurden…
Nach Ludolf Herbst wurde die klassenspezifische Differenzierung innerhalb der Bevölkerung gegen Ende 1943 sichtbar. Es wurde
deutlich, daß die Ober- und Mittelschichten ihre Hoffnungen besonders auf die Amerikaner und die Briten setzten, während
zumindest die Arbeiterschaft weniger Angst vor den Sowjets hatte. Das Ausmaß des Widerstands gegen die Nazis in Deutschland selbst
ist faktisch von jedem Historiker systematisch unterschätzt worden… Nach amerikanischen Quellen wird geschätzt, daß im
Dritten Reich insgesamt etwa 1.663.550 Menschen in Konzentrationslagern waren, von denen eine Million Deutsche waren." (Eugen
Kogon: The Theory and Practice of Hell, New York 1960, S.251.)
"Das falsche Verständnis vom Charakter der Intervention der Westmächte [führte vor allem die Kommunistischen
Parteien] zu einem systematischen Verrat an den antiimperialistischen Kämpfen der Kolonialvölker…"
Mandel beschreibt auch, was mit den Flächenbombardements über Deutschland erreicht wurde und was nicht:
"Die Luftmarschälle hatten seit mehreren Jahren für diese Art der Kriegführung plädiert. Churchill entschied sich
dafür als Ersatz für die schnelle Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich; Roosevelt schloß sich aus
ähnlichen Gründen an.
Von Anfang an waren die Ziele der Offensive unklar und widersprüchlich. Die Vorstellung, daß die Bombenangriffe die Nerven
des deutschen Volkes zerrütten würden und zu einem allgemeinen Zusammenbruch der Moral, daher zu einer Bereitschaft
führen würden, den Krieg um jeden Preis sofort zu beenden, erwies sich als völlig verfehlt. Stures Durchhalten, wenn nicht
Empörung, statt Demoralisierung war die Wirkung der unterschiedslosen Zerstörung und massiven Verluste für die
Zivilbevölkerung.
Das zweite Ziel, Deutschland durch die Zerstörung besonderer Sektoren der Kriegsindustrie in die Knie zu zwingen, hätte
wahrscheinlich mit großem Erfolg erreicht werden können, wenn sich die britischen und amerikanischen Luftstreitkräfte auf
diese Ziele konzentriert hätten, statt unmenschliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung großer Städte
durchzuführen, wie die Brandbombenangriffe auf Köln, Hamburg und Dresden.
Das dritte Ziel, die deutsche Kriegsmaschine durch eine allgemeine Desorganisation der Kommunikation und der industriellen
Kapazitäten zu schwächen … wurde nur auf einem beschränkten geographischen Gebiet erreicht (Nordwest-Frankreich und
Belgien).
Schließlich war es das Ziel, eine allgemeine Desorganisierung der deutschen Gesellschaft, einen Zusammenbruch des städtischen
Lebens, ein Versagen aller elementaren Mechanismen der industriellen Zivilisation zu verursachen. In dieser Hinsicht war das
Flächenbombardement weitgehend erfolgreich. So sehr, daß die Stärke der Arbeiterklasse untergraben wurde und die
Möglichkeit eines massiven Aufschwungs der Kampfbereitschaft der deutschen Arbeiter - eine ständige Furcht nicht nur der Nazis,
sondern ebenso der Alliierten - allmählich verschwand."
Angela Klein