Sozialistische Zeitung |
An Häuserwände gemalte Symbole der Grauen Wölfe, künden schon seit Monaten von
den neu erwachten Aktivitäten der türkischen Faschisten in einigen rechtsrheinischen Stadtteilen Kölns. Wandparolen linker
türkischer Organisationen werden mit "Bozkurtcula", der türkischen Bezeichnung für die
"Sturmtruppen" der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) übermalt. Schon lange vor dem Mord an Erol Ispir am
1.Juli (siehe SoZ 17/99) scheuten Anhänger der MHP auch vor brachialer Gewaltanwendung nicht zurück: Am frühen Abend
des 8.Mai schlugen mehrere türkische Männer einen regelmäßigen Besucher des Vereins für türkische
Arbeitsmigranten AGIF auf einem belebten Platz zusammen. Er sei den Grauen Wölfen als Kurde bekannt gewesen, der in
Gesprächen mit rechten Jugendlichen immer seine Meinung gesagt hätte, erklärt ein Sprecher von AGIF. Auch in
linksrheinischen Stadtteilen waren rechte Schlägertruppen aktiv. Nach Augenzeugenberichten überfielen Mitte Juni dreißig
türkische Faschisten ein kurdisches Kulturkamp in Riehl.
In Köln spürt man Verschiebungen politischer Machtverhältnisse in der Türkei früher als andernorts, denn die
Stadt ist Hauptsitz der meisten türkischen und kurdischen Exilorganisationen in Deutschland. Und diesmal ist mit der MHP in Ankara eine
Partei an die Macht gekommen, deren Ideologie und Praxis berüchtigt ist: die 1969 von Alpaslan Türke¸s, einem glühenden
Verehrer von Adolf Hitler, gegründete Partei propagiert ein "Großtürkisches Reich" von Bosnien bis China, sieht
Kurden und Armenier als "minderwertig" an und pflegt einen militanten Antikommunismus.
MHP-Anhänger und Mitglieder sind im Verwaltungsapparat zu finden, stellen nach wie vor große Teile der Spezialeinheiten der
türkischen Armee in Kurdistan und sind eng mit dem Geheimdienst MIT verflochten. Im Unterschied zu den 70er Jahren ist die Situation
für MHP-Gegner heute allerdings schlechter. Damals gab es eine antifaschistische Mobilisierung in der Türkei, die MHP war in
der demokratischen Öffentlichkeit geächtet. Heute gehören die Repräsentanten der Partei fest zur politischen Elite und
dürfen bei keiner Talkshow fehlen.
In Deutschland organisiert sich die MHP auf Basis einer Vereinsstruktur, die sich als "Türkische Gemeinschaften",
"Idealistenvereine" oder einfach als "Kulturvereine" bezeichnen. Auch einige Moscheen sind fest in der Hand der
Grauen Wölfe, obwohl die MHP als laizistisch gilt. Als Reaktion auf die Wahlerfolge der islamisch-fundamentalistischen
Wohlfahrtspartei in der Türkei gewann Anfang der 70er Jahre der Islam in der Parteipropaganda der MHP immer mehr an
Bedeutung.
Die Vereine haben sich 1978 zur "Föderation der demokratisch-idealistischen türkischen Vereine in Europa/Türk-
Föderation" zusammengeschlossen. Ihr Interesse gilt vor allem Jugendlichen, die sie in ihre Reihen aufnehmen wollen. Nicht ohne
Erfolg: nach Aussagen der AGIF-Mitarbeiter sympathisiert ein großer Teil der türkischen Jugendlichen mit den Grauen
Wölfen, die sie als Speerspitze der nationalistischen Bewegung verherrlichen. Ein wesentlicher Grund dafür sei die
Berichterstattung in den türkischen Medien, erklärt AGIF-Mitglied Sakina Polat. Dort würden einfache
Schwarzweißschablonen angelegt: den "terroristischen" Kurden und als "Volksverrätern" stigmatisierten
Menschenrechtlern sowie linken Politikern steht die rettende Hand des türkischen Nationalismus und Soldatentums gegenüber. Vor
allem die Zeitung Turkiye, aber auch andere Boulevardblätter, findet man nicht nur in den Kiosken, sondern auch in den Cafés und
Treffpunkten der MHP, wo willfährige Jugendliche über ältere Parteikader auch schon mal einen Job oder sogar eine
Wohnung vermittelt bekommen.
In Köln hat die Türk-Föderation ihren Sitz im alten Mülheimer Kino am Clevischen Ring. Statt Kinofilmen aus
Hollywood sind dort nun die türkische Nationalfahne und Bilder von Alpaslan Türke¸s an der Wand zu sehen. Im Gegensatz zu
vielen anderen Migrantenvereinen verfügt das "Türkische Kulturheim Köln" über einen denkbar guten
Draht in den Kölner Stadtrat: Das Vorstandsmitglied Ibrahim Usta ist gleichzeitig Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt
Köln. Das ist keine Besonderheit, in mehreren deutschen Städten sind Ausländerbeiräte vornehmlich mit
türkischen Rechtsextremisten besetzt.
Obwohl Experten wie Fikret Aslan und Kemal Bozay in ihrem Buch Graue Wölfe heulen wieder die MHP und Graue Wölfe auch
in Deutschland für zahlreiche Morde und andere Verbrechen verantwortlich machen, tauchen weder die Organisationen, noch die
Türk-Föderation und ihre Vereine in den Verfassungsschutzberichten auf. Nach Angaben der Verfassungsschützer in Bund
und Land hätten sich die geschätzten 7000 Mitglieder der Grauen Wölfe derart unauffällig verhalten, dass man sie aus
den Berichten herausgenommen habe. Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (PDS) antwortete 1995 das
Bundesinnenministerium, die Türk-Föderation bezwecke "in Form von Folklore- und Saalveranstaltungen … die Interessen
der türkischen Republik im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zur Geltung zu bringen".
Der Haltung der Verfassungsschutzbehörden entspricht auch die Ermittlungstätigkeit der Kölner Staatsanwaltschaft und
Polizei im Fall Erol Ispir. Auf die Frage der SoZ, wie denn der aktuelle Stand der Ermittlungen sei, winkte Ende August Polizeisprecher
Wolfgang Beus ab. Bei solch "delikaten Geschichten" sei neuerdings die Staatsanwaltschaft zuständig. Doch auch Bernhard
Jansen, der zuständige Oberstaatsanwalt, wollte gegenüber der SoZ keine Auskunft geben, ob Ermittlungstätigkeiten in
Richtung organisierter türkisch-nationalistischer Kreise aufgenommen worden sind. "Für einen politischen Hintergrund gibt
es keine konkreten Anhaltspunkte", so seine monoton klingende Antwort.
Dabei macht selbst Ali M. (21), einer der Täter, der sich bereits am 14.Juli in Begleitung von Angehörigen am Flughafen
Köln-Bonn gestellt hatte, gegenüber Ermittlungsbeamten keinen Hehl aus seiner nationalistischen Gesinnung, berichtete der
Kölner Stadtanzeiger zwei Tage später. Die Aussage von M., Graue Wölfe bzw. MHP seien wegen ihrer hohen
Mitgliedsbeiträge "Abzocker", werten die Ermittlungsbehörden offenbar als ausreichenden Hinweis auf eine
mangelhafte Anbindung des Täters an die faschistischen Strukturen. M., der den Mittäter Selim A. (22) bei den Verhören
schwer belastete, behauptet, dass " es sich um eine situationsbedingt ausgelöste Tat gehandelt habe, die keinen politischen
Hintergrund hat", so ein Sprecher der Polizei.
Ein "persönliches" Tatmotiv kommt auch für den Polizeisprecher Klaus Liedert durchaus in Frage und ist Anlass
für rege Ermittlungstätigkeiten. Die reichen bei der "persönlichen" Motivlage bis an die Grenzen Nordrhein-
Westfalens: AGIF berichtet, dass sogar in ihrem Bielefelder Vereinslokal Mitarbeiter befragt wurden, ob es "interne Streitigkeiten"
geben würde. Für die AGIF-Vereinsmitglieder gibt es noch mehr Ungereimtheiten und Widersprüche. "Warum sind wir
bei der Mahnwache vor dem Tatort permanent von Grauen Wölfen mit Pistolen bedroht worden?" Der Polizeiversion erteilen sie
eine klare Absage. "Wir als türkische Immigranten und Menschen, die hier in Kalk und Mülheim wohnen, kennen die
rechtsextreme Szene. Für uns ist klar, woher die Mörder kommen."
Dominik Müller