Sozialistische Zeitung |
Zur dritten "Internationalen McDonalds-Woche" Anfang August gab die Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ein "Schwarzbuch" über die Arbeitsbedingungen in diesem Konzern, heraus.
Zugleich wurde durch Flugblätter, Demonstrationen mit NGG-Fahnen, Reden von Funktionären und Betroffenen vor ausgesuchten
McDonalds-Gaststätten, Öffentlichkeit hergestellt. Das Echo in den Medien war beträchtlich. Die Bedeutung dieser
Aktionen geht aber weit über den Aktionsbereich der NGG hinaus. Es geht hierbei um nicht weniger als um den Beginn des Kampfes
gegen einen "Kapitalismus ohne Gewerkschaften".
Es waren Joachim Bischoff und Richard Detje, die in ihrem Buch Kapitalismus ohne Gewerkschaften? darauf hinwiesen, dass die Auszehrung
gewerkschaftlicher Organisation und Interessenvertretung zwar keinem Naturgesetz folgt, bestimmte Entwicklungstendenzen können
jedoch nicht außer Kraft gesetzt werden, Als eine solche Tendenz führten sie an: "In der Nachkriegszeit waren noch
über die Hälfte aller Lohnabhängigen in den Bereichen Agrikultur (primärer Sektor) und Industrie (sekundärer
Sektor) beschäftigt. Heute findet die Mehrheit der Lohnabhängigen im tertiären Sektor (Dienstleistungen wie Handel,
Gaststätten, Banken, Bildung usw.) ihre Existenzgrundlage. Im Durchschnitt der europäischen OECD-Länder waren Anfang
der 50er Jahre in der Landwirtschaft 30%, der Industrie 44% und im Dienstleistungsbereich 45% beschäftigt. Anfang der 90er Jahre
waren es in der Landwirtschaft nur noch 6%, in der Industrie 34% und bei Dienstleistungen bereits 60%!"
Nun mag vielleicht übertrieben sein, was uns der US-amerikanische Wirtschaftsexperte Jeremy Rifkins vorrechnet. Er behauptet, im Jahre
2020 würden nur noch 3(!)Prozent aller Beschäftigten in der Industriearbeit, in Fabriken, tätig sein. Der billigste Arbeiter
werde nicht so billig sein, wie die Technik, die hergestellt wird um ihn zu ersetzen.
Die Tendenz der Verschiebung von Beschäftigung hin zum Bereich der Dienstleistungen wird sich jedoch fortsetzen. Das aber bedeutet,
dass Hochburgen gewerkschaftlicher Organisation geschleift werden und sich die Gewerkschaften in mühseliger Kleinarbeit dort
ansiedeln müssen, wo sie traditionell nicht verankert sind. Genau darum ist der Kampf der NGG bei McDonalds
gewerkschaftliche Pionierarbeit. Um so erstaunlicher, dass hierbei die kleine NGG von ihren weitaus mächtigeren "Brüdern
und Schwestern" allein gelassen wird.
"Systemgastronomie"
"Sie verlassen den demokratischen Sektor", lautet die Überschrift zur Einleitung der NGG-Dokumentation, in der es
heißt: "McDonalds hat sich offensichtlich mühsam an Minimalvoraussetzungen der deutschen Gesetze gewöhnt,
z.B. daran, dass üblicherweise Tarifverträge die Arbeitsbedingungen regeln - nicht die Willkür des Arbeitgebers. Deshalb
wurde vom Unternehmen ein eigener Arbeitgeberverband, der Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) mit Sitz in Wiesbaden,
gegründet. Dieser Verband schloss 1989 erstmals mit der Gewerkschaft NGG einen Tarifvertrag. Trotz dieses Schritts macht die
Darstellung der Behinderung von Betriebsräten und Gewerkschaften durch McDonalds deutlich, dass dies keinesfalls bedeutet die
Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbstverständlich anzuerkennen … Die aus der amerikanischen
Sozialpolitik bekannte Strategie des Union busting soll auch in Deutschland salonfähig gemacht werden."
Von Anja Weber, zuständig für McDonalds im NGG-Hauptvorstand, erfahren wir, dass der Stundenlohn dort im Juni 1999
zwischen 11,04 DM und 13,48 DM brutto in den alten und zwischen 10,54 DM und 10,84 DM in den neuen Bundesländern lag.
"Bei einer 40-Stunden-Woche erhält ein Beschäftigter in den alten Bundesländern brutto zwischen 1910 und 2332 DM
im Monat … Etwa 90% des Personals übt ungelernte Tätigkeiten aus, die Anlernzeit beträgt nach Angaben von
McDonalds zwei Tage. Diese Beschäftigten arbeiten überwiegend im sog. ‚Rotationssystem, d.h. sie arbeiten im
Wechsel in allen Bereichen des Restaurants, z.B. an der Kasse, im Gastraum, am Grill, an der Friteuse, sie garnieren, toasten und packen die
Produkte; auch die Toilettenreinigung gehört in vielen Restaurants zu ihrer Aufgabe. Die Abläufe zeichnen sich durch einen hohen
Normierungsgrad aus und sind exakt durchkalkulierbar, bis hin zur genauen Menge des Wassereinsatzes und der erforderlichen Zeit. So wird
auch die kleinste Einheit des Arbeitsprozesses umfassend kontrolliert. Selbst die Kommunikationsprozesse zwischen den MitarbeiterInnen und
dem Gast sind vorgegeben und unterliegen der Kontrolle."
Die Nettoeinkommen dieser Beschäftigten liegen häufig unter der Sozialhilfegrenze. Der Profit dieses Weltkonzerns wird also
teilweise indirekt vom Steuerzahler subventioniert, wenn Beschäftigte zusätzlich Sozialhilfe in Anspruch nehmen
müssen.
Obwohl nach längeren Auseinandersetzungen zwischen NGG und McDonalds 1989 ein Tarifvertrag mit dem Bundesverband
für Systemgastronomie, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau, zustande kam, werden schätzungsweise 30% der Beschäftigten
in Restaurants, die keinen Betriebsrat haben, diese vertraglichen Verpflichtungen noch unterlaufen.
Etwa 10% des Personals sind Angestellte, die deutlich besser bezahlt werden (in den alten Bundesländern liegen ihre Gehälter
zwischen 2933 und 4960 DM brutto). Trotz ihrer straffen Einbindung in die Hierarchie und obwohl sie den Anweisungen der
Unternehmenszentrale unterliegen, wird ihnen durch die Gewährung sozialer "Wohltaten" (Altersversorgung,
Vermögensbildungsprogramm, Ferienwohnungen usw.) nicht ganz ohne Erfolg suggeriert, sie gehörten zum
Arbeitgeberlager.
"Eine Gewerkschaft verliert die Fassung"
So lautet die Überschrift eines von McDonalds gegen die NGG verbreiteten Flugblatts. Darin wird behauptet, eine Gewerkschaft
versuche "das erfolgreichste Gastronomieunternehmen in Deutschland zu verunglimpfen", wobei sie "mit der Wahrheit auf
dem Kriegsfuß stehe". Denn McDonalds habe "einen 50-köpfigen Gesamtbetriebsrat, der seine Arbeit korrekt
nach dem Betriebsverfassungsgesetz verrichtet". Es sei die NGG, die "mangels Glaubwürdigkeit und Kompetenz große
Anerkennungsprobleme bei den Arbeitnehmern und Betriebsräten habe". Ihr liefen "scharenweise die Mitglieder
davon". Sie solle bitteschön von McDonalds lernen, dass Erfolg nur von guter Leistung und einem fairen Preis komme. Auch
ein großes Unternehmen wie McDonalds sei nicht ohne Fehler. Aber erkannte Fehler würden abgestellt. Auch die NGG
wisse: McDonalds ist einfach gut. Klammheimlich habe die in der NGG für McDonalds zuständige Dame anerkannt:
"Trotz geringer Bezahlung … arbeiten viele Kolleginnen und Kollegen gern bei McDonalds und betonen den Spaß, den sie
auch bei der Arbeit haben."
Fangen wir mit dem letzten an. Tatsächlich hat Anja Weber - die "zuständige Dame" - nicht klammheimlich, sondern in
der von der NGG weit verbreiteten "kritischen Betrachtung" über McDonalds geschrieben: "Trotz geringer
Bezahlung, belastender Arbeitsbedingungen und häufiger Klagen über schlechten und autoritären Führungsstil arbeiten
viele Kolleginnen und Kollegen gerne bei McDonalds und betonen den Spaß, den sie bei der Arbeit haben. Also tatsächlich
eine fröhliche und fleißige Familie?"
Und dann führt sie das Ergebnis einer Untersuchung der Fachhochschule Hamburg über Arbeitszufriedenheit an, die feststellt:
"Die Austauschbarkeit fachlich gering qualifizierter Arbeitnehmer fördert die Fügsamkeit. Die spezifische Personalstruktur
(hoher Anteil Ungelernter, hoher Frauenanteil, hoher Ausländeranteil) schränkt anderweitige Arbeitsmarktchancen der
Arbeitnehmer der Systemgastronomie ein und trägt zu einer resignativen Zufriedenheit mit den Gegebenheiten bei.
Anja Weber, die davon ausgeht, dass "Veränderungen bei McDonalds möglich sind", die sich auf die Woge
internationaler Solidarität im Internet für den Kampf des gewerkschaftlichen Davids gegen den Goliath McDonalds beruft,
schreibt zugleich:
"Dabei wäre eine Dämonisierung des Unternehemens der falsche Ansatz! Der ‚Mythos McDonalds basiert auf
einer Mischung aus Bewunderung (eines mächtigen und effektiven Unternehmens), geschickter Werbung (die den Besuch bei
McDonalds als moderne [Ess-]Kultur und das Unternehemen als sozial und kinderfreundlich darstellt), dem Gefühl des
Verführtwerdens und der Dämonisierung. Ein solcher Mythos führt kaum zu selbstbewusstem Handeln der Betroffenen.
Unsere Strategie ist die Aufklärung, indem wir die Beschäftigten informieren und zu eigenem Handeln ermutigen, z.B. wenn
McDonalds versucht in seinem Unternehmen demokratiefreie Räume zu schaffen."
Die Schwierigkeiten, vor denen die NGG steht, werden nicht umgangen. Weber: "Die Beschäftigten von McDonalds sind
nicht geprägt von ‚gewerkschaftlicher Kultur, und auch für die Gewerkschaft ist die Arbeit in diesem Bereich ein
ständiger Lernprozess."
Den historischen Zusammenhang stellt Fritz Fiehler her: "Niedriglohnsektor? Das Kalkül lautet: Früher war die nicht
ausgebildete Arbeitskraft in den Fabriken zu finden. Diese Tätigkeiten hat das verarbeitende Gewerbe reduziert. Daraus ist ein
Beschäftigungsproblem geworden. Wenn die Industrie mit weniger Arbeitskräften auskommt und Dienstleistungen expandieren,
überlegen die Arbeitsmarktpolitiker, dann muss im Dienstleistungswesen Platz für die nicht ausgebildeten Arbeitskräfte
geschaffen werden. Ihr Haken: in den Fabriken stand die nicht ausgebildete Arbeitskraft unter dem Schutz der gewerkschaftlich organisierten
Facharbeiterschaft. Ein solcher Schutz kann im Dienstleistungswesen nicht gewährt werden. Halb so schlimm sagen die Politiker. Der
Einzelne müsse den Niedriglohnsektor als Zwischenlösung begreifen. Für Jugendliche, Frauen und Ausländer
könne er zur Chance werden. McDonalds als der Beginn einer großen Karriere? Jede Arbeit sei besser als keine! Wer hier
beginnt, wenden die Kritiker ein, endet auch hier. Und die Betroffenen schreiben sich dieses Los noch selbst zu."
Fritz Flieher zitiert aus einer Reportage: "Es ist leicht heutzutage Gesprächspartner zu finden, die in Talkshows über
ausgefallenste Sexpraktiken berichten. Es ist schwer Menschen zu finden, die erzählen, warum sie einen zweiten Job annehmen mussten.
‚Armut in der Arbeit, auch ‚prekärer Wohlstand genannt, liegt in der gesellschaftlichen Tabuzone. Nicht, dass es sie nicht
gäbe!"
Betriebsräte unter Beschuss
Nachdem die NGG mit ihrer Kritik angeblich ihre Fassung verloren hat, denn es gebe doch einen Gesamtbetriebsrat mit 50 Personen, der seine
Pflicht tut, müssen wir daran erinnern: erst in den 80er Jahren kam der erste Betriebsrat zustande. Heute gibt es bereits 50
Betriebsräte. Allerdings in fast 1000 Restaurants, in denen jeweils zwischen 50 und 100 Beschäftigte, davon etwa ein Drittel als
Vollzeitarbeitskräfte, arbeiten!
Und sehen die Manager im Umgang mit ihnen wirklich Fehler ein und stellen sie sie ab? Dann ist es doch seltsam, dass bei insgesamt 335
Beschäftigten in den fünf Dortmunder Restaurants über 200 Klagen vor dem Arbeitsgericht geführt werden. Oder dass
in der Frankfurter Filiale an der Hauptwache 23 Beschäftigte, darunter alle fünf Mitglieder des Betriebsrats und dessen sieben
Ersatzmitglieder, unter dem abenteuerlichen Vorwand "organisierter Kriminalität im Gastgewerbe" "freigestellt"
wurden.
Gängige Praxis ist es zu versuchen "aufmüpfige" Betriebsratsmitglieder durch Korruption zu Erfüllungsgehilfen
des Managements zu machen. Oder aber, wenn dies keinen Erfolg hat, sie durch Beträge, die in die Zehntausende gehen, zu veranlassen
auszuscheiden.
Der Geschäftsführer des Verbands der Systemgastronomie (und Verfasser des antigewerkschaftlichen Flugblatts), Thomas Heyl,
kann auf persönliche Erfahrung zurückgreifen - ließ er sich als ehemaliger HBV-Sekretär doch auch
"abkaufen". Das erklärt die Verbissenheit, mit der er beweisen will, dass alle Menschen käuflich sind. Nur
stößt er hierbei auf standhafte gewerkschaftliche Betriebsräte, die auch für sagenhafte Angebote nicht bereit sind
auszuscheiden um McDonalds das Feld allein zu überlassen.
Eine Kollegin, Mutter von drei Kindern und einem Schuldenberg von 30.000 Mark, den sie mit ihrem Einkommen bei McDonalds
niemals abtragen könnte, nahm 60.000 Mark für ihr Ausscheiden aus dem Betriebsrat an. Aber sie ist nicht nur solidarisch bei
Demonstrationen gegen die Praktiken von McDonalds dabei. Sie macht auch öffentlich, wie ihre Notlage ausgenutzt wurde, und
trägt erheblich dazu bei, dass einige Manager von McDonalds ihre "Fassung verlieren".
Jakob Moneta