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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 10.06.1999, Seite 8

Todesfälle nur extremster Ausdruck

Köln: Flüchtlinge besetzen grünes Kreisbüro

Gerade tagte der Vorstand des Kölner Kreisverbands, als am Morgen des 4.Juni 15 Flüchtlinge mit Schlafsäcken, Computern und Wasservorräten das Kreisbüro in der Kölner Innenstadt betraten. Den völlig überraschten Grünen erklärten die Aktivisten der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen", daß sie anläßlich des EU-Gipfels im Büro bleiben wollen, um einen Hungerstreik durchzuführen.
Die Besetzung solle mindestens bis zum G7-Treffen am 20.Juni andauern. Die Flüchtlinge wollen damit gegen die geplante Hinrichtung Abdullah Öcalans und die bisher ununterbrochene Bombardierung Jugoslawiens protestieren.
"Wir fordern insbesondere von der deutschen rot-grünen Regierungskoalition, nicht weiter deutschen Militarismus und Expansionismus mit Menschenrechten zu rechtfertigen", so die Flüchtlinge aus Kamerun, Nigeria, Kurdistan, Peru, Sri Lanka und Togo. Auch zwei Unterstützer aus Deutschland und den USA beteiligen sich an der Aktion.
Ihr Ziel sei es vor allem, die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen in Deutschland und Europa zu Sprache zu bringen. Todesfälle wie der von Aamir Mohamed Ageed, der am 28.Mai von BGS-Beamten getötet wurde, seien "der extremste Ausdruck" der Abschiebepolitik.
"Wir unterstützen die Forderungen der Flüchtlinge", erklärte am Samstag Heidi Näpflein, Sprecherin des Kreisverbands, auf einer Pressekonferenz. Doch wenige Minuten später, nachdem der tamilische Sprecher der Flüchtlinge, Viraj Mendis, mehrfach die Verantwortlichkeit der Grünen für die Verschlechterung der Situation der Flüchtlinge seit dem Regierungswechsel herausgestellt hat, ändert sich ihr Ton. Sie empfinde sich als "politische Geisel", erklärt Näpflein und beschwert sich darüber, daß alle Kräfte des Grünen Kreisverbandes gebunden seien, "wir können nun kaum noch Wahlkampf machen".
Dennoch wolle der Kreisverband seine aktuelle Unterstützungsarbeit, die jedoch nicht der Form des Hungerstreiks gilt, "im Wahlkampf positiv darstellen".
Mendis will die Grünen beim Wort nehmen. "Meint ihr, was ihr sagt, oder benutzt ihr uns nur für eure politischen Interessen?" fragte er Näpflein und forderte sie auf, den Unterschied zwischen der SPD und den Grünen herauszustellen.
Die Flüchtlinge hatten außerdem gefordert, ein Treffen mit Außenminister Josef Fischer und Bundesinnenminister Otto Schily zu arrangieren. Obwohl der grüne Kreisverband unmittelbar nach der Besetzung Kontakt mit den Ministerien aufgenommen hatte, haben beide das Anliegen der Flüchtlinge abgelehnt.
"Diese Haltung ist bezeichnend, denn fast alle Politiker empfinden uns als Bedrohung und sehen uns am liebsten in Lagern eingesperrt", kommentierte Mendis die Entscheidung. Große Veränderungen erwarten sie jetzt ohnehin nicht, so Mendis, denn "dafür sind wir viel zu schwach - doch wir wollen, daß unsere Stimme gehört wird". Der Hungerstreik sei unbefristet, am 20.Juni wollen sie über ihr weiteres Vorgehen beraten.
Eine fragwürdige Solidaritätsaktion hatten am frühen Freitag Nachmittag etwa fünfzig Autonome gestartet. Offensichtlich ohne klare Kenntnis der Situation drangen sie in das Kreisbüro ein und hätten "Sachbeschädigungen" begangen, so Näpflein. Den anwesenden Mitgliedern des Kreisverbands seien erhebliche "Aggressionen entgegengeschlagen". Daraufhin hätten einige Kreisverbandsmitglieder für eine "polizeiliche Räumung" votiert.
Mendis bezeichnete die Aktion der Autonomen als "Kollateralschaden". In einem Plenum hätten die Flüchtlinge ihnen klar gemacht, daß "dies nicht der Platz ist, um den Konflikt der Autonomen mit den Grünen auszutragen".
Auch ein Sprecher des antirassistischen Netzwerks "Kein Mensch ist illegal" - das die Aktion der Flüchtlinge unterstützt - bestätigte, daß es die Flüchtlinge gewesen seien, die die Situation deeskaliert hätten.
Einer der Organisatoren des wenige hundert Meter enfernt tagenden "linksradikalen Anti-EU-Kongresses" sprach sich grundsätzlich für Solidaritätsaktionen aus, kritisierte jedoch gegenüber der SoZ Aktionen, "die an dem Anliegen der Flüchtlinge vorbeigehen und ohne Kenntnis der Situation durchgeführt werden".
Gerhard Klas


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