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Dicht gedrängt, zum Teil im Gang stehend, lauschten am 19.Mai knapp 150 geladene Gäste den
Ausführungen des Polizeipräsidenten und seines Stellvertreters im großen Vortragssaal des Kölner
Polizeipräsidiums. Auf dem "Informationsgespräch" zum Doppelgipfel in Köln begrüßte der
Präsident Jürgen Roters auch 70 Polizeisprecher aus Nordrhein-Westfalen, deren Einsatzstellen Beamte für das Kölner
Kontingent stellen. Die hatten sich kurzerhand zwischen die Medienvertreter gemischt, waren mit eigener Kamera dabei und haben laut Roters
"schon in Ahaus Erfahrungen" bei Großeinsätzen zum Schutz des dortigen Atombrennstäbe-Zwischenlagers
gesammelt.
In Köln wird einer der größten Polizeieinsätze der deutschen Nachkriegsgeschichte exerziert: vom 25.Mai bis zum
21.Juni 1999 sind 12.000 Polizisten in der Domstadt stationiert. Grund für diesen besonderen Aufwand sind der EU-Regierungsgipfel und
das zwei Wochen später stattfindende Treffen der G7-Staats- und Regierungschefs.
Gesamteinsatzleiter der Gipfeltage Winrich Granitzka läßt keinen Zweifel daran, "daß die Sicherheit der
Staatsgäste absolute Priorität hat" und sie sich in "störungsfreien Räumen" bewegen können
sollen. Unter Störungen versteht der Einsatzleiter nicht nur Akte brachialer Gewalt oder Bombenattentate. "Geplante
Anschläge sind uns nicht bekannt", bestätigt er auch prompt. "Konsequentes Eingreifen" soll hingegen schon bei
"Lärmbelästigungen der Politiker, z.B. durch Trillerpfeifen", erfolgen. Auch die "Beleidigung von
Staatsoberhäuptern" will Granitzka angehen.
Seine Beamten sollen "konsequent und selbstständig einschreiten". Am 1.Mai hat die Kölner Polizei bereits ihre
Selbstständigkeit unter Beweis gestellt. Mehr als hundert mit Helmen, Schildern und Knüppeln bewaffnete Polizisten nahmen unter
dem Einsatz von Gewalt vier Teilnehmer der alljährlichen DGB-Demonstration fest. Anlaß war ein Transparent mit der Parole
"Wir scheißen auf Deutschland", das einer der Festgenommenen in den Händen hielt. PDS-Bundestagsabgeordnete und
grüne Landtagspolitiker, die "deeskalierend" eingreifen wollten, hatte der selbständig handelnde Einsatzleiter schroff
abblitzen lassen. Der Vorwurf der "Verunglimpfung der BRD" erwies sich im nachhinein als unhaltbar.
Doch während der Gipfel sollen sich die Polizeibeamten mit unverhältnismäßigen Gewalttätigkeiten und
Einschränkungen der Pressefreiheit zurückhalten. "Wir erwarten vorbildliches Auftreten der Kollegen, denn wir stehen im
Rampenlicht der Weltöffentlichkeit", beschwört Granitzka seine anwesenden Kollegen, "Köln ist eine
sympathische Metropole im Herzen Europas". Die mit Zäunen umgitterten Sicherheitszonen in der Innenstadt und überall
patrollierende Polizisten sollen trotzdem nicht den "Eindruck einer Polizeifestung" vermitteln, so Granitzka.
Der Einsatzleiter setzt auf die seit den 80er Jahren erprobte "nordrhein-westfälische Linie". Dort wird mit Vorliebe von
"Deeskalation" gesprochen. Gemeint sei damit jedoch keine "weiche Linie". Vielmehr sollen die Einsatzkräfte
"Gewaltbereite und Gewalttäter" von übrigen Demonstranten isolieren. Besonderer Beliebtheit erfreut sich zu diesem
Zwecke der Polizeikessel. "Da es sich nicht immer vermeiden läßt, daß auch friedliche Personen von
Polizeimaßnahmen betroffen werden, ist erklärend einzuwirken und um Verständnis zu werben", so eine
Informationsbroschüre für die Polizisten.
Die NRW-Linie war auch Grundlage der im Dezember 1994 erfolgten "größten Massenfestnahme der
Nachkriegsgeschichte" anläßlich des Essener EU-Gipfels. Damals nahm die Polizei knapp 1000 Menschen auf einen Schlag
fest. Die "Kollateralschäden" waren beachtlich: mehr als 150 der Festgenommenen waren keine 16 Jahre alt. Anlaß der
Festnahme waren nicht einmal "Gewalttätigkeiten". Die meisten Festgenommenen hielten sich lediglich zur falschen Zeit am
falschen Ort auf. Denn an diesem Sonnabend im Dezember hätte ursprünglich eine Demonstration gegen den EU-Regierungsgipfel
stattfinden sollen, die aber nicht von den zuständigen Gerichten genehmigt worden war. Auch Granitzka läßt keinen Zweifel
daran, daß er im Kölner Gipfelsommer jedes Versammlungsverbot "konsequent durchsetzen" wird.
Den insgesamt mehr als 100000 polizeilich geschätzten Teilnehmern von "demonstrativen Aktionen" attestiert Granitzka zum
"allergrößten Teil friedliche Absichten". Jedoch hätten auch Gruppen ihre Teilnahme angekündigt, die von
der Polizei als "gewalttätig" eingestuft würden. Als Kriterium für deren Identifikation bemühte der sonst
seriös wirkende Grantizka allseits bekannte Klischees: den Rucksack, vollgepackt mit Baseballschlägern. Auf diese Leute, so
Granitzka, seien die Sicherheitskräfte eingestellt. Geplant sind Kontrollen an den Ein- und Ausfuhrstraßen der Stadt, digitale
Videoüberwachung mit Hubschraubern, die Stationierung von Spezialeinsatzkräften und viel Platz in der
Gefangenensammelstelle.
Gerhard Klas