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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 8

Alles nur Folklore

Behörden verharmlosen türkische MHP

An Häuserwände gemalte Symbole der Grauen Wölfe, künden schon seit Monaten von den neu erwachten Aktivitäten der türkischen Faschisten in einigen rechtsrheinischen Stadtteilen Kölns. Wandparolen linker türkischer Organisationen werden mit "Bozkurtcula", der türkischen Bezeichnung für die "Sturmtruppen" der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) übermalt. Schon lange vor dem Mord an Erol Ispir am 1.Juli (siehe SoZ 17/99) scheuten Anhänger der MHP auch vor brachialer Gewaltanwendung nicht zurück: Am frühen Abend des 8.Mai schlugen mehrere türkische Männer einen regelmäßigen Besucher des Vereins für türkische Arbeitsmigranten AGIF auf einem belebten Platz zusammen. Er sei den Grauen Wölfen als Kurde bekannt gewesen, der in Gesprächen mit rechten Jugendlichen immer seine Meinung gesagt hätte, erklärt ein Sprecher von AGIF. Auch in linksrheinischen Stadtteilen waren rechte Schlägertruppen aktiv. Nach Augenzeugenberichten überfielen Mitte Juni dreißig türkische Faschisten ein kurdisches Kulturkamp in Riehl.
In Köln spürt man Verschiebungen politischer Machtverhältnisse in der Türkei früher als andernorts, denn die Stadt ist Hauptsitz der meisten türkischen und kurdischen Exilorganisationen in Deutschland. Und diesmal ist mit der MHP in Ankara eine Partei an die Macht gekommen, deren Ideologie und Praxis berüchtigt ist: die 1969 von Alpaslan Türke¸s, einem glühenden Verehrer von Adolf Hitler, gegründete Partei propagiert ein "Großtürkisches Reich" von Bosnien bis China, sieht Kurden und Armenier als "minderwertig" an und pflegt einen militanten Antikommunismus.
MHP-Anhänger und Mitglieder sind im Verwaltungsapparat zu finden, stellen nach wie vor große Teile der Spezialeinheiten der türkischen Armee in Kurdistan und sind eng mit dem Geheimdienst MIT verflochten. Im Unterschied zu den 70er Jahren ist die Situation für MHP-Gegner heute allerdings schlechter. Damals gab es eine antifaschistische Mobilisierung in der Türkei, die MHP war in der demokratischen Öffentlichkeit geächtet. Heute gehören die Repräsentanten der Partei fest zur politischen Elite und dürfen bei keiner Talkshow fehlen.
In Deutschland organisiert sich die MHP auf Basis einer Vereinsstruktur, die sich als "Türkische Gemeinschaften", "Idealistenvereine" oder einfach als "Kulturvereine" bezeichnen. Auch einige Moscheen sind fest in der Hand der Grauen Wölfe, obwohl die MHP als laizistisch gilt. Als Reaktion auf die Wahlerfolge der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei in der Türkei gewann Anfang der 70er Jahre der Islam in der Parteipropaganda der MHP immer mehr an Bedeutung.
Die Vereine haben sich 1978 zur "Föderation der demokratisch-idealistischen türkischen Vereine in Europa/Türk- Föderation" zusammengeschlossen. Ihr Interesse gilt vor allem Jugendlichen, die sie in ihre Reihen aufnehmen wollen. Nicht ohne Erfolg: nach Aussagen der AGIF-Mitarbeiter sympathisiert ein großer Teil der türkischen Jugendlichen mit den Grauen Wölfen, die sie als Speerspitze der nationalistischen Bewegung verherrlichen. Ein wesentlicher Grund dafür sei die Berichterstattung in den türkischen Medien, erklärt AGIF-Mitglied Sakina Polat. Dort würden einfache Schwarzweißschablonen angelegt: den "terroristischen" Kurden und als "Volksverrätern" stigmatisierten Menschenrechtlern sowie linken Politikern steht die rettende Hand des türkischen Nationalismus und Soldatentums gegenüber. Vor allem die Zeitung Turkiye, aber auch andere Boulevardblätter, findet man nicht nur in den Kiosken, sondern auch in den Cafés und Treffpunkten der MHP, wo willfährige Jugendliche über ältere Parteikader auch schon mal einen Job oder sogar eine Wohnung vermittelt bekommen.
In Köln hat die Türk-Föderation ihren Sitz im alten Mülheimer Kino am Clevischen Ring. Statt Kinofilmen aus Hollywood sind dort nun die türkische Nationalfahne und Bilder von Alpaslan Türke¸s an der Wand zu sehen. Im Gegensatz zu vielen anderen Migrantenvereinen verfügt das "Türkische Kulturheim Köln" über einen denkbar guten Draht in den Kölner Stadtrat: Das Vorstandsmitglied Ibrahim Usta ist gleichzeitig Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt Köln. Das ist keine Besonderheit, in mehreren deutschen Städten sind Ausländerbeiräte vornehmlich mit türkischen Rechtsextremisten besetzt.
Obwohl Experten wie Fikret Aslan und Kemal Bozay in ihrem Buch Graue Wölfe heulen wieder die MHP und Graue Wölfe auch in Deutschland für zahlreiche Morde und andere Verbrechen verantwortlich machen, tauchen weder die Organisationen, noch die Türk-Föderation und ihre Vereine in den Verfassungsschutzberichten auf. Nach Angaben der Verfassungsschützer in Bund und Land hätten sich die geschätzten 7000 Mitglieder der Grauen Wölfe derart unauffällig verhalten, dass man sie aus den Berichten herausgenommen habe. Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (PDS) antwortete 1995 das Bundesinnenministerium, die Türk-Föderation bezwecke "in Form von Folklore- und Saalveranstaltungen … die Interessen der türkischen Republik im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zur Geltung zu bringen".
Der Haltung der Verfassungsschutzbehörden entspricht auch die Ermittlungstätigkeit der Kölner Staatsanwaltschaft und Polizei im Fall Erol Ispir. Auf die Frage der SoZ, wie denn der aktuelle Stand der Ermittlungen sei, winkte Ende August Polizeisprecher Wolfgang Beus ab. Bei solch "delikaten Geschichten" sei neuerdings die Staatsanwaltschaft zuständig. Doch auch Bernhard Jansen, der zuständige Oberstaatsanwalt, wollte gegenüber der SoZ keine Auskunft geben, ob Ermittlungstätigkeiten in Richtung organisierter türkisch-nationalistischer Kreise aufgenommen worden sind. "Für einen politischen Hintergrund gibt es keine konkreten Anhaltspunkte", so seine monoton klingende Antwort.
Dabei macht selbst Ali M. (21), einer der Täter, der sich bereits am 14.Juli in Begleitung von Angehörigen am Flughafen Köln-Bonn gestellt hatte, gegenüber Ermittlungsbeamten keinen Hehl aus seiner nationalistischen Gesinnung, berichtete der Kölner Stadtanzeiger zwei Tage später. Die Aussage von M., Graue Wölfe bzw. MHP seien wegen ihrer hohen Mitgliedsbeiträge "Abzocker", werten die Ermittlungsbehörden offenbar als ausreichenden Hinweis auf eine mangelhafte Anbindung des Täters an die faschistischen Strukturen. M., der den Mittäter Selim A. (22) bei den Verhören schwer belastete, behauptet, dass " es sich um eine situationsbedingt ausgelöste Tat gehandelt habe, die keinen politischen Hintergrund hat", so ein Sprecher der Polizei.
Ein "persönliches" Tatmotiv kommt auch für den Polizeisprecher Klaus Liedert durchaus in Frage und ist Anlass für rege Ermittlungstätigkeiten. Die reichen bei der "persönlichen" Motivlage bis an die Grenzen Nordrhein- Westfalens: AGIF berichtet, dass sogar in ihrem Bielefelder Vereinslokal Mitarbeiter befragt wurden, ob es "interne Streitigkeiten" geben würde. Für die AGIF-Vereinsmitglieder gibt es noch mehr Ungereimtheiten und Widersprüche. "Warum sind wir bei der Mahnwache vor dem Tatort permanent von Grauen Wölfen mit Pistolen bedroht worden?" Der Polizeiversion erteilen sie eine klare Absage. "Wir als türkische Immigranten und Menschen, die hier in Kalk und Mülheim wohnen, kennen die rechtsextreme Szene. Für uns ist klar, woher die Mörder kommen."
Dominik Müller


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