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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite 14

Polizeifestung Köln

Dicht gedrängt, zum Teil im Gang stehend, lauschten am 19.Mai knapp 150 geladene Gäste den Ausführungen des Polizeipräsidenten und seines Stellvertreters im großen Vortragssaal des Kölner Polizeipräsidiums. Auf dem "Informationsgespräch" zum Doppelgipfel in Köln begrüßte der Präsident Jürgen Roters auch 70 Polizeisprecher aus Nordrhein-Westfalen, deren Einsatzstellen Beamte für das Kölner Kontingent stellen. Die hatten sich kurzerhand zwischen die Medienvertreter gemischt, waren mit eigener Kamera dabei und haben laut Roters "schon in Ahaus Erfahrungen" bei Großeinsätzen zum Schutz des dortigen Atombrennstäbe-Zwischenlagers gesammelt.
In Köln wird einer der größten Polizeieinsätze der deutschen Nachkriegsgeschichte exerziert: vom 25.Mai bis zum 21.Juni 1999 sind 12.000 Polizisten in der Domstadt stationiert. Grund für diesen besonderen Aufwand sind der EU-Regierungsgipfel und das zwei Wochen später stattfindende Treffen der G7-Staats- und Regierungschefs.
Gesamteinsatzleiter der Gipfeltage Winrich Granitzka läßt keinen Zweifel daran, "daß die Sicherheit der Staatsgäste absolute Priorität hat" und sie sich in "störungsfreien Räumen" bewegen können sollen. Unter Störungen versteht der Einsatzleiter nicht nur Akte brachialer Gewalt oder Bombenattentate. "Geplante Anschläge sind uns nicht bekannt", bestätigt er auch prompt. "Konsequentes Eingreifen" soll hingegen schon bei "Lärmbelästigungen der Politiker, z.B. durch Trillerpfeifen", erfolgen. Auch die "Beleidigung von Staatsoberhäuptern" will Granitzka angehen.
Seine Beamten sollen "konsequent und selbstständig einschreiten". Am 1.Mai hat die Kölner Polizei bereits ihre Selbstständigkeit unter Beweis gestellt. Mehr als hundert mit Helmen, Schildern und Knüppeln bewaffnete Polizisten nahmen unter dem Einsatz von Gewalt vier Teilnehmer der alljährlichen DGB-Demonstration fest. Anlaß war ein Transparent mit der Parole "Wir scheißen auf Deutschland", das einer der Festgenommenen in den Händen hielt. PDS-Bundestagsabgeordnete und grüne Landtagspolitiker, die "deeskalierend" eingreifen wollten, hatte der selbständig handelnde Einsatzleiter schroff abblitzen lassen. Der Vorwurf der "Verunglimpfung der BRD" erwies sich im nachhinein als unhaltbar.
Doch während der Gipfel sollen sich die Polizeibeamten mit unverhältnismäßigen Gewalttätigkeiten und Einschränkungen der Pressefreiheit zurückhalten. "Wir erwarten vorbildliches Auftreten der Kollegen, denn wir stehen im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit", beschwört Granitzka seine anwesenden Kollegen, "Köln ist eine sympathische Metropole im Herzen Europas". Die mit Zäunen umgitterten Sicherheitszonen in der Innenstadt und überall patrollierende Polizisten sollen trotzdem nicht den "Eindruck einer Polizeifestung" vermitteln, so Granitzka.
Der Einsatzleiter setzt auf die seit den 80er Jahren erprobte "nordrhein-westfälische Linie". Dort wird mit Vorliebe von "Deeskalation" gesprochen. Gemeint sei damit jedoch keine "weiche Linie". Vielmehr sollen die Einsatzkräfte "Gewaltbereite und Gewalttäter" von übrigen Demonstranten isolieren. Besonderer Beliebtheit erfreut sich zu diesem Zwecke der Polizeikessel. "Da es sich nicht immer vermeiden läßt, daß auch friedliche Personen von Polizeimaßnahmen betroffen werden, ist erklärend einzuwirken und um Verständnis zu werben", so eine Informationsbroschüre für die Polizisten.
Die NRW-Linie war auch Grundlage der im Dezember 1994 erfolgten "größten Massenfestnahme der Nachkriegsgeschichte" anläßlich des Essener EU-Gipfels. Damals nahm die Polizei knapp 1000 Menschen auf einen Schlag fest. Die "Kollateralschäden" waren beachtlich: mehr als 150 der Festgenommenen waren keine 16 Jahre alt. Anlaß der Festnahme waren nicht einmal "Gewalttätigkeiten". Die meisten Festgenommenen hielten sich lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort auf. Denn an diesem Sonnabend im Dezember hätte ursprünglich eine Demonstration gegen den EU-Regierungsgipfel stattfinden sollen, die aber nicht von den zuständigen Gerichten genehmigt worden war. Auch Granitzka läßt keinen Zweifel daran, daß er im Kölner Gipfelsommer jedes Versammlungsverbot "konsequent durchsetzen" wird.
Den insgesamt mehr als 100000 polizeilich geschätzten Teilnehmern von "demonstrativen Aktionen" attestiert Granitzka zum "allergrößten Teil friedliche Absichten". Jedoch hätten auch Gruppen ihre Teilnahme angekündigt, die von der Polizei als "gewalttätig" eingestuft würden. Als Kriterium für deren Identifikation bemühte der sonst seriös wirkende Grantizka allseits bekannte Klischees: den Rucksack, vollgepackt mit Baseballschlägern. Auf diese Leute, so Granitzka, seien die Sicherheitskräfte eingestellt. Geplant sind Kontrollen an den Ein- und Ausfuhrstraßen der Stadt, digitale Videoüberwachung mit Hubschraubern, die Stationierung von Spezialeinsatzkräften und viel Platz in der Gefangenensammelstelle.
Gerhard Klas


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