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Angesichts neu aufgenommener Verhandlungen über das Multilaterale Abkommen über
Investitionsschutz (MAI) lohnt es sich die Entwürfe vor Augen zu führen, die die Weltbank (WB) und die Organisation für
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Arbeitswelt entwickelt haben. Ein
regelrechter "Leitfaden zur Durchsetzung von Sparpolitik" ist hier entstanden.
Die Weltbank empfiehlt die Regulierung der Arbeitswelt aufzuweichen. Unter dem Titel "Die Arbeitswelt in einer Wirtschaft ohne
Grenzen" (im Internet unter www.worldbank.org) widmete sie diesem Thema im Jahr 1995 die gesamte Ausgabe ihres
Weltentwicklungsberichts. Und dieser Bericht spricht Klartext: "Anstrengungen, die größtmögliche Mobilität der
Beschäftigten zu erreichen, führen oft zur Umsetzung von Maßnahmen, die den Prozess der Vernichtung von
Arbeitsplätzen - auch durch Entlassungen im öffentlichen Sektor - weiter vorantreiben."
Für die Weltbank geht es jedoch nicht darum Sozialleistungen zur Abfederung der Arbeitslosigkeit längerfristig auszubauen oder
aufrechtzuerhalten. Nach ihrer Ansicht seien diese vielmehr Ursache der Arbeitslosigkeit. Sie definiert eine "aktive
Arbeitsmarktpolitik" wie folgt: "Ein Politik, die darauf zielt, Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen und die Zukunfsaussichten der
Arbeitenden zu verbessern; dies umschließt Hilfe bei der Arbeitssuche, Ausbildung und Initiativen zur Schaffung von
Arbeitsplätzen." Dagegen steht für sie "eine passive Politik, die darauf abzielt, den Lebensstandard derjenigen, die
nicht arbeiten, mit finanziellen und anderen Mitteln aufrechtzuerhalten".
Was die Einkommen betrifft, so setzt die Weltbank sich unmissverständlich dafür ein, jedweden Mindestlohn in den Ländern
der Dritten Welt abzuschaffen. Denn dort, wo ein Mindestlohn existiere, "sei er viel zu hoch im Vergleich zu den Staatseinnahmen und den
Gehältern, so dass schon eine geringe Anhebung dieses Mindestlohns Arbeitsplätze vernichtet". Hieraus ergibt sich für
die Weltbank die Schussfolgerung: "Ein Mindestlohn mag in den Industriestaaten seinen Sinn haben, aber er ist in Ländern mit
schwachen oder mittleren Einkünften kaum zu rechtfertigen."
Nach Ansicht der Weltbank verteidigen die Gewerkschaften die "Privilegien" der Beschäftigten, was dazu führe, dass
sie "am Spiel der Umverteilung von Einkommen zuungunsten der Mehrheit derjenigen teilnehmen, die die aktive Bevölkerung im
informellen Sektor oder im Sektor der Landwirtschaft stellen".
Nachdem die Umsetzung von
Strukturanpassungsmaßnahmen
in einer Vielzahl von Ländern der Dritten Welt Revolten der Bevölkerung ausgelöst hatte, besitzt das Prinzip der good
governance [gute Staatsführung] in der Themenliste der Weltbank seit Anfang der 90er Jahre einen hohen Stellenwert.
Tatsächlich verloren die Behörden in Ländern, die die Strukturanpassungsprogramme umsetzten, in dem Maße an
Legitimität in der Bevölkerung, in dem sie augenscheinlich die staatliche Autonomie an internationale Finanzinstitutionen abgaben.
Die Weltbank reagierte darauf, dass sie ihre Unschuld erklärte und die Verantwortung für Unruhen im Land den jeweiligen
Regierungen in ihrer Fehlerzählung anrechnete. Das Thema good governance wurde so zu einem ergänzenden Instrument bei der
Unterwerfung verschuldeter Länder.
In Wirklichkeit bedeutet nämlich die Umsetzung von good governance nicht Demokratie, sondern nur eine Politik, die die Zustimmung der
Unterdrückten gewinnen kann. In den meisten Fällen führte sie zu einer kaum verhüllten Stärkung der exekutiven
Kräfte und einer Schwächung sozialer Bewegungen.
OECD-Leitfaden
Dies wird durch einen Leitfaden der OECD bestätigt, in dem sie den Regierungen Ratschläge gibt, wie sie antisoziale
Maßnahmen durchsetzen sollten.
In einem an die Regierungen adressierten Dokument breitet Christian Morrisson, Beamter bei der OECD, seine Vorschläge aus, die einen
das Gruseln lehren. Hier einige Auszüge. Zunächst zu den Zielen dieses Berichts, der den Titel "Politische Schwächen
der Anpassungspolitik" (im Internet unter www.oecd.org) trägt:
"Das Zentrum für Entwicklung hat sich damit beschäftigt, Probleme, die sich früher oder später in Ländern
der OECD oder außerhalb stellen können, zu identifizieren und zu analysieren, um rechtzeitig Leitlinien für die Erarbeitung
einer adäquaten Politik aufzuzeigen … Die Politik der wirtschaftlichen Stabilisierung und Anpassung kann soziale Unruhen hervorrufen
und damit vor allem die politische Stabilität der Länder gefährden … Fünf profunde Fallstudien und zwei
Musterbeispiele wichtiger Länder in Lateinamerika und Afrika zeigen, dass die politischen Kosten in Form von Streiks, Demonstrationen
oder Aufruhr sehr unterschiedlich sein können, je nachdem, welchen Maßstab für Stabilität man anlegt. Diese
Untersuchungen zeigen, wie die Charakteristik eines optimalen politischen Stabilitätsprogramms zu definieren und präzisieren ist,
in dem Sinne, dass die politischen Gefahren minimiert werden."
Und etwas später die kühle kaufmännische Kalkulation: "Im Falle eines Anpassungsprogramms kann die Regierung ihre
aufgrund von Ausgabenkürzungen gesunkene Popularität nötigenfalls durch Repression ausgleichen, doch dies hat andere
Ausgabenerhöhungen (Armee, negative Reaktionen im Ausland) zur Folge."
Wie setzt man nun Sparmaßnahmen am raffiniertesten durch: "Kürzungen der Investitionsausgaben im Haushalt führen
gewöhnlich zu keinerlei Reaktionen, selbst wenn sie einschneidend sind: -40% in Marokko in drei Jahren, -40% im Staat
Elfenbeinküste in zwei Jahren, -66% in Venezuela von 1982 bis 1985 und -60% auf den Philippinen in zwei Jahren … Ein Programm,
das alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen betrifft, wird viel schwieriger durchzusetzen sein als ein diskriminierendes
Programm, das die Kosten der Anpassung gewissen Gruppen auflastet, während es andere, nämlich die Regierung stützende,
Gruppen davon profitieren lässt."
"Im Fall der Fälle stellt das außerordentliche politische Gewicht des Staatschefs ein entscheidendes Kapital für den
Erfolg der Anpassungspolitik dar. Sicher gibt es in den Regierungen immer auch ein gewisses Widerstandspotenzial gegenüber den
Ordnungskräften. Doch wenn ein Aufstand ein Regime ins Wanken bringt, ist die Autorität des Staatschefs ein sehr wichtiger
Trumpf. Dies war so im Falle Marokkos, der Elfenbeinküste und Venezuelas: der Präsident hatte 1990 diese Autorität, weil
dieselbe Partei den Präsidenten, das Parlament und die wichtigsten Gewerkschaften kontrollierte."
Die Gewerkschaften schwächen
"Wenn die Beschäftigten halböffentlicher Unternehmen gut organisiert sind, können sie sich Entscheidungen der
Regierung [für Privatisierung oder massive Entlassungen] recht wirksam widersetzen. Darum ist jede Politik, die auf die
Schwächung dieses Korporativismus [beachtenswert, dass Morrisson den Begriff ‚Korporativismus verwendet, wo er eindeutig
die Gewerkschaftsbewegung meint, E.T.] abzielt, zu begrüßen: Aus wirtschaftlicher Sicht wird damit ein Hindernis für
Wirtschaftswachstum aus dem Weg geräumt und politisch gewinnt die Regierung dadurch eine Handlungsfreiheit, die für sie bei der
Durchsetzung von Anpassungsprogrammen wertvoll sein kann. Man könnte einwenden, dass durch eine solche Politik der Widerstand
gestärkt wird, doch es ist besser, die Regierung führt die Auseinandersetzung in einer Phase befriedigender wirtschaftlicher
Konjunktur als im Fall einer Krise, wenn sie angeschlagen ist."
"Viele Bewohner der Elends- und Armutsviertel fühlen sich frustriert und ausgeschlossen vom Rest der städtischen
Bevölkerung. Die Plünderung und Zerstörung von Geschäften in betuchteren Vierteln erlaubt ihnen, dieses Gefühl
zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine Stabilisierungsmaßnahme - z.B. die Kürzung von Investitionen - die Preise für
notwendige Lebensmittel weiter nach oben treibt, werden die Menschen ihre Verzweiflung mit Gewalt abreagieren. Denn eine solche
Maßnahme reduziert den sowieso schon niedrigen Lebensstandard noch weiter, und die Armen haben nichts mehr zu
verlieren."
"Ein Streik der Studenten ist, als solcher, für die Regierung keine Bedrohung, aber er ist indirekt gefährlich, weil er der
Jugend das Demonstrieren beibringt."
"Die Verweigerung von Gehaltszulagen lässt sich in bestimmten Verwaltungen durchdrücken, wenn man nur eine
diskriminierende Politik anwendet, um einen gemeinsamen Widerstand der Beamten zu verhindern. Dagegen ist es in schwierigeren Situationen
offensichtlich nicht ratsam, mit den Ordnungskräften, die man ja gegebenenfalls noch braucht, dasselbe zu tun."
"Nichts ist politisch gefährlicher, als generelle Maßnahmen anzuwenden um ein makroökonomisches Problem zu
lösen. Wenn man bspw. die Einkommen der Beamten senken will, so sollte man sie in einem Sektor drücken, in einem anderen das
Nominaleinkommen blockieren, in einem politisch entscheidenden Sektor die Einkommen nötigenfalls aber auch
erhöhen."
Für eine starke Regierung
Dann listet der OECD-Autor einige besonders unauffällige Sparmöglichkeiten auf: "Es lässt sich eine Vielzahl von
Maßnahmen empfehlen, deren Durchsetzung keinerlei politische Schwierigkeiten bereitet. Will man das Haushaltsdefizit verringern, so
stellen eine Reduktion der öffentlichen Investitionen oder die Herabsetzung der Funktionsfähigkeit [staatlicher Einrichtungen]
keinerlei politische Risiken dar. Senkt man die Ausgaben für öffentliche Leistungen, so sollte man bei der Qualität der
Leistungen ansetzen, nicht bei der Quantität. Beispielsweise könnte man Zuwendungen oder Kredite an Schulen einschränken,
aber es wäre gefährlich die Zahl der Schüler oder Studenten einzuschränken. Die Familien der Betroffenen
würden hierauf heftig reagieren, nicht aber auf ein schrittweises Sinken der Qualität im Bildungsbereich. Hier und da würde
die Schule Unterstützung von den Eltern erhalten oder gewisse Angebote einschränken. Das alles müsste Schritt für
Schritt durchgesetzt werden; wenn das mal da und dort in einer Schule passiert, aber nicht gerade in der Nachbareinrichtung, dann wird sich
daraus keine allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung einstellen."
"Eine Regierung sollte von ein oder zwei großen Parteien gestellt werden, nicht von einer Koalition vieler kleiner Parteien, denn
nur so hat sie den Handlungsspielraum, die notwendigen Anpassungsmaßnahmen durchzusetzen. Deshalb sollte das
Persönlichkeitswahlrecht gegenüber dem Verhältniswahlrecht für Parlamentswahlen favorisiert werden (oder
wenigstens eine Mischung beider Wahlsysteme). Darüber hinaus gibt es Maßnahmen, die Exekutive zu stärken, z.B. durch
befristete Sonderrechte oder eine Kontrolle über die Judikative von oben. Damit kann verhindert werden, dass Richter die Umsetzung
eines Programms im Voraus unterbinden. Schließlich stellt auch das Referendum eine wirkungsvolle Waffe dar, wenn die gesamte
Initiative bei der Regierung ist."
Man sieht, dass Weltbank und OECD Institutionen im Dienste des Kapitals sind. Seit Jahren schon richten sie ihre Waffen gegen die
Beschäftigten, die Gewerkschaftsbewegung und, ganz allgemein, die Unterdrückten.
Eric Toussaint