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Riesters Rentenpläne haben zwei Seiten. Zum einen sollen die Rentenerhöhungen in den Jahren
2000 und 2001 ausgesetzt und die Renten in dieser Zeit nur um die Inflationsrate angehoben werden. Damit werden sie faktisch gekürzt,
nachdem die Kürzungen der Regierung Kohl gerade zum 1.1.1999 rückgängig gemacht wurden. Blüm wollte einen sog.
demografischen Faktor einführen, der das Rentenniveau nach mehreren Jahren auf etwa 64% (heute 70%) des durchschnittlichen
Nettolohns abgesenkt hätte (siehe letzte SoZ).
Es gibt noch eine zweite Seite: ab dem Jahr 2002, wenn angelich die alte nettolohnbezogene Rentenformel wieder in Kraft treten soll, will
Riester eine zusätzliche private Altersvorsorge einführen - und damit auf eine kapitalgebundene Rentenversicherung
umsteigen.
Ab diesem Zeitpunkt sollen die Beschäftigten einen zusätzlichen Beitrag zu ihrer Altersversorgung leisten, der mit 0,5% beginnt
und jedes Jahr steigt, bis auf 2,5% des Bruttoeinkommens. Hierzu sind ständig neue Denkmodelle in die Öffentlichkeit gebracht
worden, um möglichst wenig Klarheit über den wahren Charakter dieser Änderung aufkommen zu lassen und um die
Stimmung und die Haltung der Menschen und der politischen Organisationen zu testen. Das begann mit dem Vorschlag, die Zusatzversicherung
zum Ausgleich eines früheren Renteneintritts aus den Lohnerhöhungen zu bezahlen (Altersteilzeit?). Dann war davon die Rede, eine
Zwangsversicherung für die Beschäftigten einzurichten, was dazu geführt hätte, dass die Beiträge als gesetzliche
Abgaben auch den Nettolohn gesenkt hätten. Das hätte wiederum zu einem verringerten Anstieg der gesetzlichen Rente
geführt (der sich ja am Nettolohn ausrichtet) - die SPD hätte also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: sowohl den Anstieg
der Rente als auch die Beitragssätze der Unternehmer begrenzt.
Inzwischen ist wieder eine "freiwillige" Versicherung in der Debatte, wobei völlig unklar ist, wie das zwischen den
Tarifparteien oder im "Bündnis für Arbeit" geregelt werden soll.
Private Zusatzversicherung
Die private Zusatzversicherung, die nur von den Beschäftigten durch einen Beitrag von etwa 2,5% ihres Bruttoeinkommens zu bezahlen
wäre, ist natürlich auf große Zustimmung der Unternehmern und ihrer Verbände gestoßen.
Damit würde Riester die Forderung erfüllen, den Anteil an den
Sozialversicherungsbeiträgen,
den die Arbeitgeber zu zahlen haben, zu senken; über die Ökosteuer wurde ja der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung
für beide Seiten herabgesetzt. Gleichzeitig würde der Ausgleich für die daraus resultierenden Rentensenkungen für die
jetzt aktive Generation aus deren eigenem Einkommen bezahlt. Zusätzlich wird das bisherige Rentensystem - ganz im Sinne der
neoliberalen Idee, dass alles, was privat, gut, alles, was staatlich oder "kollektiv", schlecht sei - auf neue Füße gestellt:
Die "Privatisierung" der Alterssicherung wirkt sich genauso aus wie die der Post und der Bahn auch: der Nutzen gehört
Privateigentümern und Aktionären, die Kosten den Beschäftigten und Benutzern.
Diese Systemänderung bei der Alterssicherung wird schon länger von den Finanzdienstleistern und ihren Propagandisten, von
Lebensversicherern und Banken gewünscht. Die Beitrags- und Rentenzahlungen summieren sich jedes Jahr auf Milliardenbeträge,
die an diesen Instituten vorbeilaufen. Die private Lebensversicherung gibt es zwar schon lange, aber sie war bislang im Wesentlichen ein
Instrument der Alterssicherung für Selbständige, Freiberufler, Leitende, die nicht der gesetzlichen Versicherung unterliegen, sowie
eine zusätzliche Sicherung für die mittleren Einkommensschichten, die einen Teil ihres Einkommens auf diesem Weg
steuerbegünstigt sparen konnten. Sicherung beim Hausbau und bei der Ausbildung gelten ebenfalls als wichtige Bereiche privater
Lebensversicherungen.
Von einer reinen Risikoversicherung (den Nachkommen wird ein finanzieller Ausgleich für den eintretenden Tod des
Versicherungsnehmers geschaffen) ist die Lebensversicherung immer mehr zu einer Kapitalsammlung zum Zweck der Altersvorsorge geworden.
Wer einmal die Aktienkurse wichtiger Versicherungen verfolgt, weiß, wie gewinnbringend diese Branche für die Anteilseigner ist -
natürlich auch für die Vertreter und anhängenden Finanzdienstleistungsagenturen.
Riesters Pläne bedeuten nun, dass diese Versicherungen mit ihren Leistungen in den "Massenmarkt" der unselbständig
beschäftigten Einkommensbezieher dringen können. Das ist ein entscheidender Schritt. Damit wird privaten Gesellschaften ein
gesetzlich verordneter Zugriff auf die Einkommen der ArbeiterInnen und Angestellten ermöglicht, in einem Bereich, wo letztere bisher
allein entscheiden konnten, ob überhaupt, und wenn ja, wieviel und wo sie für ihr Alter (oder andere Zwecke) zusätzlich
sparen wollten. Der zweite entscheidende Bruch mit dem bisherigen System ist, dass in die gesetzliche Versicherung Arbeitgeber und
Arbeitnehmer je die Hälfte einzahlen, während die Zusatzvorsorge nur von den Arbeitnehmern aus ihrem Einkommen aufgebracht
werden soll. Damit, so wird gern behauptet, beginnt der "Ausstieg aus der solidarischen Rentenversicherung".
Wir würden das nicht so formulieren: Auch die bisherige gesetzliche Rentenversicherung ist keine "solidarische
Angelegenheit" zwischen Kapital und Arbeit! Die "Arbeitgeberbeiträge" zur gesetzlichen Rentenversicherung sind
natürlich Lohnbestandteile - allerdings zahlt sie das Unternehmen zusätzlich zum Bruttolohn, deshalb der schillernde Begriff
"Lohnnebenkosten". Wird nun der Beitrag zur gesetzlichen Versicherung gesenkt, wie das mit Einführung der Ökosteuer
geschah, so sinken die Lohnnebenkosten für die Unternehmen. Wird stattdessen eine vom Bruttolohn zu zahlende Zusatzvorsorge
eingeführt, so steigen die "Kosten" der Alterssicherung nur für die Beschäftigten - Umverteilung von unten nach
oben nennt man das.
Seit dem 1.April sind die Rentenbeiträge von 20,3% auf 19,5% gefallen. Bei einem Bruttoeinkommen von 3500 DM sind also die
Rentenbeiträge für Arbeitgeber und Beschäftigten je um 14 Mark monatlich gesunken. Kommt Riesters Zusatzversicherung
von 2,5%, zahlen die Beschäftigten 87,50 Mark mehr monatlich - die Umstellung bringt einen Verlust von über 70 Mark.
Wofür?
Geldanlage fürs Alter?
Die Wiederanlage der eingesammelten Versicherungsprämien ist ein Hauptgeschäftsbereich der Versicherungen. In den USA, wo
es fast nur private Alterssicherungssysteme gibt, hat sich ein Fondssytem entwickelt, das über 8 Billionen Mark verwaltet! Einige
mögen die Geschichte noch kennen: Diese Fonds boten schon in den 60er Jahren in Europa ihre Anlagemöglichkeiten an - man
sollte in Dollar investieren, was damals die Leitwährung war und daher als sicher galt. Besonders der IOS-Fonds tat sich hier hervor,
und der frühere FDP-Außenminister Mende war einer seiner Repräsentanten. Damals kostete der Dollar noch 4,20 DM. Nach
Beginn der freien Wechselkurse stürzte er Anfang der 70er Jahre auf unter 3 DM, dazu kamen spekulative Anlagen der Fonds, kurzum:
innerhalb von wenigen Jahren waren die Geldanlagen der IOS-Anleger nichts mehr wert.
Das amerikanische (kapitalgedeckte) Verfahren wird immer als Alternative zur gesetzlichen umlagefinanzierten Altersvorsorge angeführt.
Es wird behauptet, die Beschäftigten könnten über Beitragszahlungen in solche Fonds Anteile am Produktivkapital erwerben
und wären damit in der günstigen Lage, vom Wachstum zu profitieren; im Alter hätten sie ein Recht auf ihre früher
erworbenen Anteile. Verschwiegen wird, dass solche Anteile im Wert sinken können, weil der Fonds gehandelt wird. Ausgeblendet
wird, dass jeder Anteil nur einen verschwindend geringen Teil des Fonds ausmachen würde, der auf Gedeih und Verderb an die
Geschäftspolitik des Fonds gebunden wäre. Auch Versicherungen garantieren nur einen bestimmten Betrag, den sie am Ende der
Laufzeit auszahlen, alles darüber hinaus gehende ist abhängig von der Konjunktur, vom Wachstum der Wirtschaft und von der
Anlagepolitik des Versicherungs- oder Finanzverwaltungsunternehmens.
Beschäftigte als "shareholder"
Ein Beschäftigter, der Beiträge in einen solchen Fonds zahlt, wird zum shareholder, zum Anteilseigner, wie ein
Aktionär.
Das ist auch der Nebenzweck dieses Systems der Altersvorsorge: der Anteilseigner ist, um im Alter "gesichert" zu sein, an einem
möglichst großen Zuwachs und Gewinn "seines" Fonds interessiert. Er wird in Fonds investieren wollen, die hohe
Rendite versprechen, die also den shareholder value hochtreiben. Und diese Fonds werden das Geld dort anlegen, wo sie die höchste
Rendite erhalten, was in den letzten Jahren gerade die Jagd um den Globus angeheizt hat. Die Folge ist, dass die Fonds und ihre Manager auf
die Geschäftspolitik der Unternehmen - also der Banken und Produktionsbetriebe, deren Aktien sie kaufen - einen steigenden Druck
ausüben, immer höhere Gewinne zu erzielen. Die Fonds, die als "institutionelle Anleger" bezeichnet werden, haben
steigende Finanzmittel (eben die von den vielen Anteilseignern gesammelten Beiträge) zur Verfügung um zu spekulieren, um Aktien
und ausländische Währungen zu kaufen und zu verkaufen.
Seit Jahren ist klar, dass Shareholder-value-Politik eine Politik der Rationalisierungen und Entlassungen in den Unternehmen ist. Damit tragen
vor allem die amerikanischen Geldanleger dazu bei, dass rund um die Welt nur in die profitabelsten Anlagen investiert wird, dass
Arbeitslosigkeit und Finanzprobleme in vielen Ländern wachsen, und dass von den Fondsmanagern ein unheimlicher Einfluss
ausgeübt werden kann. Auch wenn dieses Verfahren in der BRD mit einigen Aufsichtsbehörden und gesetzlichen
Beschränkungen eingeführt würde, am wesentlichen würde sich nichts ändern: Der Beschäftigte soll nach
den Plänen der SPD/Grünen-Regierung gezwungen werden, sein Geld für die Alterssicherung in ein System einzuzahlen, das
zu verstärktem Druck auf die Rendite und damit zu verstärkter Arbeitslosigkeit führt. Er würde in seiner Funktion als
Anteilseigner sich selbst in seiner Funktion als Beitragszahler am besten überflüssig machen!
In das jetzige Rentensystem sind gesetzliche Sicherungen eingebaut, die gewährleisten, dass die eingezahlten Beträge den Rentnern
auch wieder ausgezahlt werden. Das ist unter anderem deshalb der Fall, weil die eingehenden Beiträge zusammen mit dem
Bundeszuschuss und die zu zahlenden Renten laufend Ein- und Ausgaben bilden.
Es wird gerade nicht ein Fonds gebildet (oder Kapitalstock, Sparguthaben usw.), der wieder angelegt werden, Profit bringen soll. Zweck des
Umlageverfahrens der gesetzlichen Rentenversicherung ist, dass die heutigen Beitragszahler die heutigen Renten finanzieren; deren
spätere Renten werden dann wiederum von den künftigen Beitragszahlern finanziert. "Generationenvertrag" heißt
das.
Schon allein aus dieser Konstruktion ist unschwer zu erkennen, dass die Sicherheit der Renten von morgen insbesondere davon abhängt,
wieviele erwerbslos sind. Arbeitslosigkeit ist seit Jahren in starkem Maße für die relativ sinkenden Einnahmen der
Rentenversicherung verantwortlich.
Auf den Vergleich der beiden Systeme werden wir in der SoZ noch zurückkommen. Hier soll noch darauf hingewiesen werden, dass die
Sozialversicherungen als selbstverwaltete Körperschaften dem Einfluss der gesellschaftlichen Kräfte unterliegen. Arbeitgeber-,
Arbeitnehmerorganisationen und Regierungen sind in den Verwaltungsräten vertreten. Nochmal: Nicht, dass dies das demokratische
System wäre, das wir uns vorstellen. Aber es ist ein erheblicher Unterschied zu einem Kapitalfonds, dessen Ziel die profitabelste
Geldanlage seiner Mitglieder ist, dessen Steuerung Bank- und Finanzfachleuten obliegt, deren Anlagepolitik wiederum den Gesetzen des freien
Geld- und Kapitalmarkts folgt.
Bei der gesetzlichen Alterssicherung ist wenigstens teilweise eine gesellschaftliche und politische Einflussnahme von Beitragszahlern und
Rentnern möglich - es kann auch politischen Druck geben; bei der privaten Rente ist dies fast völlig ausgeschlossen. Der Fonds und
sein Management können sich, wenn es Probleme gibt, auf die Marktgesetze und auf unvorhersehbare wirtschaftliche Entwicklungen
zurückziehen.
Wer zahlt denn die Beiträge?
Doch wieder nur dieselben, die im Wesentlichen auch jetzt in die Sozialversicherung einzahlen: die (mit Lohnarbeit) Beschäftigten.
Diejenigen, die (noch) einen Arbeitsplatz haben, sollen etwas vom Entgelt abgezogen bekommen, um irgendwann einmal daraus eine
Zusatzrente zu erhalten. Diese Zusatzrente wird - wenn die Kürzungen im Sozialbereich weitergehen - auch dringend nötig
sein.
Aber diejenigen, die eine zusätzliche soziale Absicherung am nötigsten haben - die Kleinrentner, die Frauen, diejenigen, die
langzeitarbeitslos waren, deren Erwerbsbiografie Lücken aufweist, die viel Zeit auf Familien- und Pflegearbeit verwandt haben - diesen
allen steht gerade keine Zusatzrente zu, weil sie ja kaum oder gar nicht in der Lage waren, in die privaten Zusatzversicherungen einzuzahlen.
Riesters Pläne verschärfen gerade die Ungerechtigkeiten des bestehenden Rentensystems und schaffen zusätzlich
neue.
Die Pläne der früheren FDP und ihres obersten Versicherungsvertreters und Steuersünders Graf Lambsdorff aus dem Jahr des
Regierungssturzes 1982 nehmen unter der "rot"-grünen Koalition Gestalt an - das Kapital reibt sich die Hände.
Rolf Euler