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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 2

Hoffen auf Ankara

Neue Vertrauensbasis für Dialog?

Für die SoZ sprach Thomas W. Klein mit Haydar Isik, Schriftsteller und Vertreter des kurdischen Exilparlaments, über die Perspektiven des Befreiungskampfs nach der Festnahme von Abdullah Öcalan.
Anfang August rief Abdullah Öcalan von der Gefängnisinsel Imrali aus die kurdische ARGK-Guerilla zum Rückzug auf. Kam dieser Aufruf für die Vertreterinnen und Vertreter des kurdischen Exilparlaments überraschend?
Haydar Isik: Der Aufruf von Öcalan kam für uns nicht überraschend, da er schon öfter seine friedlichen Absichten bekundet hatte. Wer den Vorsitzenden der PKK kontinuierlich beobachtete, konnte feststellen, dass er seit 16 Jahren viele Erklärungen abgegeben hat, in denen er seine Bereitschaft zum Frieden verkündete. Ich betrachte seinen jüngsten Aufruf als intelligenteste Entscheidung, die er treffen konnte. Den Ball hat jetzt der türkische Staat. Sie können ihren Terror nicht mehr damit rechtfertigen, dass Kämpfer der PKK im Lande wären.
Von kritischen Zeitgenossen wurde der Aufruf Öcalans als Eingeständnis des eigenen Scheiterns bzw. als Kapitulation interpretiert. Wie bewerten Sie den Aufruf und die dahinterstehende Entwicklung im türkisch-kurdischen Konflikt?
Es gibt hier sicher eine Niederlage für die kurdische Seite, aber ich begreife das nicht als eine Kapitulation, sondern als einen geordneten Rückzug. Jeder intelligente Mensch kann zugeben, dass weder die Türkei noch die PKK mit militärischer Gewalt den Krieg zu ihren Gunsten entschieden hat.
Außerdem hat Öcalan genau die Doppelmoral des Westens gesehen. Wenn es um die Kurden ging, wurden die Menschenrechte mit der Begründung der Gewalt der PKK verknüpft und nicht geachtet. Mit der nun getroffenen Entscheidung wird die Türkei genötigt, die kurdische Identität endlich anzuerkennen. Obwohl eine faschistische Regierung an der Macht ist und ihre Politik auf die Vernichtung der Kurden basiert, gab es für die Lösung des Konflikts keinen besseren Schritt als diesen, den Öcalan vorgeschlagen hat.
Öcalans Erklärung enthält die Aufforderung an die ARGK-Guerilleros, nicht nur den Kampf zu beenden, sondern sich auch auf Territorien ausserhalb der Türkei zurückzuziehen. Was sagen Sie zu der Kritik, dass die Guerilleros nun vor einer unmöglichen Situation stehen - wohin sollen sie sich denn zurückziehen?
Die kurdischen Guerilleros werden sich außerhalb der Türkei in die Berge Kurdistans zurückziehen. Schließlich ist dort auch unser Land. Die Guerilleros werden dort als Garant für die Gewährung gleicher Rechte in einer demokratischen Republik, für die Wahrung der kurdischen Identität und das friedliche Zusammenleben von Türken und Kurden bleiben.
Wie soll oder könnte sich die kurdische Seite verhalten, wenn sich auf türkischer Seite die erhoffte Dialogbereitschaft nicht einstellt und das einseitige Entegegenkommen bei der anderen Konfliktpartei nichts bewegt?
Die kurdische Seite hat sich sehr diszipliniert verhalten. Wir erwarten von unseren Landsleuten weiterhin so diszipliniert zu bleiben. Für einen Dialog müsste eigentlich eine Vertrauensbasis geschaffen werden. Wegen des Erdbebens haben sogar kurdische politische Gefangene für türkische Menschen ihr Blut gespendet. Und dass, obwohl sie in der Vergangenheit gefoltert wurden.
Die kurdische Politik ist eindeutig und klar definiert: Mit friedlichen Mitteln und auf vertrauensfördernden Wegen - ohne die Grenzen der Türkei in Frage zu stellen - auch für die Kurden die verfassungsrechtlich verankerten Rechte zu erlangen.
Wenn die Türkei vor diesem Anliegen die Augen verschließt und den friedlichen Absichten mit Terror begegnet, bleibt den Kurden nur die Möglichkeit, sich erneut zu wehren. Dann wird wahrscheinlich der Krieg, der den Kurden aufgezwungen worden wäre, eine neue Dimension erreichen.
Gibt es Gespräche mit europäischen und US-amerikanischen Politikern, die aus Ihrer Sicht Anlass zur Hoffnung geben?
Es gibt Gespräche mit Politikern in Europa und den USA. Wir Kurden sind voller Hoffnung, dass die Welt das gerechte Anliegen der Kurden endliche sehen wird und uns beisteht. Dieser Prozess ist risikoreich und mühsam,und die Räder rollen nur langsam in die richtige Richtung.


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