Sozialistische Zeitung |
Das siebte, weltweit bisher größte Treffen von Gewerkschafterinnen fand Ende Mai in Brasilien
statt. Über 320 Frauen nahmen an der von ICFTU (International Confederation of Free Trade Unions in Brüssel) organisierten
Konferenz teil. Etwa ein Drittel, 43 Millionen, der Mitglieder von ICFTU besteht aus Frauen.
Das Konferenzthema lautete "Working Women in the 21st Century - Demanding our space, taking our place". Mehrere brasilianische
Gewerkschaften (CGT, FS und CUT) unterstützten die Konferenz.
Die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú aus Guatemala kritisierte in ihrer Eröffnungsrede die Globalisierung als eine
Strategie zur Steigerung des Wohlstandes der reichen Länder.
Die Delegierten kamen aus 120 Ländern in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika und Europa - aus Dänemark,
Großbritannien, Kanada, den USA, Polen, Rußland, Japan, Südafrika und Zambia.
Das Gesicht der Armut ist weiblich
Es war das erste Mal, daß diese Konferenz in einem Entwicklungsland stattfand. In Brasilien hat die Globalisierung besonders schwere
Auswirkungen auf das Leben der Frauen. Von 1991 bis 1997 ist die Erwerbslosigkeit von Frauen um mehr als 5 Prozent angesteigen.
40 Prozent der Frauen verdienen nur das Existenzminimum im Vergleich zu 27 Prozent der Männer. Ein ähnlicher Unterschied
läßt sich allerdings auch in den Industrieländern feststellen, mit 11,1 Prozent zu 8,5 Prozent. Von den 1,3 Billionen Armen
weltweit sind mehr als zwei Drittel Frauen und Mädchen.
Nach wie vor seien es die schwarzen und eingeborenen Frauen, die am stärksten unter Diskriminierungen litten, sagte Benedita da Silva.
In ihrer Rede als Gastgeberin der Konferenz betonte da Silva die Bedeutung von Bildung für die Teilnahme an verbesserten
Arbeitsbedingungen und an politischen Entscheidungsprozessen. Analphabetismus bei Frauen ist in vielen Weltgegenden noch sehr
verbreitet.
Prekäre Beschäftigungen
Frauen haben zwar einen wachsenden Anteil an der Globalisierung, aber in erster Linie in Form von prekären Beschäftigungen und
Diskriminierungen. Der Beitrag der Frauen zur Weltwirtschaft bleibt so überwiegend im Dunkeln. In nationalen Bilanzen und
Beschäftigungsstatistiken wird ihr Anteil meist unterschätzt.
Wenn man eine weniger enge Definition von ökonomischer Aktivität zugrundelegt, also auch die Arbeit in nichtkommerziellen
Sektoren einbezieht, steigt die Beschäftigungsrate von Frauen nach ILO Schätzungen in Indien zum Beispiel von 13 Prozent auf 88
Prozent und in Bangladesh von 11 Prozent auf 63 Prozent.
Diese "unsichtbare" Arbeit von Frauen findet keinerlei ökonomische Anerkennung. Aber ohne ihre verdeckte Ausbeutung
könnte die Globalisierung gar nicht funktionieren.
Eine der Hauptforderungen der Globalisierung ist Flexibilität, insbesondere menschliche. Sie umfaßt Flexiblisierung der
Arbeitszeit, der Qualifikation, der Organisation der Arbeit und auch der Löhne. (Frauen erhalten häufig eine geringere Bezahlung
für die gleiche Arbeit als Männer.)
Gerade von den Frauen wird erwartet, daß sie sich der "Flexibilität" unterwerfen, da sie ohnehin schon in meist
ungeregelten Arbeitsverhältnissen stecken. Teilzeit, zeitlich begrenzte oder Gelegenheitsarbeit, Heimarbeit, kurzfristige Verträge,
Scheinselbständigkeit, all diese nichtstandardisierten Formen der Beschäftigung greifen auch in den Industrieländern mehr
und mehr um sich. Es entstehen kaum mehr stabile Vollzeitarbeitsplätze. Nach Angaben der OECD wird diese Entwicklung von den
Regierungen politisch gefördert.
Frauen, in vielen Ländern die einzigen Ernährerinnen ihrer Familien, werden meist als erste entlassen, wenn Fabriken geschlossen
werden. Transnationale Konzerne steigern durch Entlassungen und Lohnkürzungen ihre Profite.
Als klassisches Beispiel dafür wurde die Telekomgesellschaft Bell Canada in Brasilien erwähnt. Auch den Wegfall an
öffentlichen Geldern für Gesundheit, Erziehung und Kinderbetreuung bekommen Frauen am deutlichsten zu spüren.
Katastrophale Folgen der Globalisierung
In der detaillierten Untersuchung "From Asia to Russia to Brazil" wird der Preis, den die Frauen für die Globalisierung
zahlen, aufgezeigt.
Besonders die Strukturanpassungsprogramme von Weltbank, IWF und anderen internationalen Finanzinstituten treffen die Arbeitnehmerinnen in
voller Härte. Deshalb forderte die Konferenz, daß bei der Vergabe der Kredite in Zukunft soziale und frauenspezifische Belange
mitberücksichtigt werden müßten. Um dies zu gewährleisten sollten mehr Frauen in Gewerkschaftsdelegationen beim
Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und anderen Finanzinstitutionen vertreten sein.
Die Wirtschaftskrise hat die Frauen überwiegend wieder an ihre Plätze im Haus zurückverwiesen. In vielen Ländern
besteht ihre einzige Alternative darin, im schlecht bezahlten, kaum geregelten informellen Sektor Arbeit zu suchen, wo sie als Marktfrauen, als
Wäscherinnen oder als Haushälterinnen arbeiten.
Der Bericht wirft auch einen kritischen Blick auf die Ausweitung der exportproduzierenden Zonen (vor allem die Bereiche Textil und
Elektronik).
In Südostasien arbeiten bereits 80 Prozent der Frauen in diesem Bereich, der von überlangen Arbeitszeiten, harter Arbeit, niedrigen
Löhnen und dem Fehlen sozialer Rechte geprägt ist.
In Korea waren 37 Arbeitnehmerinnen, darunter drei Schwangere, von der Firma Shin Kwan im August 1998 entlassen worden, weil sie eine
Kollegin gegen körperliche Übergriffe ihres Chefs verteidigt hatten. In Guatemala sind 40 Prozent der Arbeiterinnen in diesen
Branchen unter 18.
Die von all diesen Entwicklungen am stärksten betroffenen Gebiete sind Asien, Russland und Brasilien. Berichte von dort lebenden
Frauen spiegeln das Ausmaß der existentiellen Bedrohung wieder.
In Russland sind 70 Prozent der Arbeitslosen weiblich, obwohl Frauen 53 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In der Ukraine hat die
Zerstörung des Sozialsystems Frauen dazu gezwungen, die sozialen Verpflichtungen des Staates zu übernehmen.
Häufig ist es auch verboten, sich gewerkschaftlich zu betätigen. Eine Thailänderin berichtete, daß sie entlassen wurde
und auf eine schwarze Liste kam, weil sie sich gewerkschaftlich organisierte.
Deshalb fände sie auch keine neue Arbeit. Die Konferenz initiierte auch eine Kampagne für die Befreiung Dita Saris, die
über hundert Streiks in Indonesien organisiert hat und dafür seit 1996 im Gefängnis sitzt.
Das Konferenzthema lautete "Working Women in the 21st Century - Demanding our space, taking our place".
Die Teilnehmerinnen debattierten Möglichkeiten, die Globalisierung in einer Weise umzugestalten, daß sie den Bedürfnissen
von Frauen entgegenkommt und soziale Gerechtigkeit erreicht wird.
Frauen in die Gewerkschaften
Dabei kommt der gewerkschaftlichen Organisation von Frauen eine herrausragende Rolle zu. In Regionen mit einer gut organisierten
Arbeitnehmerinnenschaft seien Lohnzuwächse von über 30 Prozent zu verzeichnen, bemerkte Riche.
Die ICFTU Konferenz endete mit einem Aufruf, neue Strategien zu emtwickeln, um auch Arbeiterinnen im informellen Sektor zu gewinnen.
Gerade in den exportproduzierenden Zonen arbeiten junge Frauen, die auch die Hälfte der in der Konferenz repräsentierten Frauen
ausmachten. Auch Arbeitsmigrantinnen, Teilzeitarbeiterinnen und der wachsende Telearbeitsbereich müßten gewerkschaftlich
stärker ins Auge gefaßt werden.
Die Konferenz beschloß, neue Strukturen in den Gewrkschaften zu schaffen, um Frauen eine zentralere Rolle zuzuweisen und sie besser zu
repräsentieren. Auch in der Öffentlichkeit müsse man sich anders darstellen.
Nair Goulhart, die Leiterin der Frauensektion von Força Sindical, einer von drei brasilianischen Gewerkschaften, die die Konferenz mit
der ICFTU organisert hatten, wies darauf hin, daß noch große Anstrengungen nötig seien, um die Diskriminierung der Frauen
auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu bekämpfen.
Auch wenn Brasiliens zentrale Gewerkschaften den Frauen eine Quote von 30 Prozent für nationale Führungsposten zusicherten,
würden Arbeiterinnen an der Basis nach wie vor benachteiligt. Zum Beispiel seien nur 5 von 17 Führungskräften der
Erziehungsgewerkschaft Frauen.
Aber Ungleichbehandlung besteht auch auf anderen Gebieten. Nur 5 der 60 nationalen Koordinatorinnen und Koordinatoren der
Landlosenbewegung (MST) sind Frauen, und nur 3,4 Prozent der Exekutivposten in den größten brasilianischen Unternehmen haben
Frauen inne, berichtete Lucia Avelar, eine Professorin der Politik an der Universität von Brasilien.
Sie fügte hinzu, daß Frauen auch nicht auf politische Posten kämen, obwohl sie im allgemeinen eine längere Schulzeit
als Männer hinter sich hätten.
Die Konferenz war eine gute Gelegenheit, neue erfolgreiche Kampfstrategien in verschiedenen Ländern kennenzulernen und gemeinsame
zu planen.
Die Gewerkschaften wollen sich auch verstärkt für die Umsetzung der in der Weltfrauenkonferenz von 1995 in Peking
beschlossenen Ziele einsetzen. Die nächste Weltkonferenz für Frauen in den Gewerkschaften wird in vier Jahren stattfinden.
Monika Piendl