Sozialistische Zeitung |
Alle reden über den Kosovo und keiner mehr über Kurdistan. Jetzt gibt es einen Film, der sehr
eindrucksvoll über Kurdistan redet und der hoffentlich mit dazu beiträgt, daß man auch in der deutschen Öffentlichkeit
wieder mehr über Kurdistan spricht. Das ist angesichts des Prozesses gegen PKK-Chef Öcalan und des Eintritts der MHP-
Faschisten in die türkische Regierung dringender als je zuvor.
Wer jetzt befürchtet, daß es sich bei Reise zur Sonne um einen platten Propagandastreifen handelt, wird angenehm überrascht
werden. Denn der Held des Films ist weder politischer Aktivist noch Kurde. Mehmed Kara ist eher die türkische Variante des Simplicius
Simplicissimus - ein unpolitischer junger Mann, der bei den Istanbuler Wasserwerken angestellt ist, wo er die Aufgabe hat, mit einem riesigen
Hörrohr Wasserrohrbrüche aufzuspüren. Außer seinem Job und seiner Freundin Arzu gibt es wenig, was ihn wirklich
interessiert. Durch eine Verwechslung wird er für einen "Terroristen" gehalten, festgenommen, verhört und
mißhandelt. Er lernt den kurdischen Straßenhändler Berzan kennen, dieser wird bei einer Demonstration von der Polizei
ermordet und Mehmed bricht mit der Leiche Berzans zu einer Reise nach Kurdistan auf, die Reise zur Sonne.
Die Reise führt ihn nach Osten, in die Richtung der aufgehenden Sonne. Außerdem geht Mehmed, der aus einem Dorf bei Izmir im
äußersten Westen der Türkei stammt, während seiner Reise gewissermaßen ein Licht über die
tatsächlichen Zustände in seinem Land auf. Etwas pathetisch ausgedrückt reist er aus dem Dunkel seiner politischen Ignoranz
in die Sonne der Erkenntnis über die wahren Zustände.
Seine "Abenteuer" bewältigt unser Simplex, der im Laufe des Films immer weniger simpel wird, mit einer erstaunlichen
stoischen Ruhe. Dabei entbehrt der Film auch nicht einer gewissen Komik. So wenn Mehmed, der für einen Westtürken angeblich
zu dunkel ist, sich die Haare penetrant blond färbt oder wenn er mit seinem Wagen eine Panne hat und dann samt Sarg per Anhalter weiter
fährt.
Doch diese komischen Szenen ändern nichts daran, daß es sich um einen sehr bewegenden Film handelt, der ein so authentisches
Bild der Situation in der Türkei und in Kurdistan bietet, wie es einem Film eben möglich ist. Unterstrichen wird diese
Authentizität durch einige in den Film integrierte dokumentarische Videoaufnahmen, die den Aufmarsch türkischer Panzer in einer
kurdischen Stadt zeigen.
Der Film endet an einem Stausee, in dem Berzans Heimatdorf mittlerweile versunken ist, was man als sinnbildlich für die mittlerweile
ebenfalls versunkenen Hoffnungen der Kurdinnen und Kurden auf ein menschenwürdiges Leben verstehen kann.
Der Film ist ein Muß für alle, für die "internationale Solidarität" mehr als nur eine Demoparole ist.
Außerdem ist er all jenen zu empfehlen, die den Krieg im Kosovo für einen humanitären, antifaschistischen Feldzug halten
und darüber vergessen, wie viele menschenverachtende Regime immer noch vom Westen unterstützt werden.
Andreas Bodden