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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite

Strafbefehl wegen Kriegsgegnerschaft

Gegen Elke Steven, Mitarbeiterin des Komitee für Grundrechte und Demokratie, ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil sie einen Aufruf unterschrieben hat, in dem u.a. die Forderung gestellt wurde, sich nicht an dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu beteiligen. Für die SoZ sprach Thomas Klein mit ihr über die Kriminalisierung von KriegsgegnerInnen.

Frau Steven, was wird Ihnen konkret vorgeworfen?
Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen mich einen Strafbefehl erlassen. Angeklagt werde ich, weil ich "gemeinschaftlich mit weiteren als ,Erstunterzeichner‘ aufgeführten Personen öffentlich durch Verbreitung von Schriften … zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung aufgefordert" hätte. Selbstverständlich habe ich Widerspruch eingelegt.
Auch die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt gegen mich, weil der Aufruf an die Soldaten der Bundeswehr, sich nicht an diesem grundrechts- und völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen, als Flugblatt auf der Hardthöhe in Bonn verteilt worden ist. Außerdem habe ich auf einer Kundgebung bei einer Sitzblockade vor dem Kriegsministerium zur Verweigerung jeder Beteiligung an diesem Krieg aufgerufen. Auch deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn.
Welche Personen sind von der Ermittlungen betroffen?
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen alle 28 UnterzeichnerInnen eines entsprechenden Aufrufes, der in einer Anzeige in der Taz vom 21.April 1999 erschienen ist. Darunter sind auch Wolf-Dieter Narr und Roland Roth, beide Politikwissenschaftler und im Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Wolf-Dieter Narr hat ebenfalls einen Strafbefehl erhalten, an Roland Roth erging von einer Richterin eine begründete Ablehnung des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft angekündigt, dass sie Widerspruch einlegen will.
Wie bewerten Sie die laufenden Ermittlungen?
Hier wird gegen die Falschen strafrechtlich vorgegangen. Ermittelt werden müsste gegen die, die diesen Krieg und all die Greuel, die durch ihn begünstigt oder verursacht wurden, zu verantworten haben. Offenkundig sollen gewaltfreie, pazifistische Kritikerinnen und Kritiker in Zukunft dadurch abgeschreckt werden, dass die kriegführende Seite die kriegsgegnerische finanziell büßen lässt. Das ist zu allem sonstigen Übel auch noch massiv antidemokratisch.
Ist die Argumentation auf einer "juristischen Schiene" nicht problematisch? Sollte es den GegnerInnen des NATO-Krieges gegen Jugoslawien nicht in erster Linie um die Formulierung einer politischen Grundüberzeugung und der Kritik an einer fragwürdigen, die angeblich angestrebten Ziele nicht erreichenden Politik gehen?
Den Gegnern und Gegnerinnen dieses Krieges geht es nicht um ein "Glaubensbekenntnis", sondern um gute Gründe und Argumente gegen diesen Krieg und die immer weiter betriebene Militarisierung der Politik. Die Bundesregierung hat gleich in mehrfacher Hinsicht durch ihre Beteiligung an diesem Krieg gegen Gesetze verstoßen. Das wird vor Gericht geprüft werden müssen. Klagen gegen die Bundesregierung wegen des verbotenen Angriffskriegs sind jedoch damals von der Bundesanwaltschaft kurzerhand abgeschmettert worden. Dieser Krieg verstieß gegen das Völkerrecht, die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland verstieß gegen das Grundgesetz und gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag.
Menschenrechtlich-demokratische Argumente gegen diesen Krieg gehen noch weit darüber hinaus. Die Art der Kriegführung, in der Zivilisten und zivile Einrichtungen kollateral oder gezielt zu Objekten der Kampfhandlungen gemacht wurden, widerspricht nicht nur internationalen Vereinbarungen, sondern vor allem den Menschenrechten, in deren Namen dieser Krieg vorgeblich geführt wurde. UNICEF hat kürzlich berichtet, dass 242 Schulen in Zentralserbien durch die Luftangriffe beschädigt oder zerstört worden sind. Anzuklagen ist ferner die Wahl der Waffen - Grafitbomben, Clusterbomben und Bomben mit abgereichertem Uran - die gegen die Genfer Rot-Kreuz-Konvention verstößt. Die humanitäre Situation im Kosovo ist durch diesen Krieg nur verschlimmert worden. Hilfe war dringend geboten. Der Krieg war jedoch ein völlig ungeeignetes Mittel. Das konnte und musste man vorher wissen.


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