Sozialistische Zeitung |
Das übliche Sommerloch des Jahres 1999 lag noch vor uns, da gab es schon heiße Debatten
zwischen den parlamentarischen Kräften: Riester hatte die Rentenpläne der rosa-grünen Regierung konkretisiert. Passend
zum Kürzungsplan des neuen Finanzministers Eichel ergab es sich, dass die Einsparungen des Sozialhaushalts vor allem auf Kosten der
Rentnern und Arbeitslosen gehen sollten. Wer an den Zusammenhang zwischen der Finanzierung der Bombardierung Jugoslawiens sowie der
dauerhaften Stationierung von KFOR-Truppen auf der einen und den 30 Milliarden Mark, die Eichel einsparen will, auf der anderen Seite denkt
und wer dann feststellt, dass allein 12 von diesen 30 Milliarden im Sozialhaushalt des ehemaligen Gewerkschaftsfunktionärs Riester
gespart werden sollen, der mag sich bitte nicht wundern, wie dies alles zusammenpasst.
Die CDU eröffnete die Sommerpause im Hinblick auf die kommenden Wahlen vor allem in NRW mit dem Vorwurf der
"Rentenlüge". Niemand will der CDU, die für die Rentenkürzungen der letzten 16 Jahre zuständig war, die
Hasen in die Küche treiben. Aber was ist dran an dem Vorwurf gegen Riester? Der laue Protest aus den offiziellen
Gewerkschaftsgremien darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass einschneidendere Maßnahmen von rosa-grün geplant
sind, als bloß ein bisschen weniger Erhöhung der Renten. Rentnergruppen wenden sich gegen die SPD-Pläne und sprechen
offen von Fortsetzung der alten Politik mit neuen Mitteln. Kanzler Schröder schreibt einen Rundbrief an alle Mitglieder, um sie
über die Pläne aufzuklären. Auch diesem Brief gelingt es nicht, die Verunsicherung der Basis zu beheben, die nach den
gekippten 630-Mark-Jobs, den Steuererhöhungen und einigen anderen Reformen des Frühjahres eingetreten war.
Zu offensichtlich ist: nicht nur den Krieg, auch die Fortsetzung einer Steuersenkungspolitik für die Unternehmen sollen die abhängig
Beschäftigten sowie die Rentner und Arbeitslosen bezahlen. Senkung der Lohnnebenkosten und Wettbewerbsfähigkeit sind die
Regierungsziele, von einer Umverteilung von oben nach unten, einer anderen Einkommenspolitik ist nicht (mehr) die Rede.
Was ist nun dran an den Riesterschen Rentenplänen? Die SoZ möchte in den nächsten Ausgaben darauf eingehen.
Zwei Punkte stehen dabei im Vordergrund. Erstens die Aussetzung der normalerweise zu zahlenden Rentenanpassungen, also Erhöhungen
in den Jahren 2000 und 2001, und ihre Bindung an die Preissteigerungsrate. Und zweitens die Einführung einer zusätzlichen
privaten Vorsorge, die allein die Arbeitnehmer zu zahlen haben. Beides soll, nach dem Stand von Anfang August, hier kritisch dargelegt
werden.
Vor einigen Monaten hatte die rot-grüne Bundesregierung mit der Parlamentsmehrheit die letzten Rentenkürzungen der Kohl-
Blüm-Ära zurückgenommen. Damals handelte es sich um die Einführung eines "demografischen Faktors",
der die längere Lebenserwartung der alten Menschen (und damit ihre länger andauernden Rentenansprüche) in einer neuen
Rentenberechnungsformel kompensieren sollte - das Rentenniveau wäre nach rund fünfzehn Jahren von ca. 70 auf 64 Prozent des
Durchschnittsnettoeinkommens eines sog. "Normalversicherten" (das ist ein 45 Jahre lang mit durchschnittlichem Einkommen
verdienender Mensch, der mit 65 in Rente geht) gesenkt worden. Diese Verkleinerung der Rentensteigerung um jährlich 0,52
Prozentpunkte wurde also wieder aufgehoben.
Gleichzeitig setzte die neue Regierung den ersten Schritt der Steuerreform durch. Der Eingangssteuersatz wurde von 25 auf 23 Prozent gesenkt,
was eine relative Erhöhung der Nettoeinkommen bedeutet. Zusätzlich wurde die Ökosteuer eingeführt und im
Zusammenhang damit die gesetzlichen Rentenbeiträge von 20,3 auf 19,5 Prozent des Bruttoeinkommens gesenkt. Diese beiden
Maßnahmen der Senkung der gesetzlichen Abzüge, zusammen mit Tarifabschlüssen im Bereich von 3 Prozent, führten
zu einer deutlichen Nettolohnsteigerung der rentenversichert Beschäftigten. Dieses war zumindest zu Anfang gewollte Regierungspolitik.
Beides hätte nach den Regeln der gesetzlich festgelegten Rentenanpassungen dazu geführt, dass die Rentner am 1.Juli 2000 eine
Erhöhung von rund 3,5 Prozent zu erwarten gehabt hätten, entsprechend der Steigerung der Nettolöhne des
Vorjahres.
Insbesondere die nur von der Steuererhöhung durch die Ökosteuern, nicht aber von der Senkung der Sozialbeiträge
betroffenen Rentner und Lohnersatzleistungsbezieher (die ja nicht von den gesenkten Einkommenssteuern und Sozialbeiträgen profitieren
können) wurden damit vertröstet, dass als Folge der gestiegenen Nettolöhne ihre Einkommen bei den folgenden Anpassungen
ja ebenfalls stärker steigen würden. Das galt unter Beibehaltung der "Rentenformel" seit der 1992er-Rentenreform, die
die jährliche Rentenanpassung zum 1. Juli gemäß den Nettolohnveränderungen des Vorjahres vorsah. (Früher
war es die Bruttolohnveränderung - als jede Lohnerhöhung noch mit steigenden Steuer- und Sozialabgaben belegt wurde.)
Die Ökosteuer als indirekte Steuer auf den Verbrauch von Energie ist von jedem zu zahlen. Unternehmen können sie über die
Preise weiterleiten, Endverbraucher zahlen sie letztlich insgesamt, so dass sich schon von daher eine soziale Unausgewogenheit ergibt. Denn
Rentner und Bezieher niedriger Einkommen müssen alles oder einen hohen Anteil ihres Einkommens verbrauchen, während
höhere Einkommen einen kleineren Teil konsumieren, und damit relativ weniger zum Aufkommen der indirekten Steuern (auch
Mehrwertsteuer) beitragen. Riester vertröstete seinerzeit die Rentner, dass sie ja in den Folgejahren auch von den netto mehr gestiegenen
Löhnen bekommen würden - genau das, was er nun wieder einkassieren will.
Riester schlägt eine andere Veränderung vor, die auf eine ebensolche Senkung des Gesamtrentenniveaus wie bei Blüm
hinausläuft, aber schon innerhalb von zwei statt von sieben Jahren. Für die Jahre 2000 und 2001 soll die gesetzliche Rentenformel
außer Kraft gesetzt werden, und die Rentenerhöhung nur noch im Maß der Preissteigerungen erfolgen. Das ist ein deutlicher
Bruch mit dem Prinzip, nach dem die Höhe der gesetzlichen Renten nicht willkürlich von Jahr zu Jahr, sondern nach einer
sogenannten Rentenformel festgelegt wird, die über längere Zeiträume gültig ist, sodass die Beitragszahler und
Rentenbezieher auf sie vertrauen können. Das Schlagwort von der "Rente nach Kassenlage" sollte gerade durch diese
langfristige Grundlage vermieden werden. Riesters Zahlen sehen nun vor, die Rentenerhöhung nach Nettoprinzip zwei Jahre
"auszusetzen". Statt der eigentlich vorzusehenden Steigerung am 1.Juli 2000 um rund 3,6 Prozent sollen es nur rund 0,7 Prozent
werden - so viel wird als Preissteigerungsrate dieses Jahr erwartet. Für die "Normalrentner" mit einer Rente von rund 2000
Mark monatlich bedeutete dies, dass sie statt 70 Mark mehr nur rund 14 Mark mehr im Monat bekämen. Für die Erhöhung im
Jahre 2001 werden folgende Zahlen genannt: Rentenerhöhung nach dem Nettolohn planmäßig 3,4 Prozent, nach
Preissteigerung nur 1,6 Prozent., also statt rund 70 Mark Erhöhung nur 32 Mark monatlich. Der Verlust des imaginären
"Normal"rentner beträgt nach zwei Jahren fast 100 Mark im Monat.
Frauen, deren tatsächliche Renten durchschnittlich unter 1000 Mark monatlich liegen, würden von dieser Art Rentenanpassung
besonders negativ betroffen. Inwieweit die Vorstellungen von Walter Riester, für kleine Renten eine Mindesthöhe
einzuführen, überhaupt realisiert werden, ist völlig unklar. Der Vergleich zwischen dem Blüm-Modell und dem
Riester-Modell zeigt, dass beide zu Kürzungen des Gesamtrentenniveaus führen, nur dass dies bei der SPD schon in drei Jahren zu
rund 66 Prozent des Durchschnittsnettoeinkommens führt, während bei der CDU ein Niveau von 64 Prozent erst nach 15 Jahren
erreicht wäre. Das ist ein verständlicher Grund für den Vorwurf der "Rentenlüge".
Es wurde ausgerechnet (WAZ, 24.6.99), dass nach dem Riester-Modell ein heutiger Neurentner bei einer durchschnittlich errechneten
Bezugsdauer von 18 Jahren etwa 25000 Mark weniger Rente bekommt als nach dem heutigen Recht. Dadurch würden die Kassen um 100
Milliarden Mark "entlastet". Riester möchte den Beitragszahlern klarmachen, dass auch sie dadurch entlastet würden,
weil der Beitragssatz noch einige Jahre unter 20 Prozent bleiben könnte. Tatsächlich geht es aber um die Unternehmeranteile, die
jeweils die Hälfte des Pflichtbeitrags von 19,5 Prozent ausmachen. Denn - und das ist der zweite Teil der Riesterschen
"Reform" - die Versicherten müßten einen zusätzlichen Beitrag in eine private Altersversicherung bezahlen. Der
soll von 0,5 auf 2,5 Prozent des Bruttoeinkommens steigen, so dass insgesamt für die Beitragszahler ein höherer Anteil ihres
Einkommens abgezogen würde.
Diese Maßnahmen will die rot-grüne Regierung im Parlament durchsetzen, wobei schon jetzt Bündnispartner bei den
Konservativen und Liberalen gesucht werden. Hinter den Kulissen wird zwischen SPD, CDU, FDP und Grünen gekungelt was das Zeug
hält. Das führt aber unter anderem zur Aushebelung der eigentlich für die Rentenversicherungen zuständigen
Selbstverwaltungen. Diese werden von den Beitragszahlern, z.B. über Gewerkschaftslisten, aber auch Arbeitgeberorganisationen, mit
Vertretern beschickt. Die Bundes- und Landesversicherungsanstalten und die Knappschaft gelten eigentlich als selbstverwaltete
Körperschaften. Niemand ist so naiv, diese Bezeichnungen für die Wirklichkeit zu halten. Trotzdem muß festgehalten werden,
dass die Regierungspläne auch hier einschneidende Folgen haben, wenn die Entwicklung der Renten- und Beitragszahlungen der
Willkür der jeweiligen Parlamentsmehrheit unterliegen sollte.
Kritikern der Blümschen oder Riesterschen Reformen wird vorgeworfen, nur den bestehenden Zustand verteidigen zu
wollen. Das ist völlig daneben, obwohl natürlich die betroffenen RentnerInnen zu Recht auf einem für sie besseren Zustand
bestehen. Diese Forderung muß unterstützt werden.
Aber: das bestehende Sozialversicherungssystem hat grundsätzliche Mängel, weil es auf der sogenannten
"Lebensleistung" durch bezahlte Arbeit basiert. Es diskriminiert insbesondere Frauen und die im Wesentlichen von Frauen
geleistete Erziehungs- und Pflegearbeit (Hier sind einige Verbesserungen in den achtziger Jahren erreicht worden). Es bürdet die Folgen
der Arbeitslosigkeit den Beschäftigten auch noch im Rentenalter auf. Es bezieht sich nur auf abhängige Beschäftigung, nicht
auf Beamte und Selbständige, nicht auf Vermögensbesitzer. Es führt zum Teil zu Altersarmut, vor allem bei Frauen, mit der
Folge, dass zusätzlich Sozialhilfe bezogen werden muß. Außerdem: die sog. Selbstverwaltung ist keine echte demokratische
Eigenverwaltung der Betroffenen.
Aus all dem ergibt sich eine Palette von Verbesserungsforderungen an die Sozialversicherungen, die auch bei den entsprechenden
Verbänden, Parteien, Initiativen diskutiert werden. Das ist aber der entscheidende Schlag, den die rosa-grüne Regierung den
Betroffenen versetzt, dass ihre Änderungsbestrebungen mit einer fortschrittlicheren Sozialversicherung nichts zu tun haben, nur mit
Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen, Abbau für die BeitragszahlerInnen und RentnerInnen.