Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite

‘Köln gehen‘

Seit einigen Jahren schon weisen einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) darauf hin, daß eine Auseinandersetzung mit den weltweit herrschenden Wirtschaftsstrukturen nötig ist. Im Sommer 1998 wurde mit der Gründung des Arbeitsschwerpunkts Weltwirtschaft im BUKO die Lücke zwar nicht geschlossen, aber doch mit einem Pförtner versehen, der nicht mehr alles ohne kritische Prüfung durchlässt.
Die ersten Ergebnisse der Arbeitsgruppe liegen nun rechtzeitig zu den Gipfeln in Köln vor. Köln gehen, so der Titel der Broschüre, nähert sich in drei Schritten dem Durchblick durch unsere glitzernden Warenwelt, deren Schattenseiten und dem dazugehörigen Widerstand.
Im ersten Schritt beschreiben die Autoren und die Autorin verschiedene Facetten der herrschenden Ökonomie. Dabei beziehen sie Position zu verschiedenen aktuellen theoretischen Standpunkten zum Thema "neoliberale Globalisierung". Vor allem Leserinnen und Lesern, für die der Gang nach Köln in diesem Jahr zu den ersten Schritten im Kampf gegen EU, WWG, Weltbank etc. gehört, sei empfohlen, sich die Lektüre dieses Artikels bis zum Schluß aufzuheben, sonst ist die Gefahr groß, sich bereits an dieser Stelle lahmzulaufen.
Die Artikel zu transnationalen Konzernen, Geschlecht und Globalisierung, zur Rolle der G7-Gipfel sowie die beiden Artikel zur EU sind auch nicht unbedingt das reine Lesevergüngen, aber die Auseinandersetzung mit konkreten Einzelerscheinungen ist doch eine geringere Hürde als Fragen der allgemeine nEinschätzung.
Der zweite Schritt begibt sich auf das Feld: Wie wird uns das alles verkauft? Auch dieses Thema ist nicht im Vorbeigehen mitzunehmen, das machen drei Artikel deutlich. Vor allem die sogenannten fortschrittlichen Realitäten des herrschenden Diskurses wie "Zivilgesellschaft", "Nachhaltigkeit" und "Global Governance" werden in diesem Kapitel kritisch durchgearbeitet.
Der dritte und entscheidende Schritt sollte bekanntlich erst getan werden, wenn die ersten beiden einen sicheren Absprung ermöglichen. Die "Reflexionen über vergangene und aktuelle Kampagnen" untersuchen die Entwicklung der Internationalismusbewegung bis hin zu ihren Wurzeln in den 60er Jahren. Besonders bedacht werden die Chiapas-Solidarität, das Netzwerk Peoples‘ Global Action, die MAI-Kampagne, die Euromärsche, die Kampagne für Sozialklauseln, der alternative 3.Welt-Handel und die "Erlaßjahr-2000"-Kampagne.
Beendet wird der Hindernisparcour mit einigen "anstößigen Gedanken des BUKO-Arbeitschwerpunkts Weltwirtschaft" zu den "Anforderungen an einen ,Neuen Internationalismus‘".
Den Weg nach Köln über diese Broschüre zu gehen ist sicherlich nicht einfach. Aber es lohnt sich. "Internationalistische Praxis heute muß sich immer wieder der schwierigen Frage stellen, wo sie steht, warum sie wie agiert und welche Konsequenzen bestimmte Politikformen haben." So heißt es am Ende des Beitrags über die Chiapas-Solidarität. Einmal abgesehen davon, daß ich das "heute" in diesem Satz ersatzlos gestrichen hätte, sollte die Broschüre bei der Beantwortung dieser Frage herangezogen werden, nicht nur heute und nicht nur auf dem Weg nach Köln.
Tommy Schroedter


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