Sozialistische Zeitung |
Westfalenhütte in Dortmund, Tor 1: die Werksuhr ist auf "5 vor 12" stehengeblieben. Pfeifen
und Hupen schrillen am Pförtnerhaus, Autokorso und Motorradgruppe der "Hoesch Spundwand und Profil GmbH" (HSP)
treffen zu einer öffentlichen Belegschaftsversammlung am Mittag des 21.Juni hier ein.
Ein traditioneller Ort für Kundgebungen und Proteste um den Stahlstandort Dortmund, um Fusionen und Stillegungen; viele der heute
Erschienenen waren schon öfter dabei. Das war so, als Hoesch Spundwand noch als Werk Union zum Hoesch-Stahlkonzern
gehörte; das gehörte dazu, als Krupp und Cromme Hoesch und die Stahlwerker aufkauften; und das endete selbstverständlich
erst recht nicht, als der Thyssen-Konzern sich mit dem Versprechen, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, mit Krupp zur Thyssen-Krupp-Stahl
verband.
Schon vorher war neben anderen Teilen von Hoesch das Werk Union als selbständige GmbH mit Namen Hoesch Spundwand und Profil
(HSP) ausgegliedert worden. Das Werk, das 1909 gegründet wurde, stellt Spundwände und Profilstahl sowie Grubenausbau her.
Die 670 Stahlwerker werfen den Mutterkonzernen vor, in den letzten Jahren sehr gut verdient, aber nichts zur Modernisierung getan zu haben.
Eine lange Tradition als Stahlstandort soll der Globalisierung zum Opfer fallen. Thyssen-Krupp will die gesamte Stahlproduktpalette einer
Prüfung unterziehen, ob sie gefördert, gehalten oder abgestoßen werden soll. HSP gehört eher zum letzteren Bereich -
das wurde vor einigen Tagen klar, als der Vorstand von Kaufinteressenten sprach und auch gleich Firmen nannte: British Steel, Salzgitter,
Arbed (Luxemburg).
Der Betriebsrat mobilisierte die Belegschaft und die Dortmunder Öffentlichkeit regional gegen diese Pläne. Nach seiner Ansicht
kann der Verkauf nur als Anlaß zur Marktbereinigung durch den Käufer aufgefaßt werden, denn die Unternehmen sind
natürlich Konkurrenten. Das aber hieße Stillegung von HSP.
Schulz, der mit Cromme gemeinsam den Stahlbereich führt, informierte den Aufsichtsrat, weigerte sich aber, nach Dortmund zur
Belegschaft zu kommen. So forderte der Betriebsrat die Belegschaft, Familienangehörige und andere Betroffene zu einer
öffentlichen Belegschaftsversammlung auf, um Druck auf den Konzern zu machen. Der Betriebsratsvorsitzende Norbert Bömer
informierte die Belegschaft über den Stand der Dinge und stellte klar, daß ein Verkauf für die Belegschaft unter den
bestehenden Umständen nicht in Frage komme, weil ihre Arbeitsplätze und noch weitere unmittelbar dadurch bedroht wären.
Und dies, obwohl vor nicht allzulanger Zeit für im Thyssen-Krupp-Stahlbereich wegfallende Arbeitsplätze Ersatz angeboten
werden sollte. Der Sozialplanbereich funktioniere nur, wenn Thyssen-Krupp Eigentümer bliebe und ein Ausgleich im gesamten Raum um
Dortmund herum stattfinden könne - bei den möglichen Käufern sei dies überhaupt nicht gewährleistet.
Bömer stellte auch klar, daß der Betriebsrat und die Belegschaft schon länger Kontakt zu den Belegschaften der anderen
Konzerne halte, um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.
So waren auch mehrere Betriebsräte und Vertrauenskörperleiter von anderen Stahlbuden zur Belegschaftsversammlung angereist,
um ihre Solidarität zu bekunden. Die Belegschaft beschloß eine Resolution: "Wir schützen unsere Arbeitsplätze!
Die heutige öffentliche Belegschaftsversammlung der Hoesch Spundwand und Profil GmbH erklärt: ‚Herr Dr. Cromme, Herr Dr.
Schulz: Treten Sie endlich persönlich vor die Menschen, die sie verkaufen wollen! - Wenn der Thyssen-Krupp-Konzern sich aus
der Verantwortung für die Arbeitsplätze und die Region stiehlt, dann ist Widerstand angesagt. - Wir suchen den
Schulterschluß mit allen, die ebenfalls Opfer dieser Konzernstrategie sind. - Wir sind keine Sklaven mehr! Wir lassen uns nicht einfach
verkaufen! - Wir handeln jetzt!"
Die Dortmunder, besonders die alten Hoeschianer wissen, daß noch Tausende andere betroffen sind. Beim Krupp-Hoesch-Verbund sind
es 40.000 Arbeitsplätze, beim Krupp-Thyssen-Verbund noch einmal 80.000. Da ist einmal der gesamte Hochofenbereich der
Westfalenhütte, der Zug um Zug stillgelegt wird. Da ist die RAG-Kokerei Kaiserstuhl auf dem Gelände der Westfalenhütte,
deren Stillegung besiegelt zu sein scheint. Da ist in der Folge das Bergwerk "Ost" als Kohlelieferant für die Kokerei. Da ist
der Betrieb der Dortmunder Eisenbahnen. Und dazu die vielen Zulieferer und angrenzenden Bereiche.
Deswegen werben die HSP-KollegInnen um Solidarität, aber allein schon die Tatsache, daß sich erneut eine Stahlbelegschaft gegen
die Konzernpläne wehrt, muntert auf. Wieder tönte das alte Belegschaftslied: "Keiner, ja keiner schiebt uns weg!", und
bei vielen gehen die Erinnerungen nach Rheinhausen und zu anderen Kämpfe im Ruhrgebiet. Eine große Zahl
Solidaritätsadressen aus anderen Betrieben zeigt, daß eine kämpfende Belegschaft sich Sympathien aufbaut. Aber
Anlaß zu Illusionen besteht überhaupt nicht. Die Rolle der Gewerkschaft und der SPD bei den bisherigen
Konzernzusammenschlüssen ist allen bekannt. Kämpferische Worte kommen immer an, aber wie zwingt man den Konzern,
entweder zu investieren oder nicht zu verkaufen? Die Werksleitung ("Wir sind nicht für die Konzernpolitik zuständig, sondern
fürs operative Geschäft") stellt die Sache so dar, als ob man nur einen "potenten Partner" - egal wen - haben
müsse, der 50 Millionen locker macht. Der Betriebsrat möchte Thyssen-Krupp nicht aus der Verantwortung entlassen, die
Empörung gegen den Konzern ist in der Belegschaft groß. Und die Frage nach Ersatzarbeitsplätzen kann man getrost
vergessen: sie sind nirgend sehen im Bereich Dortmund, da nützt die "Solidarität" der Stadtspitze nichts.
"Wenn Schulz nicht kommt, gehen wir zu ihm!", fordern Kollegen. "Wir müssen noch mehr betroffene Werke und
Kolleginnen und Kollegen mobilisieren!" Der Kampf soll ausgeweitet werden. Das ist sicher nötig: von der Kokerei zum Beispiel
war niemand erschienen. Der Protest geht weiter.
Adam Reuleaux