Sozialistische Zeitung |
In der Ukraine sollen zwei Atomkraftwerke mit westlichen Geldern gebaut werden. Auch Deutschland ist mit
dabei. Die endgültige Entscheidung wird wahrscheinlich im Juli fallen. In der Bundesregierung gab es deswegen in den letzten Wochen
einigen Knatsch zwischen den Koalitionspartnern. Die Sache geht zurück auf eine Zusage der G7, die 1995 dem osteuropäischen
Land Kredite für die Schaffung von Ersatzkapazitäten versprochen hatten. Im Gegenzug sagte Kiew zu in Tschernobyl die
unbeschädigten Schwestermeiler des Havaristen endlich vom Netz zu nehmen. Nächstes Jahr soll es so weit sein. Die beiden
Ersatzreaktoren sollen nach ukrainischen Angaben schon "zu 87%" fertiggegstellt sein.
Bei Atomkraftgegenern sorgte das für einigen Unmut. Greenpeace führte in der Ukraine Protestaktionen durch. Auch den beiden
Regierungsfraktionen war dies Sache offensichtlich ziemlich peinlich. Sie sprachen sich in Ausschutzsitzungen gegen den Deal aus. Macht sich
ja auch nicht besonders gut, wenn man schon zu Hause mit dem versprochenen Ausstieg nicht voran kommt, auch noch gleich neue AKWs im
Ausland zu bauen.
Nachdem es zunächst so aussah, als wolle Kanzler Schröder auch in dieser Frage mal wieder den Juniorpartner mit dem
Vorschlaghammer bügeln, lenkte er denn doch noch ein wenig ein. Auf dem Kölner G7-Gipfel setzte er durch, daß die
ursprünglich geplante endgültige Zusage verschoben wird. Anfang Juli sollen Fischer und Trittin zum ukrainische Präsidenten
Kutschma reisen, um mit ihm über Alternativen zu sprechen. In Frage kämen vor allem Gasturbinenkraftwerke, die sowieso
deutlich günstiger Strom produzieren als ein AKW.
In Kiew stellt man sich allerdings auf den Standpunkt, daß es für Alternativen zu spät sei. Sollte der Westen nicht helfen,
werde man sich dann eben an Rußland wenden. Das allerdings möchte man in Bonn gerne vermeiden, angeblich, weil dann die
Sicherheitsstandards viel niedriger wären.
Man darf allerdings durchaus vermuten, daß es auch um einen drohenden Marktverlust für die deutsche Nuklearindustrie geht, der
abgewendet werden soll. Die drängt seit Beginn der 90er Jahre mit aller Kraft auf die osteuropäischen Märkte und
läßt sich ihr Engagement in dreistelliger Millionenhöhe aus dem Bundeshaushalt subventionieren. In die Ukraine liefert man
bereits Technologie, als dies noch gar nicht rechtlich abesichert war.
Zum Zustandekommen der 95er Vereinbarung hatte letzte Woche ein hoher Regierungsbeamter Interessantes zu berichten. Er habe bei seinen
Gesprächen mit Kutschma erfahren, daß man in Kiew 1995 durchaus noch für Alternativen offen gewesen sei. Allerdings
habe die Regierung Kohl auf der nuklearen Variante bestanden. Das ist natürlich nicht nachprüfbar und könnte natürlich
auch damit zu tun haben, daß man sich hinter Kohls breitem Rücken verstecken will.
Andererseit paßt diese Informationen ganz gut in das Bild einer Atombranche, die es seit längerem mächtig ins Ausland zieht.
Reaktorministerin Merkel nutzte seinerzeit z.B. eine UN-Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt im indonesischen Jakarta, um auf eine
Werbetour für deutsche Atomkraftwerke zu gehen. Offensichtlich schien ihr das vulkanreiche Archipel für diese besonders gut
geeignet.
Mehr vor der eigenen Haustür bleibt der deutsche Atomstromer PreussenElektra. Über eine Beteiligung von 27,3% der
Stimmrechte an dem schwedischen Konzern Sydkraft betreibt es in Südschweden das AKW Barsebäck. Dabei handelt es sich um
zwei uralte Siedewasserreaktorblöcke, die bereits 1975 bzw. 1977 ans Netz gingen. Ihre Kühlung wird durch "externe
Rezirkulation" gewährleistet, d.h., daß jener Teil des Kühlwassers, der nicht im Reaktor verdampft, durch
Rohrschleifen zirkuliert, die außen am untersten Teil des Druckbehälters angebracht sind.
Dies hat gegenüber der "internen Rezirkulation" (wie in Brunsbüttel und Krümmel) vor allen Dingen den
Nachteil, daß es viel mehr Rohrleitungen und rißanfällige Schweißnähte im Kühlkreislauf gibt. Bei einem
Bruch oder Abriß einer Rohrschleife, die tiefer als der Reaktorkern liegt, läuft sofort das gesamte Kühlmittel aus dem
Druckbehälter und legt den Kern frei - eine Kernschmelze kann rasch eintreten. Die folgen wären fatal: Barsebäck liegt an
der südschwedischen Öresundküste, ca. 30 km vom Ballungsraum Malmö und nur 25 km vom Zentrum der
dänischen Hauptstadt Kopenhagen entfernt.
Anteilseigner bei Sydkraft ist auch die hamburgische HEW, deren Eigner, der Senat, angeblich aus der Atomkraft aussteigen will. Sydkraft ist
im Gegenzug an der PreussenElektra beteiligt. Außerdem hat man mit einem Unterseekabel die Versorgungsgebiete der beiden
Unternehmen - der schleswig-holsteinische Versorger Schleswag gehört zur PreussenElektra - miteinander verbunden. Bei Sydkraft macht
man keinen Hehl daraus, daß diese Verflechtung auch dazu dient, den Ausstieg aus der Atomkraft zu erschweren.
Grund genug also für skandinavische und deutsche Atomkraftgegner, zu einer gemeinsamen Demonstration gegen den Meiler aufzurufen.
Am 7.August soll von Lund nach Malmö marschiert werden. Gefordert wird die sofortige Stillegung und die Verweigerung von
Entschädigungszahlungen. Anfang August wird sich aus dem Wendland eine internationale Fahrradkarawane auf den Weg machen.
Angesichts dessen, daß sich die deutsche Anti-AKW-Bewegung bisher nicht auf eine gemeinsame Großdemonstration gegen den
Nichtausstieg der Bundesregierung einigen konnte, ist diese internationale Aktion ein erfreulicher Lichtblick.
Wolfgang Pomrehn