Sozialistische Zeitung |
Im Unterschied zum Golfkrieg 1991 blieben große Protestkundgebungen gegen die NATO-
Bombardierung Jugoslawiens diesmal aus. Die bisherige Nähe zu den Grünen schien auf große Teile der Bewegung
lähmend zu wirken. Doch "die aktiven Kerne haben immer gelebt und können auch wieder mobilisiert werden", hofft
Friedenskooperative-Sprecher Christian Golla.
Immerhin hatte die Friedensbewegung seit Beginn dieses Jahrzehnts vor einer Katastrophe auf dem Balkan gewarnt und deshalb für eine
Balkan-Dauerkonferenz unter neutraler Vermittlung plädiert. Aber Balkan Peace Teams stießen mit ihrer zivilen
Konfliktbearbeitung vor Ort auf wenig Unterstützung.
Die "rot"-grüne Regierung stellte für die Entwicklung Ziviler Konfliktbearbeitung nicht mehr als etwa den Gegenwert
eines Panzers (6 Millionen) zur Verfügung, allein für die erste Phase der Bombardierung jedoch das Hundertfache.
Weitere Forderungen der Friedensbewegung, umfassende Wirtschaftshilfe und ein Autonomiestatus für die Kosovo-AlbanerInnen, kamen
ebenfalls nicht zum Zuge. Gefordert wurde auch eine Stärkung der UNO (u.a. vom Arbeitskreis Darmstädter Signal, einem
friedenspolitischen Arbeitkreis für Zeit- und Berufssoldaten) und OSZE und die Einbeziehung Rußlands in die
Verhandlungen.
Auch der deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbunds verurteilte die NATO-Invasion sofort aufs schärfste und
bemängelte, daß eine Reihe politischer Lösungsmöglichkeiten ganz außer acht gelassen worden wären, z.B.
die Schaffung eines "Übernationalen Rates" nach dem Vorbild des irischen Friedensrats. Die Organisation "Ohne
Rüstung Leben" schickte einen Offenen Brief an die Menschen in der Bundesrepublik Jugoslawien, in dem sie ihre Scham
darüber ausdrückte, daß zum dritten Mal in diesem Jahrhundert Deutsche großes Leid über die serbische
Bevölkerung bringen.
Auch die Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V. KURVE "Wustrow" forderte Deutschland, das vor
58 Jahren Jugoslawien bombardierte, zur Zurückhaltung auf.
Mit Beginn der NATO-Bombardierungen hatten Friedensgruppen in zahlreichen Städten zu Mahnwachen und Demonstrationen aufgerufen,
aber die Resonanz blieb enttäuschend. Das Netzwerk der deutschen Friedensbewegung rief am 10.April zu einer gewaltfreien
Sitzblockade der US-Air-Base Spangdahlem auf. Von dort aus wurden seit dem 6.April Kriegseinsätze mit US-Tarnkappenbombern
gegen Jugoslawien geflogen.
Auf dem Ostermarsch in Köln Kattenburg forderte Andreas Buro, friedenspolitischer Sprecher vom Komitee für Grundrechte und
Demokratie, "das Geld, das gegenwärtig zerstörerisch von allen Seiten für den militärischen Kampf bereit
gestellt wird" für den Wiederaufbau der Region einzusetzen.
In Berlin fand am 8.Mai eine Großdemonstration gegen den Krieg statt. Auch hier nahm nur der harte Kern der Friedensbewegung teil,
etwa 1500 Leute.
Zu den wöchentlichen Antikriegsdemonstrationen von "Kölner Bürger und Bürgerinnen gegen den Krieg"
fanden sich in nie mehr als 200 Menschen ein. "Kölner Bürger und Bürgerinnen gegen den Krieg" setzt sich
zusammen aus dem Kölner Friedensarbeitskreis "Pax an", dem ehemaligen grünen Friedenskreis, der PDS, den
Vereinigten Kriegsdienstverweigerern und dem VVN (Verein für Verfolgte des Naziregimes) zusammen.
Die erklärte sich eine Vertreterin von "Pax an", Ariane Dettloff, die geringe Beteiligung an diesen Aktivitäten in einer
Millionenstadt wie Köln? Anders als zu Beginn der 80er Jahre, zur Zeit der Stationierung der Cruise missiles und dann beim Irak-Krieg
Anfang der 90er Jahre, hätten die Menschen diesmal scheinbar nicht das Gefühl gehabt, es könnte sie selber treffen, obwohl
Deutschland am Krieg beteiligt war. In Köln und Hamburg hatte man deshalb die Idee, auf einer Brücke zu demonstrieren:
"Die Brückenblockade ist ein Zeichen dafür, daß wir uns in die betroffene Zivilbevölkerung hineinzuversetzen
versuchen."
Die Friedensbewegung will sich nun mit offensiven Kampagnen auf die Nachkriegszeit vorbereiten. Auf dem
"außerordentlichen" Kasseler Friedensratschlag am 5.Juni wurden die Folgeschäden diskutiert, den der gegen
Völkerrecht geführte Krieg als Präzedenzfall für die künftig normale NATO-Strategie verursacht hat.
Es steht zu befürchten, daß eine massive Aufrüstung der EU ansteht und die dringend benötigten zivilen und politischen
Konfliktlösungsmittel wieder zu kurz kommen. "Die Große Koalition der Kriegsparteien zeigt, daß die Gesellschaft die
Diskussion um Krieg und Frieden nicht der Regierung und den Parlamentariern überlassen kann", hieß es im Aufruf der
Friedensbewegung zu den Großdemonstrationen gegen den G7/G8-Gipfel am 19.Juni in Köln und Stuttgart.
Zum Antikriegstag am 1.September sind bereits dezentrale Aktionen in Zusammenarbeit mit Gewerkschaftsgruppen geplant. Das Motto
heißt "Den nächsten Krieg verhindern!"
Monika Piendl