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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 12

Säbelrasseln in Ostasien

In Fernost brechen alte Allianzen auf.

Taiwans Präsident Lee Teng-hui hat sich den Zeitpunkt für seinen Vorstoß gut ausgesucht. Noch haben sich in Peking die Gemüter nicht über die doppelte Demütigung Chinas durch den NATO-Krieg gegen Jugoslawien beruhigt, da fordert er seinerseits Chinas Falken heraus. Die Beziehungen zwischen der Volksrepublik und Taiwan seien die zwischen zwei unabhängigen Staaten, ließ er Anfang Juli wissen. Damit traf er ins Herz des chinesischen Nationalismus.

Harsche Reaktionen aus Peking ließen nicht lange auf sich warten: Eine formale Unabhängigkeitserklärung der Insel, die man als "abtrünnige Provinz" betrachtet, wäre für die Führung der Volksrepublik ein Grund für eine Invasion, hieß es postwendend aus der chinesischen Hauptstadt. Laut Meinungsumfragen unterstützen 97% der chinesischen Bevölkerung den Einsatz von Gewalt, um "die abtrünnige Provinz zu befreien". Auch wenn die Zahlen etwas zurechtgebogen sein mögen, offensichtlich ist, dass die chinesische Führung mit ihrer Linie im Land auf breite Zustimmung stößt. Verteidigungsminister General Chi Haotian reagierte dann auch mit einer eindeutigen Warnung: "Die Volksbefreiungsarmee steht Gewehr bei Fuß, um die territoriale Integrität Chinas zu verteidigen und alle Versuche, das Land zu teilen, zu zerschlagen", verkündete er am 14.7. Seitdem rasselt die Armee mächtig mit dem Säbel. Eliteeinheiten werden in der Provinz Fujian gegenüber von Taiwan zusammengezogen, Manöver abgehalten und bei jedem Schritt peinlich auf eine breite Berichterstattung in den Medien geachtet. Auch fünf Wochen nach Lees Äußerungen haben die Spannungen noch nicht nachgelassen.
In Taiwans Hauptstadt Taipeh versucht man indes, die Sache herunterzuspielen. Lee sei in Peking missverstanden worden, meinte ein führender Politiker. Taiwan halte durchaus am Ziel der Wiedervereinigung fest. Strittig seien allerdings die Bedingungen. Während Peking die Regierung in Taiwan wie eine Provinzregierung behandle, so Koo, habe Lee mit seinem Schritt die Basis für gleichberechtigte Verhandlungen legen wollen.
Dass er dabei hochgepokert hat, dürfte ihm durchaus bewußt gewesen sein. Ähnliche Äußerungen taiwanesischer Politiker hatten bereits 1996 im Vorfeld der Präsidentenwahlen die beiden verfeindeten Brüder an den Rand einer militärischen Konfrontation gebracht. Dennoch arbeitet die Führung der Inselrepublik unermüdlich daran, ihre internationale Isolation zu durchbrechen. Noch in diesem Jahr soll nach Angaben Lees die Wiederaufnahme in die Vereinten Nationen beantragt werden. Bis 1971 hatte Taipeh den Sitz Chinas in der UNO inne. Dann führte die veränderte Zusammensetzung der Weltorganisation dazu, dass es zugunsten der Volksrepublik ausgeschlossen wurde.
Anders als zu Chiang Kai-sheks Zeiten, der 1949 nach dem chinesischen Bürgerkrieg mit seiner Regierung auf die Insel geflohen war, geht es heute nicht mehr um den Alleinvertretungsanspruch für China, sondern darum wie die "Ein-China"-Formel auszulegen ist, die von beiden Seiten bemüht wird. In Taipeh beharrt die regierende Guomindang-Partei darauf, dass es zwei gleichberechtigte Teile gibt. Die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei strebt gar eine formelle Unabhängigkeit an.
Aber auch wenn es an Bekundungen nicht mangelt, dass die Wiedervereinigung friedlich erfolgen soll, wird vor allem auf der Insel kräftig aufgerüstet. 1990 erwarb Taipeh in den USA 150 F-16-Kampfflugzeuge. Das Argument für den Handel war, daß Pekings Kauf von 50 russischen Su-27-Kampfjets ausgeglichen werden müsse. Zur gleichen Zeit kaufte Taiwan allerdings auch 60 französische Mirage ein. Außerdem stellt es eigene Kampfjets her (überwiegend mit importierten US-amerikanischen Komponenten), die nach Angaben von James H. Nolt vom US-amerikanischen World Policy Institute allem, was auf dem Festland hergestellt wird, überlegen sind. Derzeit sind in den USA der Verkauf von Aufklärungsflugzeugen und weiteren F-16-Komponenten geplant. Beschlossen ist bereits die Übernahme der USS Pensacola, eines Truppentransporters der US Navy. Zum 1.10. soll das Schiff, das zuletzt in der Adria im Krieg gegen Jugoslawien im Einsatz war, in den Dienst gestellt werden.
Taiwans Waffenimporte, so Nolt, sind in der vergangenen Dekade mehr als doppelt so groß wie die der Volksrepublik gewesen. Damit nicht genug gab Taipeh im Juli 98 ein Zehn-Jahresprogramm zur Aufrüstung bekannt. In Bau und Entwicklung befinden sich vor allem Radaranlagen mit einer Reichweite von bis zu 1000 Kilometern, Boden-Boden-Raketen, sowie Raketenabwehrsysteme. Schließlich beabsichtigt Taiwans Führung, sich an der Entwicklung des sog. Theater Missile Defense System (TMD) zu beteiligen, dass sich in den USA in einem frühen Teststadium befindet. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Raketenabwehrsystem, das nach dem Willen der US- Militärs in Japan, Südkorea und auf Taiwan stationiert werden soll und in Peking schon für einige Verstimmung gesorgt hat. Eine Stationierung auf der Insel, hatte man bereist vor einigen Monaten wissen lassen, würde als Verletzung der chinesischen Souveränität betrachtet.
Die vielfältigen US-amerikanischen Waffenverkäufe an Taiwan spiegeln den Wandel in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen nach dem Zerfall der Sowjetunion wider. In den 70ern hatte es eine Annäherung zwischen den beiden Ländern auf der Grundlage der gemeinsamen Rivalität mit dem seinerzeitigen Ostblock gegeben. 1979 kam es zur diplomatischen Anerkennung der VR China durch die USA. Washington löste in der Folge seine Militärbasen auf Taiwan auf und zog alle Truppen ab. Seit dem stellen einerseits die US-Regierungen den chinesischen Ein-China-Standpunkt nicht in Frage, andererseits behandeln sie den Inselstaat weiterhin als quasi-unabhängig, auch wenn es keine diplomatischen Beziehungen zu Taipeh mehr gibt. 1982 reduzierte die Reagan-Administration die Waffenlieferungen an Taiwan. Im Gegenzug versprach Peking, Meinungsverschiedenheiten mit Taipeh mit friedlichen Mitteln zu lösen.
Mit dem Ende der Sowjetunion begann sich die Baisis dieser strategischen Partnerschaft aufzulösen. Gab es bis 1989 noch eine militärische Kooperation zwischen den USA und der Volksrepublik, so wurden nach dem Tiananmen-Massaker alle Verträge für die Modernisierung der chinesischen Arsenale durch US-Firmen von der Bush-Administration storniert. Seitdem gibt es keine US- amerikanischen Lieferungen von Militärgütern und dual-use-Technologie in die Volksrepublik mehr. Stattdessen sind wieder vermehrte Waffenlieferungen an Taiwan zu beobachten.
Dabei kann davon ausgegengen werden, dass die Vorfälle auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, wo die chinesische Armee 1989 gegen demonstrierende Oppositionelle vorging, nur der Anlass, nicht aber der Grund für die Aufkündigung der militärischen Zusammenarbeit waren. In der US-amerikanischen Strategiediskussion hat sich seit 1990 ein Konsens herausgebildet, nach dem als eines der obersten amerikanischen Interessen angesehen wird, keine neue Supermacht entstehen zu lassen. Als mögliche Aspiranten werden Rußland und - häufiger - China genannt. (Auch die EU, Deutschland und Japan wurden übrigens als potentielle Gegner ausgemacht.)
Umstritten ist allerdings, welche Rolle China derzeit spielt und welche Entwicklungspotentiale es besitzt. So sind denn in der gegenwärtigen Taiwan-Krise zwei Linien in der amerikanischen Politik klar auszumachen: Auf der einen Seite verhält sich die Clinton-Regierung auffallend neutral und versucht mäßigend auf Taiwan einzuwirken. Auf der anderen Seite gibt es in beiden Häusern des Washingtoner Parlaments eine lautstarke Taiwan-Lobby, die sich nicht nur aus Abgeordneten der Republikaner zusammensetzt. Anfang August besuchte eine US-amerikanische Parlamentarierdelegation, der Mitglieder beider Parteien angehörten, die Inselrepublik. Nach Berichten Hongkonger Zeitungen fand Präsident Lee bei den Besuchern viel Verständnis. Zum Abschluss der Visite erklärte Benjamin Gilmann, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, seine volle Unterstützung für die Politik Taipehs. Lees Äußerungen seien vollkommen gerechtfertigt und die Verantwortung für die gegenwärtige Krise liege allein bei Peking. Gilman versprach gegenüber Journalisten, auf die Clinton-Regierung Druck auszuüben, damit Taiwan von amerikanischer Seite nicht zu Kompromissen mit Peking gezwungen wird.
Der ehemalige US-Vizepräsident Dan Quaile sprach sich bei einem Taiwan-Besuch gegen den Beitritt der Volksrepublik zur Welthandelsorganisation (WTO) aus. Hier ist denn auch der ökonomische Grund für die antichinesische Politik eines Teil des amerikanischen Establishments zu suchen: Während ein Teil der US-amerikanischen Unternehmer auf Zugang zu dem potenziell riesigen chinesischen Markt hofft, versucht auf der anderen Seite eine nicht kleine Industrielobby den US-Markt gegen billig Importe vor allem von Stahl, Textilien und anderen Industriewaren zu schützen. Bisher konnte sich letztere in der US-Regierung durchsetzen, so dass die Verhandlungen trotz weitreichender Zugeständnisse der chinesischen Führung rgebnislos blieben.
Eine andere Stütze hat die pro-Taiwan-Fraktion bei den Militärs und Rüstungsproduzenten. Derzeit wird gegen erheblichen Widerstand der Clinton-Regierung ein von den Abgeordneten Jesse Helms (Republikaner) und Robert Torricelli (Demokraten), die bisher vor allem durch ihre Rhetorik gegen Kuba aufgefallen sind, eingebrachtes Gesetz verhandelt, das die Ausweitung der militärischen Kooperation mit Taiwan dienen soll. Vorgesehen sind unter anderem ein heißer Draht zwischen dem Militär der Insel und dem US- Pazifikkommando und die Belieferung mit Daten von Aufklärungssatelliten.
Auch wenn diese Initiative wahrscheinlich an Clintons Widerstand scheitern wird, so ist doch offensichtlich, dass die Zeit gegen Peking arbeitet. Denn auch unter Clintons Regierung hat es eine Politik der militärischen Einkreisung Chinas gegeben. Bereits 1996 hatte er in Seoul betont, dass die militärische Präsenz in Ostasien auf jeden Fall erhalten bleibt. Derzeit beträgt sie 100000 Mann, davon 37000 in Südkorea und 47000 Mann in Japan. Zudem wurde mit Japan ein neues Verteidigungsabkommen geschlossen. Desweiteren gibt es Flotten- und Hafenabkommen mit Singapur, Hongkong, Thailand, Indonesien, Malaysia und den Philippinen, wobei letzteres dort heiß umstritten ist und noch nicht ratifiziert wurde.
In Peking ist man jedenfalls tief besorgt, dass die gegenwärtigen Spannungen mit Taiwan oder der geplante Raketentest in Nordkorea die USA zum Eingreifen verleiten könnten. In einem Interview mit der Australian Financial Review warnte Chinas Botschafter in Canberra, Zhou Wenzhong, Washington davor, die "Kosovo-Formel" zu wiederholen. "Asien ist nicht Europa", mahnte er und bezweifelte gleichzeitig, dass sich die Verbündeten der USA in der Region einem derartigen Abenteuer anschließen würden.
Wolfgang Pomrehn


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