Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite 2

Nach dem Bielefelder Parteitag der Grünen

Auch Bodenkrieg akzeptabel?

Nach dem knappen Erfolg der Fischer-Führung auf dem grünen Parteitag in Bielefeld gärt es weiter in der Partei, doch die große Austrittswelle läßt noch auf sich warten. Am 6.Juni soll auf einem bundesweiten Treffen der Antikriegs-Fraktion in Dortmund über das weitere Vorgehen beraten werden. Für die SoZ sprach Wolfgang Pomrehn mit Hans-Jürgen Schubert, der die Grünen seit 1994 in der Lübecker Bürgerschaft vertritt. Der Kreisverband Lübeck der Grünen hatte im April angekündigt, daß er sich angesichts der Kriegspolitik nicht am Europawahlkampf beteiligen werde.

Herr Schubert, wie fühlt man sich als Mitglied einer Regierungspartei, die gerade in Jugoslawien einen Angriffskrieg führt?
H.-J.Schubert: Sehr schlecht. In unserem Programm heißt es: "Bündnis90/Die Grünen tragen militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze nicht mit." Im letzten Bundestagswahlkampf habe ich genau das vertreten, als ich hier in Lübeck kandiderte. Doch jetzt, da unsere Leute in der Regierung sind, fangen sie den Krieg an. Das ist das Übelste, was dieser Partei bisher zugestoßen ist.

Der Bielefelder Parteitag hat die Fischerlinie bestätigt. Der Lübecker Kreisverband hatte bereits Mitte April für diesen Fall angekündigt, er werde geschlossen austreten. Was passiert jetzt?
Wir haben für Anfang Juni eine Versammlung einberufen, auf der ein Antrag zur Auflösung des Kreisverbandes beraten werden soll. Außerdem werden wir uns vorher mit verschiedenen unserer örtlichen Bündnispartner über das weitere Vorgehen beraten.

Was sagen die Grünenwähler zum Parteitag?
Einerseits ist da der Vorwurf: "Jetzt, wo ihr an der Regierung seit, interessiert euch eure Ankündigung nicht mehr." Das kennen wir schon aus dem letzten Landtagswahlkampf, den wir mit der Opposition zur Ostseeautobahn A20 bestritten haben, die jetzt von der Koalitionsregierung gebaut wird. Ähnliches haben wir auch in der Sozialpolitik erlebt, beim Atomausstieg, beim Klimaschutz. Und jetzt der Krieg als Friedenspolitik. Unglaubwürdiger können wir eigentlich nicht mehr werden.
  Auf der anderen Seite sagen uns Bürgerinitiativen aus den Bereichen Naturschutz und Verkehr, daß ihnen die Ansprechpartner fehlen würden, wenn wir nicht mehr in der Bürgerschaft sitzen. Sie raten daher ab. Das muß abgewogen werden, wenn wir uns zurückziehen. Was die organisierte Arbeit in Parlamenten angeht, sehe ich die Chancen außerhalb der Grünen eher skeptisch. Wir würden uns manches an Wirksamkeit nehmen.

Sie sind also pessimistisch?
Ich zähle erst einmal die Vor- und Nachteile auf. Der große Vorteil wäre, daß links von SPD und Grünen wieder wesentlich mehr Platz für gesellschaftliche Entwicklungen entstünde. Im Augenblick können SPD und Grüne kritische Gruppen an die Bundesregierung binden. Wenn aber diese Regierung zerfällt, oder wenn sich weiße Flecken auf der grünen Landkarte bilden, dann gäbe es Platz für neue Entwicklungen, die gegenwärtig nicht zum Zuge kommen.

Die Austrittswelle fällt kleiner aus, als erwartet. Viele sagen, man solle die Partei nicht Fischer überlassen. Aber trägt das nicht dazu bei, daß der Krieg weiter geführt werden kann?
Ja. Dieser Beschluß von Bielefeld stellt eine ziemlich große Beschwichtigung dar. Mancher kann mit ihm sein Gewissen ein bißchen beruhigen, denn schließlich hat man eine Feuerpause gefordert. Ich halte das ehrlich gesagt für den schlechteren Beschluß, als wenn die klare Linie des Fischerkurses beschlossen worden wäre. Das hätte wesentlich mehr Opposition provoziert.

Wie geht es auf der Bundesebene weiter?

Das wollen wir am 6.6. in Dortmund klären. Da werden wir diskutieren, ob innerorganisatorisch die Kriegsgegner gestärkt werden, um schlagkräftiger zu werden, oder ob wir eine neue Partei gründen.

Gibt es denn noch eine Chance, innerparteilich den Kriegskurs zu stürzen?
Das glaube ich eher nicht. Bei einer weiteren Eskalation des Krieges, z.B. wenn Bodentruppen eingesetzt werden, gäbe es sicherlich neue Diskussionen. Eigentlich müßte dann auch der letzte einsehen, daß es nicht um humanitäre Ziele sondern die Expansionspolitik der NATO geht. Aber ich bin da pessimistisch. Diese Partei ist ziemlich unkritisch geworden und würde wahrscheinlich auch einen Bodenkrieg mitmachen.


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