Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 19.08.1999, Seite 2

MHP-Terror

Mord gehört zum Repertoire

Köln ist der Hauptsitz der meisten türkischen und kurdischen Exilorganisationen in Deutschland. Nach der Festnahme Öcalans und der Regierungsbeteiligung der MHP in Ankara ist in der Stadt am Rhein der Druck auf linke Exilanten drastisch gestiegen. Graue Wölfe, die oft in türkischen Idealistenvereinen, den Vorfeldorganisationen der MHP, organisiert sind, scheuen selbst vor Mord nicht zurück. Am 1.Juli haben sie Erol Ispir ermordet, der für AGIF, einen Verein türkischer Arbeitsmigranten, tätig war. Für die SoZ sprach Gerhard Klas mit der AGIF-Sprecherin Sakina Polat über die jüngsten Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen.
Die deutsche MHP-Zentrale hat ihren Sitz in Köln. Gab es schon vor dem Mord an Erol Ispir Anzeichen für die neue Offensive der Rechten?
Sakina Polat: Nach der Wahl hat die neue türkische Regierung behauptet, mit der Festnahme Öcalans hätte sie den "Terrorismus" in der Türkei beseitigt. Nun wolle man auch dem "Terrorismus" in der BRD und Europa ein Ende bereiten. Bald danach gab es die ersten Übergriffe gegen demokratische und linke Einrichtungen in der BRD. Bei uns in Köln-Kalk wurden z.B. mehrmals die Scheiben eingeworfen und Besucher unseres Vereinslokals am hellen Tag auf offener Straße zusammengeschlagen und dabei als "Kurden" beschimpft.
Wie will sich AGIF gegen die Angriffe verteidigen?
Direkt nach dem Mord haben wir uns mit verschiedenen anderen Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen. Bei den ersten Diskussionen über Handlungsperspektiven fiel uns auf, dass die meisten deutschen Nachbarn, aber auch linke Gruppen und Organisationen, kaum etwas über die Methoden und Ziele der MHP wissen und die Auseinandersetzung als einen "innertürkischen" Konflikt betrachten. Nun sind einige Veranstaltungen geplant, die vor allem auch die deutsche Linke ansprechen und über die Politik der MHP aufklären sollen.
Gibt es linke Organisationen oder Gruppen aus Deutschland, die die neue politische Situation nicht als "innere Angelegenheit" betrachten, sondern AGIF ihre Unterstützung angeboten haben?
Unmittelbar nach dem Mord an Erol Ispir gab es Einzelpersonen und auch einige Gruppen, die ihre Solidarität bekundet haben. Trotzdem gab es bisher wenig Solidarität, wie wir sie uns wünschen. Unter Solidarität verstehen wir nicht nur die anlässlich des Mordes an Erol, sondern Solidarität vor allem in unserem Kampf gegen die faschistische MHP. Viele linke Gruppen in Deutschland empfinden die Gefahr, die von der MHP ausgeht, als weniger bedeutend als die von faschistischen Organisationen aus Deutschland.
In diesem Punkt ist die deutsche Linke nicht weit von den Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden entfernt. Im Bundesverfassungsschutzbericht ist schon seit mehreren Jahren nichts mehr über die Grauen Wölfe zu lesen und auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat im Mai den 98er Bericht veröffentlicht, in dem erstmals die Idealistenvereine nicht mehr erwähnt werden. Welche Erfahrungen hat AGIF nach dem Mord an Erol Ispir mit deutschen Behörden gemacht?
Die Ermittlungen der Polizei waren sehr zurückhaltend, obwohl es deutliche Hinweise in Richtung MHP gab. Von der MHP geht nach wie vor Gefahr für türkische Migranten, aber auch für Deutsche aus. Doch nun ist die MHP Regierungspartei und wird mehr als zuvor mit Samthandschuhen angefasst. Nach unseren Informationen ermittelt die Polizei überhaupt nicht in den rechten Strukturen der türkischen Gemeinde in Köln. Dabei bewegten sich beide bisher ermittelten Täter stets in Kreisen der Grauen Wölfe und waren vorher schon an Aktionen gegen Kurden und unser Vereinslokal beteiligt. Doch auch solche Hinweise konnten die Polizei nicht dazu bewegen Ermittlungen in diese Richtung aufzunehmen.


zum Anfang