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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 8

Der 29.05. aus afrikanischer Sicht

Ein Fest für die Menschenrechte

Angeschoben von Erwerbslosenverbänden, Gewerkschaften, Initiativen gegen ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung, hat sich der europäische Marsch vom 29.Mai in ein Volksfest zur Verteidigung der Menschenrechte verwandelt. Beobachter waren überrascht, daß außereuropäische Bewegungen wie das afrikanische Forum zur Verteidigung der Menschenrechte, The Voice, stark vertreten waren.
Dieses Forum wurde vor fünf Jahren in der Universitätsstadt Jena in einem der ärmsten deutschen Bundesländer von Afrikanern für Afrikaner gegründet; heute beteiligt es sich ohne Unterschied der Ethnie an allen Bewegungen. Es konnte deshalb nicht überraschen, daß es auch die Euromärsche unterstützt hat.
Die meisten seiner Mitglieder, die unterschiedlichen Ethnien angehören, kommen aus Jena; die Stadt beherbergt eines der größten Übergangslager für Flüchtlinge in Deutschland. Ein guter Teil lebt aber auch verstreut. Das Forum hat die Unterstützung der Studierenden, deren Zukunft gerade in Thüringen sehr prekär ist; dort ist die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch. The Voice beschränkt seine Arbeit allerdings nicht auf die Unterstützung von Demonstrationen, die andere der Verteidigung der Menschenrechte verpflichtete Organisationen initiieren.
The Voice hatte im vergangenen Jahr an der Seite der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen am Unterstützungsmarsch für die Kurden in Köln teilgenommen; dann am Marsch der Karawane selbst, die durch 40 deutsche Städte gezogen ist, um gegen den Rassismus zu demonstrieren und vom 7.bis 12.Dezember 1998 eine internationale Woche für die Rechte der Menschen und der Kultur organisiert hat.
Die Teilnehmenden dort kamen aus allen Kontinenten, sprachen über Neoliberalismus und seine Auswirkungen auf das Leben der Völker und bereiteten die große Konferenz zu diesem Thema vor, die am 24. und 25.Mai in Frankfurt stattgefunden hat. Sie haben auch die politische Situation und die Lage der Menschenrechte in Afrika dargestellt, am Beispiel Kameruns, des Sudans, Sierra Leones, Nigerias und Togos; unter anderen sprach dazu der bekannte Verteidiger der Demokratie in Afrika, Beko Kuti.
Es wurden Rassismus und Diskriminierungen gegenüber Asylbewerbern angeprangert, die Abschaffung der Militärdiktaturen und der Todesstrafe gefordert, sowie die Rechte der afrikanischen Frauen und allgemein der MigrantInnen in der BRD eingeklagt. Die Teilnehmenden waren sich einig, daß es noch ein langer Weg ist, bis die Menschenrechte respektiert werden, wie die Allgemeine Menschenrechtserklärung es fordert, die in derselben Woche ihren 50.Geburtstag feierte.
Das Jahr 1999 war nicht weniger mit Ereignissen gespickt. Zunächst haben wir uns aktiv an der internationalen Konferenz für die Freiheit aller politischen Gefangenen der Welt beteiligt, die vom 1. bis 5.April in Berlin stattfand und zu der u.a. Pius Njawe, der Sprecher der Journalisten der unabhängigen privaten Presse Kameruns, eingeladen wurde; er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.
Am kommenden 10.Juni wird es eine Soldaritätsdemonstration mit den MigrantInnen geben. Zu nennen sind noch die kulturellen Aktivitäten der afrikanischen Gruppe Zimba Bongo Blues Percussion, die von Theophilus O.Emiowele, dessen Aufenthalt unsicher ist, geleitet wird; auch bei den Euromärschen am 29.5. hat er sein Talent unter Beweis gestellt.
Die Bilder und Reportagen, die Fernsehen, Radio und Printmedien gebracht haben, reichen nicht aus, ein Bild von der Demonstration am 29.5. zu geben. Man muß daran teilgenommen haben, um als ein Beobachter, der in der Bewegung engagiert ist, in der großen Menge am Rudolfplatz die Momente des Kampfs für eine gerechte Sache zu erleben. Die Zukurzgekommenen und diejenigen, die sie unterstützen, die Länder, Staaten und Städte durchquert haben, um nach Köln zu kommen, demonstrierten in einer Stimmung, die von Anspannung wie auch von Ausgelassenheit gekennzeichnet war.
Anspannung nicht nur, weil die Sonne sich buchstäblich über Köln ergoß, was die Demonstrierenden in Hochstimmung und Ausgelassenheit versetzt hat. Anspannung hätte auch von dem massiven Polizeiaufgebot kommen können, das ein italienischer Demonstrant mit der Bemerkung quittierte: "Da gibt‘s einen deutschen Polizisten für jeden Demonstranten..." Die Anspannung hätte auch daher rühren können, daß die Polizei die Antifaschisten daran hinderte, zum Rest der Demonstration aufzuschließen.
Wie hätten sie auch nicht angespannt sein sollen, wo doch die Nachricht bekanntgegeben wurde, daß ein sudanesischer Flüchtling am Vorabend im Flugzeug auf dem Weg seiner Zwangsausweisung an den Folgen seiner brutalen Behandlung durch die Polizei gestorben ist?
Ausgelassenheit herrschte, weil diese Demonstration ein so schöner Erfolg war, die Beteiligung daran über die europäischen Grenzen hinausging, über die Interessen der Erwerbslosen, der ungeschützt Beschäftigten und zu einer Demonstration all derer geworden ist, die gegen Ungerechtigkeit und Ausgrenzung kämpfen.
Denn, wie ein Mitglied des französischen Wachsamkeitskomitees des Flüchtlinge und der Menschen ohne Papiere anmerkte: "Gewalt gegen Frauen ist Ausgrenzung; die Augen verschließen vor rassistischen und nazistischen Handlungen ist Ausgrenzung; die Verhaftung und gerichtliche Verfolgung gegen einen Verteidiger der Ausgegrenzten wie Abdullah Öcalan ist Ausgrenzung; und wenn die NATO Jugoslawien mit Bomben übersät unter dem Vorwand, die Halsstarrigkeit Milosevics zu überwinden, ist das Ausgrenzung."
Oder wie ein deutscher Demonstrant gerufen hat: "Die Geschichte wird es niemals zulassen, daß Milliarden in Bomben verpulvert werden, während Menschen sie dringend benötigen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern."
Es sind die Euromärsche und solche Aussagen, die eine Warnung an die "sozialistischen" Machthaber in Europa und an die Regierungen der G7 darstellen. Gewisse Losungen gingen nicht zimperlich mit ihnen um: "Sozialdemokraten: ruhiggestellte Nazis" oder: "Trio infernale: Schröder-Blair-Jospin". Wählerinnen und Wähler sind empfindlich!
Venant Adoville Saague


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