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Mit den Abschlüssen in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und im Saarland, die
zwischen dem 23.Juli und dem 10.August getätigt wurden, ist die Tarifrunde im Einzelhandel gelaufen. Die Ergebnisse, die erzielt
wurden, werden im wesentlichen auf die anderen Tarifbezirke übertragen werden.
Aber worum ging es denn in dieser wieder einmal sehr langweiligen Tarifauseinandersetzung überhaupt?
Die Gewerkschaften HBV und DAG hatten Anfang des Jahres ihre Forderungen aufgestellt. Sie beliefen sich auf 6-6,5%. In manchen
Tarifbezirken gab es Festgeldforderungen, z.B. in NRW, wo 200 Mark gefordert wurden. Weitere Forderungen wurden nicht aufgestellt, weil
der Manteltarifvertrag noch bis zum 31.12.99 läuft.
Die Arbeitgeber hielten diese Forderung für viel zu hoch und meinten, die Gewerkschaften hätten wohl jeden Bezug zur
Realität verloren. Sie verlangten ihrerseits die Einführung einer neuen Niedrigstlohngruppe, in der darin Beschäftigte
zwischen 1952 und 2294 Mark brutto "verdienen" sollen.
Diese Forderung führte dazu, dass sich bei den Verhandlungen nichts mehr bewegte. Die Gewerkschaften weigerten sich in den meisten
Bundesländern, über diese Niedrigstlohngruppe zu verhandeln, die Unternehmer ihrerseits sperrten sich dagegen, lange Angebote in
die Verhandlungen einzubringen.
Aus diesem Grund begannen im Mai die ersten Warnstreiks und Streiks in den Betrieben. In den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz,
Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg beteiligten sich über 30000 Beschäftigte am
Arbeitskampf.
Mitten in diese Auseinandersetzung platzte am 30.6. der Abschluss im Berliner Einzelhandel.Dort war nach der ersten Verhandlungsrunde
folgender Abschluss vereinbart worden:
- für Juli eine Einmalzahlung in Höhe von 40 Mark (der Tarifvertrag lief am 30.6. aus);
- ab August eine Anhebung der Löhne und Gehälter um 3%;
- eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 10,15 und um 20 DM;
- die Wiedereinführung der Lohngruppe 1, die vor Jahren abgeschafft worden war.
Insbesondere der letzte Punkt sorgte für viel Aufregung und auch harsche Kritik aus den Reihen der HBV. Wurde doch damit die
Absprache, dass der Einführung neuer Niedrigstlohngruppen nicht zugestimmt werden sollte, gebrochen. Damit wurde auch die Situation
in den anderen Tarifbezirken schwieriger. Die Beschäftigten in den Betrieben waren verunsichert, Abschlüsse ohne neue
Niedrigstlohngruppen wurden damit fürs erste unmöglich gemacht. Hatten doch die Unternehmer mit dem Berliner Abschluss dort
ihr Ziel erreicht.
Die HBV erklärte also, der Berliner Abschluss sei nicht an andere Tarifbezirke übertragbar, die Streiks liefen weiter. Damit wurde
auch den Unternehmern bewusst, dass die Tarifrunde noch nicht gelaufen war. Der Sommerschlussverkauf stand vor der Tür. In vielen
Betrieben erhöhten die Unternehmer die Löhne und Gehälter ab dem 1.8. um 3%. Diese Vorweganhebung sollte die
Streikbereitschaft während des Sommerschlussverkaufs untergraben.
Bevor er aber am 26.7. begann, kam es in Bayern am 23.7. nochmals zu Verhandlungen. Dort gelang es zu einem Verhandlungsergebnis zu
kommen, das keine neue Niedriglohngruppe vorsah. Dieser Abschluss sieht folgendermaßen aus:
- für April, Mai, Juni Einmalzahlungen in Höhe von 150 Mark;
- ab Juli Erhöhung der Löhne und Gehälter um 3%;
- die Ausbildungsvergütung wird um 24,29 und um 33 Mark erhöht;
- zusätzlich wird die Ortsklasse 2 zum 1.1.2000 um 0,5% angehoben.
Dieser Abschluss hatte ein Gesamtvolumen von 2,62% und er wurde zum Modell für die anderen Tarifbezirke. Außerdem gab es
noch eine Verhandlungsvereinbarung mit folgendem Inhalt:
"Die Tarifvertragsparteien kommen überein, nach Abschluss des Lohn- und Gehaltstarifvertrags 1999, für neue
Entgeltstrukturen einzutreten. Ziel ist es, die tariflichen Strukturen zu überarbeiten, um den gewandelten Bedingungen im Einzelhandel,
den Anforderungen der Unternehmer und den Erwartungen der Arbeitnehmer gerecht zu werden."
Als Ergebnis bleibt festzuhalten: dieser Abschluss bleibt weit unterhalb des Ergebnisses in der Metallindustrie, der allerdings auch in anderen
Branchen nicht erreicht wurde. Die Beschäftigten im Einzelhandel haben aber eine Lohn- und Gehaltssteigerung von 3% bekommen, was
bei einer Preissteigerungsrate von derzeit 0,6% ein gutes Stück reale Lohnerhöhung bedeutet. Und ob die Unternehmer aus der
Verhandlungsvereinbarung eine neue Niedrigstlohngruppe oder eine Absenlung der Löhne und Gehälter im Einzelhandel ableiten
können, ist doch eher unwahrscheinlich.
Helmut Born