Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite 9

630-DM-Jobs

Staatlich gefördertes Tarifdumping

Ausweitung der Schwarzarbeit, fehlende Flexibilisierung und damit Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, Abwanderung in Billiglohnländer - dieses Drohgemälde der Unternehmer verfehlte seine Wirkung auf die "rot"- grüne Regierung nicht. Sie ist den Klagen der Arbeitgeberseite umgehend nachgekommen und hat sich auf eine sogenannte "Nachbesserung" des neuen Gesetzes zu den 630-DM-Jobs geeinigt. Die Verwässerung der ursprünglich intendierten Verbesserungen für die geringfügig Beschäftigten, überwiegend Frauen, ist seit dem 1.April in Kraft.
Für die Arbeitgeber bringt das neue Gesetz kaum wesentliche Auflagen mit sich. Statt der bisherigen Pauschalsteuer von 20% und dem Solidaritätszuschlag von 2% sind nun 10% Krankenversicherung und 12% Rentenversicherungsbeitrag fällig. Wenn die Beschäftigten in der Gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, müssen keine Pflegeversicherungsbeiträge geleistet werden. Der einzige Nachteil für die Unternehmer besteht darin, daß ihnen endlich die Möglichkeit genommen wurde, diese Kosten auf die Beschäftigten abzuwälzen. Das alleine wird sie jedoch nicht davon abhalten, weiterhin Voll- und Teilzeit- Arbeitsplätze in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aufzusplitten. Immerhin wurde die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Geringfügigkeitsgrenze von 300 DM wieder auf 630 DM angehoben.
Die ca. 1,5 bis über 4 Millionen geringfügig Beschäftigten erwerben nun auch bei einseitigem Arbeitgeberbeitrag eine Anwartschaft für die Rentenversicherung, allerdings nur in Höhe von 4,17 DM monatlich. Dieser Betrag erhöht sich auf 6,79 DM, wenn ein zusätzlicher Beitrag von 7,5% entrichtet wird. Den ArbeitnehmerInnen steht erst dann die volle Leistung aus der Rentenversicherung zu, d.h. eine Absicherung bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit sowie Kuren. Daß dies für eine eigenständige Altersversorgung nicht ausreicht, versteht sich von selbst. Auch Beiträge für die Arbeitslosenversicherung sind im neuen Gesetz weiterhin nicht vorgesehen. Immerhin ist nun Nebenbeschäftigung als geringfügige Beschäftigung nicht mehr möglich. Sie muß mit der Hauptbeschäftigung verrechnet werden. Zukünftig müssen alle geringfügig Beschäftigten ihre Einkünfte in die Lohnsteuerkarte eintragen lassen, um den Mißbrauch einzuschränken.
Wie die Gewerkschaft HBV kritisiert, beenden die von der Regierung beschlossenen Neuregelungen jedoch keineswegs die Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem Einsatz von geringfügig Beschäftigten, Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. Dies wird auch zu einer Spaltung der Arbeitnehmerschaft führen, da Teilzeitkräfte trotz gleicher Tätigkeit gegenüber gering Beschäftigten steuerlich benachteiligt sind. Es ist nicht einzusehen, warum z.B. eine alleinerziehende Teilzeit arbeitende Mutter für die Steuerfreiheit der Ehefrau eines gut verdienenden Ehemanns aufkommen soll.
Die Gleichbehandlung aller prekär Beschäftigten unabhängig von ihrer unterschiedlichen finanziellen Gesamtsituation wird nicht aufgehoben, wie im ursprünglichen Gesetzentwurf noch vorgesehen. Die neue Regelung wird vielmehr weiterhin das sogenannte Ernährermodell forcieren, da mit den 630-Mark-Jobs relativ hohe Einkommenssteigerungen von verheirateten Frauen erzielt werden können.Von dieser Aufweichung des ursprünglichen Gesetzesvorhabens ist kein Anstieg existenzsichernder Arbeitsplätze zu erwarten. Die Wiedereinführung der Versicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte sollte ursprünglich die Ausweitung dieser Arbeitsverhältnisse eindämmen. Es steht nun zu befürchten, daß diese Wirkung nicht eintritt - zumal es in Teilen der SPD offenbar Unterstützung für die These gibt: "Niedriglöhne schaffen Arbeitsplätze."
Die Fragwürdigkeit dieser Behauptung demonstriert eine ökonometrische Simulationsrechnung des ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) Mannheim 1998 demonstriert. Demnach führt der Beschäftigungseffekt von Lohnsubventionen bis zu einem Stundenentgelt von 17 DM (nach oben degressiv gestaffelt) lediglich zu zwischen 75.000 und 100.000 neuen Arbeitsplätzen, aber zu erheblichen Mitnahme- und Verdrängungseffekten. Die Forderung nach mehr qualifizierten Arbeitsplätzen kann so nicht erfüllt werden.
"Welches Interesse sollten Unternehmen im Einzelhandel haben, bei einer Senkung ihrer Lohnkosten (durch eine Senkung ihrer Arbeitgeberbeiträge an die Sozialversicherung), mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wenn sie die Subvention auch in eine neue Runde des Niedrigpreiswettbewerbs stecken können?" fragt die HBV. Sie befürchtet eine Abkoppelung der subventionierten Entgeltgruppen von der allgemeinen Lohnentwicklung und eine Sogwirkung auf das gesamte Tarifgefüge. Eine Lösung für die strukturelle und ökonomische Krise bieten die Billigjobs in keinem Fall.
Monika Piendl


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