Sozialistische Zeitung |
Das Gesetz über die 630-DM-Jobs kann schon bald Makulatur sein. Im Kanzleramt heckt man derzeit
Modelle aus, die Einkommen unter 1500 DM komplett, bis zu 2800 DM teilweise von Sozialabgaben befreien wollen. Der neue
"Niedriglohnsektor" entzöge sich auch der gewerkschaftlichen Tarifpolitik - eine Art staatlich verordnete Zwangsarbeit ohne
Qualifikationsschutz und zu Hungerlöhnen.
Bundeskanzler Schröder hatte im Wahlkampf das "Bündnis für Arbeit" zur Nagelprobe seiner Kanzlerschaft
gemacht. Am 7.Dezember 1998 trafen sich die Spitzenvertreter von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften zu einem ersten Treffen, in dem
sie die organisatorische Struktur des Bündnisses festlegten. Eingerichtet wurden neun Arbeits- und Expertengruppen, die praktisch alle
Felder der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bearbeiten. Damit hat die Regierung ihren politischen Gestaltungswillen an der
Eingangstür zu den Unternehmerverbänden abgegeben.
Eine weitere Arbeitsgruppe fällt aus dem Rahmen, aber sie hat es in sich: es ist die sog. Benchmarking-Gruppe. Benchmarking
übersetzt der Spiegel mit "globales Vergleichen". Die globale Weltwirtschaft, in der jedes Produkt in (fast) jedem Land
hergestellt werden könne, erzwinge ein Umdenken. Ein eigenes "Modell Deutschland" könne es heute nicht mehr geben.
Steuersätze, Sozialstandards, Bildungsniveau, politische Stabilität - alles werde weltweit verglichen. "Benchmarking
heißt das Verfahren, mit dem Konzerne den für sie günstigen Standort wählen."
Diese Arbeitsgruppe hat einen thematischen Schwerpunkt: Billigjobs schaffen. Im einträchtigen Duo haben "Experten" von
wissenschaftlichen Instituten der Arbeitgeber wie der Gewerkschaften ein Papier vorgelegt, das als "Hombach-Papier" bekannt
geworden ist (Hombach ist Leiter der Arbeitsgruppe). Leitidee ist, daß neue Arbeitsplätze nicht mehr in der Industrie geschaffen
werden können; es will sie der Staat aber auch nicht in gesellschaftlich nützlichen Bereichen schaffen, dort wo es wachsenden
Bedarf an Dienstleistungen am Bürger gäbe. Neue Arbeitsplätze könnten nur noch in den Dienstleistungssektoren
geschaffen werden, die praktisch die alten Dienstbotenjobs für die Reichen wiederbeleben: der Gepäckträger, der Kuli, der
dem Autofahrer die Bierkästen ins Auto trägt, die Putzfrau, die sonstigen guten Geister, die die tausend Kleinarbeiten
übernehmen, zu denen gestreßte Berufstätige des gehobenen Mittelstands und der Oberklasse nicht kommen. Solche
Bedienjobs fallen zu Hauf auch in jedem Büroalltag, im Freizeitgeschäft, bei Gesundheits- und Pflegediensten an.
Diese "unproduktiven" Jobs sollen - so die Überlegungen der Benchmarkinggruppe - durch Lohnsenkung und Sozialabbau
billiger gemacht werden, damit sie im internationalen Vergleich konkurrenzfähig werden. Folgendes ist angedacht:
Der Bund soll für die unteren Lohngruppen die Sozialversicherungsbeiträge subventionieren, und zwar in folgender
Abstufung:
- bis zu 10 DM Stundenlohn gar keine Sozialversicherungsbeiträge mehr;
- zwischen 10 und 17 DM ihr degressives Anwachsen;
- erst ab 19 DM Stundenlohn volle Beitragspflicht.
Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe sollen zusammengefaßt werden (auf der Basis des BSHG, d.h. daß im Endeffekt
die Arbeitslosenhilfe gestrichen wird).
Die Maßnahme soll als Dauersubvention aus Mitteln des Bundes finanziert werden.
Die Gewerkschaften sollen sich in der Tarifpolitik vor allem im Einkommensbereich bis zu 2800 DM in Zurückhaltung
üben (die Löhne in diesem Bereich sollen auch hinter der Inflationsrate zurückbleiben können).
Das bedeutet im Klartext: Gerade die unteren Löhne sollen abgesenkt werden, die soziale Absicherung für diese Personengruppe
nicht mehr auf Beitragszahlung, damit Eigenleistung, basieren, sondern nur noch auf dem Wohlwollen des Staates. Daß gerade dieser
Bereich in Zeiten knapper Kassen als erster dem Rotstift zum Opfer fallen würde, liegt auf der Hand.
Die Diskussionen auf Bundesebene werden ergänzt durch Arbeitsgruppen auf Länderebene. Diese tragen den Titel
"Beschäftigungsmöglichkeiten für besondere Personengruppen". Hier wird darüber diskutiert, wie
geringqualifizierte (Langzeit) Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen durch Kombilohnmodelle in Arbeit gebracht werden
können. Entsprechende Arbeitsplätze soll ausdrücklich in bestehenden Wirtschaftsunternehmen, nicht in Bereichen geschaffen
werden, die nicht marktfähig, aber von hohem gesellschaftlichen Bedarf sind.
Im Saarland gibt es auf Landesebene bereits einen Modellversuch dazu; in NRW versuchen Unternehmer und Landesregierung etwas
ähnliches einzurichten. Diese Modellversuche wollen geringqualifizierte Arbeitslose bzw. Langzeitarbeitlose in nicht besetzten
Lohngruppen oder auf unterbesetzten Arbeitsplätzen der Privatwirtschaft unterbringen.
Die Gewerkschaft HBV betrachtet diese Vorstöße sehr kritisch. Im Hotel- und Gaststättenbereich, im Handwerk, in der
Gebäudereinigung, im Handel, im Logistikbereich, im Dienstleistungsbereich und im öffentlichen Dienst könne nicht
ausgeschlossen werden, daß bestehende Arbeitsplätze von künftig öffentlich subventionierten vernichtet
würden.
Tarifpolitisch würde ein subventionierter Niedriglohnbereich die Arbeit der Gewerkschaften erheblich erschweren. Die
Subventionsgrenze würde auch zur Grenze für Tariferhöhungen. "Die Arbeitgeber sind ihrem Ziel, einen dauerhaften
zusätzlichen Niedriglohnsektor zu schaffen, ein Stück näher gekommen", äußert sich ein Teilnehmer an den
Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen. "In diesem Zusammenhang halte ich es nicht für einen Zufall, daß die
Arbeitgeber in der Tarifrunde 1999 sowohl bei den Banken, wie in der Wohnungswirtschaft, wie im Groß- und Außenhandel und
im Einzelhandel neue Niedriglohn- und Einstiegstarifentgelte gefordert haben."
Das Ziel, einen Niedriglohnsektor zu schaffen, haben die Arbeitgeber bereits 1997 in einem Diskussionspapier der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) vorgestellt. Es trug den Titel: "Kombi-Einkommen: Für eine verbesserte Verzahnung
von Arbeitsmarkt- und Transfersystemen - Niederiglohnbereiche schaffen - Sozial- und Arbeitslosenhilfe reformieren". Damals lehnten
die Gewerkschaften das Modell einhellig ab, ebenso alle Versuche, mit Elementen davon Modellversuche anzustellen. Heute wird der
saarländische "Modellversuch zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze für Geringqualifizierte" (vom
18.3.99) von den Gewerkschaften mitgetragen und schafft somit einen ersten negativen Präzedenzfall.
Angela Klein