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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 8

Kein Interesse an Aufklärung?

In Kiel begann der zweite Prozess gegen Safwan Eid

Es ist nicht gerade ein alltäglicher Prozess, der da am 3.9. vor der Jugendkammer des Kieler Landgerichts begann. Es geht um den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in s ist nicht gerade ein alltäglicher Prozess, der da am 3.9. vor der Jugendkammer des Kieler Landgerichts begann. Es geht um den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Januar 1996 s ist nicht gerade ein alltäglicher Prozess, der da am 3.9. vor der Jugendkammer des Kieler Landgerichts begann. Es geht um den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Januar 1996im Januar 1996, den bisher folgenreichsten Fall dieser Art. Zehn Menschen starben seinerzeit in den Flammen und da es in der Hansestadt schon zuvor mehrere rassistische Brandanschläge gegeben hatte, u.a. auf eine Synagoge, lag der Verdacht nahe, dass auch diesmal Fremdenhass das Motiv war.
Tausende Lübecker zogen am Tag nach dem Brand vor das Haus in der Neuen Hafenstraße, um gegen Rassismus und rechtsradikalen Terror zu protestieren. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis eilte zum Fototermin an den Brandort, bedauerte aber vor allem die Lübecker Bürger, da ihre Stadt schon wieder international negative Schlagzeilen machte. Die konservative Presse im Land war etwas verstört, beeilte sich jedoch zu versichern, dass das nun keinesfalls heißen dürfe, dass man jetzt nicht mehr über Ausländerkriminalität spricht.
Schon bald stimmte für sie allerdings das Weltbild wieder. Die Lübecker Staatsanwaltschaft meinte den Täter ausfindig gemacht zu haben: Safwan Eid, der mit seiner Familie selbst in dem Haus gewohnt hatte. Nicht deutsche Rassisten, sondern eines der Opfer sollte das Feuer gelegt haben. Einer der in der Brandnacht tätigen Rettungssanitäter behauptete, der damals 20jährige Libanese habe ihm gegenüber die Tat gestanden. "Wir waren es", will er von Safwan gehört haben. Der Staatsanwaltschaft reichte das für die Festnahme und fast ein halbes Jahr Untersuchungshaft.
Der Prozess, den sie im Sommer 1996 gegen Safwan Eid anstrengte, endete allerdings ein Jahr später mit Freispruch. Doch damit war die Sache nicht ausgestanden. Während sich die meisten der überlebenden Opfer über den Freispruch freuten, legten einige der Nebenkläger - die Familie El Omari, die ebenfalls in dem Flüchtlingsheim gewohnt hatte - gegen das Urteil Revision ein und bekamen im vergangenen Jahr Recht. Die Staatsanwaltschaft verzichtete hingegen auf weitere Rechtsmittel.
Die meisten der Opfer sind allerdings genauso wie auch die diversen antirassistischen Gruppen, die den Prozess seinerzeit beobachtet haben, weiter von Safwan Eids Unschuld überzeugt. Zu offensichtlich einseitig waren die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gewesen. Selbst der Vorsitzende Richter Wilcken hatte nach dem ersten Verfahren in der mündlichen Urteilsbegründung die zahlreichen "Ermittlungspannen" von Polizei und Staatsanwaltschaft kritisiert.
Da waren zum Beispiel die vier Grevesmühlener Jugendlichen, die wenige Stunden nach dem Brand als Tatverdächtige festgenommen wurden und in ihrer mecklenburgischen Heimatstadt offensichtlich zur rechtsradikalen Szene gehörten. Sie waren in der Nähe des Tatorts gesehen worden.
Bei dreien von ihnen wurden im Rahmen einer rechtsmedizinischen Untersuchung versengte Kopfhaare, Wimpern und Augenbrauen festgestellt. Die Begründungen, die sie dafür angaben, waren haarsträubend, wurden aber nicht weiter überprüft. Die Haarproben verschwanden später auf unerklärliche Weise.
Im Gegensatz zu Safwan Eid waren die Grevesmühlener knapp einen Tag nach ihrer Festnahme wieder auf freiem Fuß. Eine Polizeistreife hatte drei von ihnen in ihrem Wagen um 3.17 Uhr an einer Tankstelle in sechs Kilometer Entfernung vom Tatort gesehen. Das Feuer ist nicht später als um 3.30 Uhr ausgebrochen. Die Staatsanwaltschaft ging daher davon aus, dass die Grevesmühlener für die Tatzeit ein Alibi haben.
Die Merkwürdigkeiten setzten sich bei der Spurensicherung am Tatort fort. Die Anklage stützte sich im wesentlichen auf die These, der Brand sei im ersten Stock ausgebrochen. Etwaige Täter von außen hätten, so die Staatsanwaltschaft, gewaltsam in das Haus einbrechen und über eine Treppe in den ersten Stock gelangen müssen.
Eine Bodenplatte von just der Stelle, an der nach Vorstellungen der Anklage wie auch der Gutachter vom Landeskriminalamt der Brand ausgebrochen sein soll, geht verloren. Sie konnte also nicht mehr auf Spuren von Brandbeschleunigern o.ä. untersucht werden. Viele Zeugenaussagen, vor allem der Bewohner des Hauses, widersprechen allerdings dieser Version von der Lage des Brandherdes.
Mehrere von ihnen geben an, nach Brandausbruch durch den fraglichen Flur gelaufen zu sein und dort kein Feuer gesehen zu haben. Auch ein unabhängiger Gutachter widerspricht der Darstellung des LKA. So erscheint es nach verschiedenen Aussagen mehr als wahrscheinlich, dass der Brand in einem hölzernen Anbau im Eingangsbereich ausgebrochen ist.
Am Ende des Prozesses stand ein Urteil, das die Mehrzahl der Brandopfer nur enttäuschen konnte: Die Tat blieb unaufgeklärt und trotz der für den Angeklagten so positiven Zwischenbilanz erweckten die mündliche und mehr noch die schriftliche Urteilsbegründung den Eindruck, Safwan Eid bleibe verdächtig, ihm könne die Tat nur nicht nachgewiesen werden.
Inzwischen ist fraglich, ob die Vorgänge jemals aufgeklärt werden können: Rechtzeitig zur Neuauflage des Prozesses gegen Safwan Eid hat die Lübecker Staatsanwaltschaft auch das zweite Ermittlungsverfahren gegen die Grevesmühlener eingestellt. In ihrer Einstellungsverfügung halten die Strafverfolger an ihrer Version des Tathergangs fest.
Auch die später widerrufenen Geständisse eines der Beschuldigten seien "nicht geeignet, einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen". Rechtsanwälte, die im ersten Prozess einige der Nebenkläger vertreten hatten, kritisieren die Verfügung: Annahmen über nichtgesicherte Sachverhalte würden als Tatsachen festgeschrieben und mögliche alternative Abläufe weder in Erwägung gezogen noch durch Nachermittlungen abgeklärt.
Auch das Kieler Gericht scheint kein Interesse an der Aufklärung zu haben. Aus Gründen der "Prozessökonomie" will man zunächst nur belastende Zeugen zu Wort kommen lassen. Stellt sich dann in einer ersten Zwischenbilanz heraus, dass es nicht für eine Verurteilung reicht - wovon ausgegangen werden kann - könnte der Prozess abgeschlossen werden, ohne Entlastungszeugen zu hören.
Der Effekt wäre freilich, dass die Medien noch einmal ein oder zwei Monate die Aussagen gegen den Angeklagten verbreiteten und ihm letztlich der Makel des Freispruchs aus Mangel an Beweisen anhaften bliebe. Unter den Hafenstraßenbrand wäre endlich ein Schlussstrich gezogen und der deutsche Biedermann könnte sich in der Gewissheit zurücklehnen, dass es wahrscheinlich doch "einer von denen" gewesen ist.
Wolfgang Pomrehn


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