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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 24.06.1999, Seite 15

Theater im Krieg

Wenige Tage vor dem Ende der Bombardements: mitten im Krieg spielen jugoslawische Schauspieler der Jugoslovensko Dramsko aus Belgrad ein Stück einer oppositionellen Dramatikerin (Biljana Srbljanovic) auf zwei Bühnen in Deutschland, und ein kleines aber interessiertes Publikum diskutiert mit den Veranstaltern bis in die Nacht. Mühseliger Brückenbau nach der Zerstörung so vieler anderer Brücken beginnt wie immer: ganz unten mit ein paar mutigen Leuten, die den Kriegführenden nicht die ganze Wahrheit überlassen wollen.
Auf Einladung von Roberto Ciulli (Theater an der Ruhr, Mülheim) und Hansgünther Heyme (Ruhrfestspiele Recklinghausen) kommt ein Bus voller Schauspieler, mit der Autorin und dem Regisseur, Theaterleiter und Dolmetscher ins Ruhrgebiet, um die Belgrader Trilogie aufzuführen.
Das Stück dreht sich um die geflohenen oder ausgewanderten Serben, deren Leben im Ausland während des Balkankriegs vor einigen Jahren. Ihre Träume vom Leben zu Hause, die Konflikte in einer fremden Welt, wo sie auf sich und andere Menschen aus ihrem Land angewiesen sind, die mangelhafte Verbindung mal über Telefon, mal über Handy zur "Mama", die in Belgrad bleibt und das Neuste an Kinder und Freunde durchgibt. Vor allem über Ana, die Job und Ehemann (einen "Businessman") beim Fernsehen gefunden hat - die geblieben ist und zu allen im Exil eine gewisse Verbindung hatte.
Riesige Enttäuschung für ihren Freund, der vor der Mobilisierung nach Prag floh und sicher war, seine Ana wartet. Der Bruder ist in Australien: seine Neujahrsgäste würde die Frau zu Hause "nicht mal angucken" - und der Mann, der "beste" Freund, hat ein Verhältnis mit ihr. Die Freundin von Ana, ausgebildete Pianistin, hat eine "Green Card" in einer Tombola gewonnen - also das "Große Los" gezogen: die Arbeitserlaubnis in den USA. Jetzt jobbt sie in einem Restaurant, beneidet die Daheimgebliebene, lernt einen Belgrader Schauspieler kennen, der auch nichts Besseres machen kann. Die aufkeimende Sympathie zwischen beiden durchbricht ein serbischer junger Mann, der in den USA geboren ist, aber jedes Jahr zum Erhalt der richtigen Einstellung zu Besuch nach Jugoslawien fliegt, mit dem Revolver: Krieg nur "spielend" gegen die im Exil, die er wegen mangelnden Patriotismus nicht leiden kann. Ana ist inzwischen schwanger von ihrem "Businessman", quält sich durch die Vorbereitungen zum Auftritt - und nimmt in der letzten Szene das klingelnde Handy gar nicht mehr auf: keine Verbindung mehr nach draußen.
Die Szenen sind in Recklinghausen mit deutscher Übertitelung, eine notwendige, aber dem Theater nicht angemessene Art der Übersetzungs- und Verständnishilfe - muß der Blick doch zu oft die Schauspieler auf der Bühne verlassen. Gutes Theater mit jungen Leuten - und wenigstens ein aktueller Einbruch in den Vorstellungsreigen der Ruhrfestspiele.
Aus welchem Grund auch immer Heyme schon Monate vorher das Motto "Macht geht vor Recht?" für die Ruhrfestspiele wählte - sicher ist, daß es durch den Krieg erst Bedeutung bekommt und dem europäischen Charakter der Festspiele schweren Boden bereitet. Roberto Ciulli und Hansgünther Heyme schreiben:
"In dieser Situation des Krieges in Serbien, in dieser Situation des Wahnsinns und der unendlich grausamen Katastrophe müssen wir Stellung beziehen, müssen wenigstens die Künstler, das Theater, zusammenrücken und Brücken bauen. Wir müssen mit den Menschen sprechen. Ein konkreter Schritt ist diese Einladung des offiziellen Stadttheaters Belgrad."
Die Berichte der SchauspielerInnen, der Autorin und des Theaterleiters aus Belgrad sind die bisher ersten direkten Kontakte aus Belgrad für das Publikum. Entsprechend angeregt die Fragen, wie man dort den Krieg erlebt - und dabei Theater spielt. Ja, sie spielen jeden Tag vor ausverkauftem Haus, nachmittags, weil abends Alarm ist.
Die deutschen Zuhörer fragen nach der Wahrheit im Krieg - auch im eigenen Land, ein Teil fühlt sich von den Medien völlig desinformiert. Aber ist es nicht dort schlimmer?
Nachrichten und Strom sind nicht da: also ist man auf Kontakte angewiesen, auf seine "eigenen Augen und Ohren", wie der Regisseur Goran Markovic betont. Er und viele andere suchen nicht mehr die Wahrheit zwischen den Zeilen, sondern in den Tatsachen, die man sieht und hört. Die zerstörten Brücken und Fabriken, die vergiftete Luft, die Erzählungen der Bekannten: das ist ihre Wahrheit.
Drei der SchauspielerInnen, die an dem Stück vor dem März mitwirkten, sind im Exil. Eine kommt zu der Truppe ins Ruhrgebiet, was danach ist, weiß noch keiner. Der Bus wird wieder nach Hause fahren, und alle haben eine Art "Urlaub vom Krieg", und das im Land des "Feindes".
Wie geht es mit der Opposition weiter? Biljana Srbljanovic und ihre Mitstreiter setzen sich von den Intellektuellen in Jugoslawien ab, die im Schriftstellerverband oder der Akademie der Künste mit Milosevic halten. Aber ihre Aussichten sind schlecht: keine politische Alternative konnte aufgebaut werden, der Krieg hat alle Perspektiven verschlechtert. Trotzdem sagen sie: der Krieg hat die Politiker kleingemacht, ihre Rolle beschränkt, die Menschen lernen zu überleben.
Ob die Belgrader Trilogie dort wieder aufgeführt wird - seit Beginn des Krieges ist sie in Belgrad nicht mehr gespielt worden - und wie das Leben überhaupt nach dem Krieg aussehen wird - darüber konnte sich keiner der Gäste klarwerden. Einiges blieb offen - etwa was auch angesichts der Zerstörungen im Kosovo, der Vertreibungen und Morde dort zu tun wäre, um Verbindungen zu bekommen, Haß abzubauen.
Um sechzig zerstörte Brücken mußte der Bus fahren, um eine zwischen den paar Menschen aus Belgrad und dem Ruhrgebiet zu bauen. Ein Anfang zu weiteren Brückenschlägen kultureller und politischer Art.
Rolf Euler


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