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Viel Hoffnung hegten einige Gewerkschaften im Hinblick auf den EU-Beschäftigungspakt, der als einer
der bedeutendsten Verhandlungspunkte des jüngsten EU-Regierungsgipfels galt. Viel Neues kam unterdessen nicht dabei heraus: lediglich
ein "makroökonomischer Dialog", an dem sich die Sozialpartner, die EU-Kommission, die Finanz- und Wirtschaftsminister
der Mitgliedsländer sowie die Europäische Zentralbank (EZB) halbjährlich beteiligen werden, ist aus den Verhandlungen
hervorgegangen. Ansonsten bleibt alles beim alten: die Beschäftigungspoltik ist weiterhin der Wirtschaftspolitik untergeordnet und die
Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien obliegt nach wie vor den einzelnen Mitgliedstaaten.
"Der Abbau von Wachstumshemmnissen ist zugleich der Abbau von Beschäftigungshemmnissen", lautet die einfache Formel.
Das Ziel "eines hohen Beschäftigungsniveaus in ganz Europa" knüpft der Europäische Rat vor allem an zwei
Voraussetzungen: die Stabilität des Preisniveaus und zahlreiche Vergünstigungen für Unternehmer. Stabilität und
Wachstum bedeuten, daß die Haushalte der EU-Mitgliedstaaten ausgeglichen sein und nach Möglichkeit "zu einem
Überschuß gebracht werden müssen." Die Entschließung des Europäischen Rates läßt keinen
Zweifel daran, daß dabei ein wesentlicher Punkt die Verbilligung des Faktors Arbeit ist. "Die Lohnentwicklung muß sich auf
einem verläßlichen Pfad bewegen, mit Lohnzuwächsen, die mit der Preisstabilität und der Schaffung von
Arbeitsplätzen vereinbar sind", heißt es in dem Papier.
Es geht also um eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Instrumente dieser Umverteilung sollen die von der EU-Kommission
erarbeiteten Leitlinien für die "Nationalen Aktionspläne" sein. Wie schon Ende März im
"Empfehlungspapier" der Kommission zu lesen war, sollen die Mitgliedsländer vor allem "präventiven
Strategien" und nicht "passiven Maßnahmen" bei der Beschäftigungspolitik nachgehen. Das heißt,
Sozialleistungen und Arbeitslosenhilfe sollen möglichst abgebaut und an Bedingungen geknüpft werden. Das können
Umschulungen und Weiterbildungen in prosperierende Unternehmensbereiche sein - z.B. in Call-Centern, oder aber die britischen
"Workfare"-Programme, die die Zahlung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe an Zwangsarbeit koppeln.
In seiner Abschlußrede fand Bundeskanzler Gerhard Schröder im Zusammenhang mit dem Beschäftigungspakt lobende Worte
für das niederländische Poldermodell (siehe SoZ 11/99). Grundlegender Bestandteil des Poldermodells ist ein alljährliches
Treffen der Tarifparteien und der Regierung, die relevante arbeitsmarktpolitische Entscheidungen treffen. Eine Gruppe von
niederländischen Erwerbslosen, die zwei Tage zuvor in Köln die Filiale der Zeitarbeitsfirma Randstad besetzt hatten, wandten sich
mit ihrer Aktion gegen den "Export des Poldermodells" im Rahmen des EU-Beschäftigungspakts.
Ihre Bilanz des seit sechs Jahren praktizierten Modells ist bitter: die Löhne sind durchschnittlich um ein Prozent, die Profite hingegen um
ein vielfaches gestiegen, das Realeinkommen der Erwerbslosen um 20 Prozent gesunken und die Zahl der Familien unterhalb der Armutsgrenze
hat sich verdoppelt. Die Zahl der zeitlich befristeten Arbeitstellen hat sich ebenfalls verdoppelt, ebenso die Anzahl der Teilzeitstellen.
Nirgends auf der Welt ist die "Produktivität der Beschäftigten" höher als in den Niederlanden. Die Folge: 60
Prozent der Beschäftigten beschweren sich über einen zu hohen Arbeitsdruck. Der Protest gegen diese Politik wurde mit der
Festnahme von 26 Menschen, die sich im Gebäude der Zeitarbeitsfirma befanden, quittiert.
In der Entschließung zum Beschäftigungspakt ist auch die Rede von "lebenslangem Lernen". Über die materiellen
Lebensbedingungen und die Tatsache, daß knapp 50 Millionen Menschen in Europa am Rande des Existenzminimums leben, wird
nirgends ein Wort verloren. Die Bevölkerung der EU wird reduziert auf ihr "Humankapital", was zählt, ist einzig und
allein die Qualifikation. Auch der "Europäische Sozialfonds" ist keinesfalls dafür vorgesehen, die Armut in Europa zu
bekämpfen. Er soll nach dem Willen des Europäischen Rates vielmehr für "Investitionen in die Qualifikation der
Menschen" aufgebraucht werden.
Einem Teil der 16 Millionen Erwerbslosen in Europa soll außerdem der Weg in Selbstständigkeit geebnet werden. Der
Europäische Rat schlägt deshalb den "Abbau überflüssiger Regulierungen" vor, damit "insbesondere
die Belastungen für beschäftigungsintensive Kleinunternehmen minimiert und Gründungen neuer Unternehmen erleichtert
werden". Dabei geht es vor allem um die Bereinigung der Arbeitslosen-Statistik. Ein Blick in strukturschwache Regionen - wie etwa des
Ruhrgebiets - zeigt, daß das Kleinunternehmertum oftmals keine Perspektive hat: Irgendwann ist der Bedarf an Videotheken, Solarien und
Kiosken gedeckt und die Pleite der Neugründer vorprogrammiert.
Die größte Bedeutung beim "makroökonomischen Dialog" werden nach wie vor die Empfehlungen der EU-
Kommission haben, die hauptsächlich dafür zuständig ist, die jeweiligen Berichte über die Umsetzung der Nationalen
Aktionspläne der EU-Mitgliedstaaten zu analysieren und auszuwerten. Der "makroökonomische Dialog" wird in
Einzelfällen auch quantifizierbare Ziele für einzelne Mitgliedstaaten festlegen können. Die Kommission soll bereits in
diesem September einen Vorschlag für die beschäftigungspolitischen Leitlinien im Jahr 2000 vorlegen. Auf die Kritik des
Präsidenten des Europaparlaments, Jose-Maria Gil-Robles, daß das Europaparlament nicht an den Vorbereitungen für den
Pakt beteiligt wurde, haben bisher weder die Kommissare, noch die Regierungschefs der Mitgliedstaaten reagiert.
Grüne, CDU und CSU kritisieren den Pakt als "Papier der Unverbindlichkeiten", "großen PR-Gag" und
"Luftnummer". Auch die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände weist es weit von sich, auf Grundlage des
Beschäftigungspaktes neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Doch darum geht es den Unternehmern auch nicht: sie
begrüßen die angestrebte Förderung des Dialogs zwischen den europäischen Sozialpartnern, Regierungen, Kommission
und der EZB, die sie als zusätzliche Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen betrachten. Die Deutsche Angestellten
Gewerkschaft ist ebenfalls von der europäischen Sozialpartnerschaft angetan und sieht sie als Grundlage für mehr
Beschäftigung, kritisiert allerdings die fehlenden quantitativen und zeitlichen Vorgaben für den Abbau der Erwerbslosigkeit.
Gerhard Klas