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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 19.08.1999, Seite 10

Wiederaufbau lohnt sich nicht

Wie man sich in Brüssel die Zukunft des Balkans vorstellt

Nach der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan konzentriert sich das Interesse der internationalen Gemeinschaft auf die Beseitigung der wirtschaftlichen Folgen des Kosovo-Konflikts. "Internationale Gemeinschaft" steht in diesem Falle für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bei dem derzeit die Telefone heißlaufen. "Hier ist so viel los, jeden Tag ändert sich was, finden Treffen statt, da kommen wir gar nicht dazu, irgendwelche Strategiepapiere zu erarbeiten", hieß es auf Anfrage beim Ostausschuss des Industriellendachverbands.
Doch ganz so kopflos scheint man in der Kölner Zentrale doch nicht zu sein: "Die Zielsetzung eines Wiederaufbauprogramms ist ein integrierter Wirtschaftsraum in Südosteuropa", ließ BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg Ende Juni wissen. Ihm schwebt eine "regionale Freihandelszone" vor. Die EU solle Anreize zur "Restrukturierung" der Industrie auf dem Balkan schaffen.
An anderer Stelle wartete man nicht erst das Ende der NATO-Aggression ab, um sich Gedanken über die Neuordnung des Balkans zu machen. Beim Centre for European Policy Studies (CEPS), einem Think Tank der EU in Brüssel, werden schon seit dem Frühjahr detaillierte Vorstellungen entwickelt, die ganz nach dem Geschmack Wartenbergs sein dürften. Am 17. und 28.April fanden beim CEPS Brain-storming-Treffen mit EU-Beamten, Botschaftern aus der Balkanstaaten, einigen deutschen und dänischen Gesandten sowie dem neuen Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi statt.
Einiges von dem, was in diesen informellen Gesprächen zusammengetragen wurde, fand später Eingang in den Balkanstabilitätspakt - bspw. dass die EU die Verwaltung des Kosovo reorganisiert und dass die Balkanstaaten Zugang zu den europäischen Institutionen bekommen sollen.
Die EU müsse allerdings, anders als in ihrem bisherigen Erweiterungsprozess, eine aktivere Rolle spielen, war man sich einig. Die Ideen, die Eingang in eine CEPS-Veröffentlichung fanden, reichten von einer zu schaffenden neuen Form der Assoziierung, über feste Zeitpläne für die Aufnahme bis hin zur Übernahme des Zollwesens der betreffenden Staaten durch die EU als Vorbedingung für die Assoziierung. Schon vom 1.Januar 2000 an sollen alle Zölle für in die EU importierte Industrieprodukte aus der Region abgeschafft werden, um dann möglichst schnell eine Freihandelszone einzuführen. Zum 1.1.2003 peilen die Vordenker den Beitritt der Balkanstaaten zur Zollunion zwischen der EU und der Türkei an. Die ökonomische Integration würde nach ihren Vorstellungen abgerundet durch die feste Anbindung der regionalen Währungen an den Euro und dessen Übernahme ab dem Januar 2003.
Weiter konkretisiert wurden diese Vorschläge auf einem Treffen im slowenischen Lubljana. Zahlreiche Ökonomen und Politologen aus den Staaten der Region waren dort vom 18. bis 20.Juli auf Einladung des CEPS zusammengekommen, um ein "Europa South- East"-Forum zu gründen. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren sie den Vorschlag der alten EU-Kommission für neue Assoziierungsverträge als nicht ausreichend. Den Balkanstaaten - erstmals wird auch Moldavien ausdrücklich mitgezählt - müsse eine frühzeitige Einbeziehung in die EU-Institutionen angeboten werden. Unter anderem werden der Austausch von Beamten, die Beteiligung an beratenden Gremien und die Entsendung von nichtstimmberechtigten Abgeordneten ins Europaparlament vorgeschlagen.
Da es sowieso unvermeidlich sei, dass der Euro zur Leitwährung in der Region werde, wird vorgeschlagen bereits im Januar des kommenden Jahres die Währungen der Balkanstaaten fest an die Einheitswährung anzubinden. Die für ein solches "Currency-board"-System notwendigen Devisenreserven müsste die EU per Kredit zur Verfügung stellen. Zur gleichen Zeit sollen die technischen Vorbereitungen für die Einführung des Euro beginnen, heißt es in der verabschiedeten Ljubljana- Erklärung. Die Balkanstaaten müssten als Gegenleistung ihr Bankwesen "radikal reformieren" und der EU-Aufsicht unterstellen.
Parallel dazu soll in mehreren Schritten eine Freihandelszone eingeführt werden: die gewehrt ab Januar Quoten zollfreier Agrarimporte aus der Region in Höhe von 1% ihrer eigenen Produktion. Gleichzeitig schafft sie alle Einfuhrzölle für Industrieprodukte ab. Die Balkanstaaten reduzieren im Gegenzug in vier jährlichen Schritten ihre Zölle, so dass 2003 der Freihandel erreicht wäre.
Die Vorschläge des Ljubljana-Treffen sollen dem "Regionaltisch Südosteuropa", der mit dem Stabilitätspakt geschaffen wurde, unterbreitet werden. Von den Verhandlungen dort wird es abhängen, welche der Vorschläge verwirklicht werden. Letztendlich laufen die Gedankenspiele des CEPS und des "Europa South-East"-Forums darauf hinaus, dass die regionale Ökonomie frühzeitig der westeuropäischen Konkurrenz ausgeliefert wird und die Staaten die diversen EU-Regelwerke und Gesetze im Eiltempo übernehmen ohne in den EU-Institutionen eine Stimme zu haben.
Denn an den strengen ökonomischen Aufnahmekriterien soll auf jeden Fall festgehalten werden, wie nicht nur die CEPS-Experten betonen, sondern auch Bundeskanzler Schröder auf dem sog. Solidaritätsgipfel in Sarajevo Ende Juli noch einmal klarstellte.
Auffällig ist die Eile, die an den Tag gelegt wird. Sowohl den CEPS-Autoren wie auch den in Ljubljana Versammelten ist sehr daran gelegen, dass die Integration schnell erfolgt. Die Länder sollten den gegenwärtigen Schock nutzen um die zerstörte Industrie unter den Bedingungen eines freien Markts umzustrukturieren, heißt es.
Dass es in den betreffenden Ländern kaum genug einheimisches Kapital gibt, das in der Lage wäre Anlagen zu errichten, deren Produktivität sich mit der westeuropäischen Konkurrenz messen könnte, scheint keine Rolle zu spielen. Es mache für viele der zerbombten Betriebe sowieso keinen Sinn sie wieder aufzubauen, schreibt CEPS-Mitarbeiter Daniel Gros an anderer Stelle. Die Erfahrung anderer Länder habe gezeigt, dass vor allem die Schwerindustrie nicht konkurrenzfähig wäre. Statt der wieder auf die Beine zu helfen solle die EU lieber den Arbeitern der zerstörten Betriebe für eine Übergangszeit eine kleine Summe - der Autor denkt an 100 Euro pro Monat - Arbeitslosengeld zahlen.
Auch Gros betont, dass die neue Wirtschaftsordnung schockartig eingeführt werden müsse. Ihre Grundelemente müssten sofort implementiert werden, "bevor Interessenvertretungen und politische Rivalitäten zum Tragen kommen können". Das heißt, der Prozess soll möglichst rasch unumkehrbar gemacht werden.
In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach einem stärkeren militärischen Engagement der EU, wie sie in den Diskussionsrunden des CEPS entwickelt wurde, von besonderer Bedeutung. Brüssel solle schrittweise die Verantwortung für die "Friedenserhaltung" übernehmen, heißt es. Im Falle Bosniens wird vorgeschlagen, dass ab dem 1.Januar 2002 die Leitung der SFOR an die Union übergeht. Diese Vorschläge gehen u.a. auf Vorstellungen des konservativen schwedischen Politikers Carl Bildt zurück, der seit einigen Jahren in verschiedenen Sonderbotschafter Funktionen für EU und UN auf dem Balkan tätig ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die ökonomische Integration militärisch abgesichert werden soll.
Das ist um so bemerkenswerter, als die Schaffung einer Freihandelszone sicherlich eher zu einer weiteren De-Industrialisierung führen wird. Gros fordert explizit, dass den nationalen Regierungen jede Möglichkeit genommen werden muss, die einheimische Industrie gegen ausländische Konkurrenz zu schützen. Setzt sich diese Position durch, wären weitere Werkstilllegungen sowie kurzfristiges Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit und damit der sozialen Spannungen unvermeidbar.
Hinweise, wie auf die sozialen Verwerfungen reagiert werden soll, sucht man in den CEPS-Papieren vergebens, sieht man einmal von Gros Vorschlag der befristeten Alimentierung ab. Stattdessen wird wie in den berüchtigten Programmen des Internationalen Währungsfonds das neoliberale Credo von Freihandel, Privatisierung und Liberalisierung herunter gebetet. Der Markt wird es schon richten und wenn nicht, hat man - anders als der IWF - ja auch noch ein paar handfestere Mittel. Der NATO-Krieg sozusagen als bewaffnetes Strukturanpassungsprogramm.
Größere Sorgen als um die sozialen Folgen seiner Vorschläge macht Gros sich um den "fairen Wettbewerb", d.h. um den Zugriff von Investoren aus der EU auf die Ressourcen der Region. Selbst bei offenen Grenzen könne es noch Bereiche geben, die sich dem Wettbewerb entziehen. "Eine Anwendung strenger Wettbewerbsregeln [d.h. der der EU] wäre also notwendig." Im Auge hat er dabei vor allem die kommunale Versorgung, die aus seiner Sicht vor allem eine Quelle der Korruption ist, die den Lokalpolitikern entzogen werden müsse. Er schlägt daher z.B. vor, dass die Balkanstaaten an die europäischen Stromnetze angebunden und die Energieversorgung sodann liberalisiert und privatisiert wird. Wichtig sei es, nicht nur zu privatisieren, sondern auch die kommunalen Monopole in der Versorgung aufzubrechen um "den Einfluss der politischen Strukturen zu eliminieren".
Überhaupt ist für Gros wie auch die anderen CEPS-Autoren Korruption ein wesentliches Entwicklungshemmnis auf dem Balkan, weshalb den politischen Institutionen jede Einflussmöglichkeit genommen werden muss. In dem Zusammenhang wäre interessant zu erfahren, was sie zu einem Gerichtsverfahren zu sagen haben, dass Mitte August vor dem Landgericht Bochum abgeschlossen wurde: Der Bauingenieur Hans H., Angestellter beim Energiekonzern VEBA, musste sich wegen Meineids verantworten. Er hatte in einem anderen Prozess unter Eid bestritten, dass der Bau eines Privathauses für den seinerzeitigen SPD-Landesgeschäftsführer zum Teil von seinem Arbeitgeber finanziert wurde. Sein Dementi musste er nun widerrufen. Der SPDler hatte, wie auch sonst unter VEBA-Vorständlern offensichtlich üblich, ordentlich in die Schatulle des Konzerns gelangt. Der Mann, der da so günstig an ein Eigenheim gekommen ist, hat zwischenzeitlich weiter Karriere gemacht. Nach einem Umweg über das Bundeskanzleramt ist er inzwischen Koordinator des Balkanstabilitätspakts im Auftrag der EU: Bodo Hombach. Jetzt wissen wir endlich, weshalb der Kanzler sich so über die Berufung "seines Freundes" gefreut hat: weil er die nötige Korruptions-Erfahrung mitbringt.
Wolfgang Pomrehn


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