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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 02.09.1999, Seite 13

No guns, no government

Unionisten mauern in Nordirland

Zur Erinnerung ein kurzer Rückblick. Erleichert registrierte die interessierte Öffentlichkeit das "Good-Friday-Agreement", Ostern 1998. In Irland verbanden beide communities damit die Hoffnung auf einen nicht rückgängig zu machenden Friedensprozess. Die Zeitungen titelten: Endlich Frieden. Skeptische Beobachter analysierten nüchterner die Ereignisse. Sie behielten (leider) Recht.
Der nordirische Friedensprozess liegt seit Monaten auf Eis. Eine neue Runde der Friedensgespräche mit Vertretern aller Parteien unter Leitung des früheren US-Senators George Mitchell beginnt am 6.September in Belfast. Ziel ist ein Kompromiss als Voraussetzung für die Bildung eines Kabinetts und die Entwaffnung der IRA.
Die Macher in London und Dublin stolperten von Ultimatum (zur Umsetzung des Friedensabkommens) zu Ultimatum: 10.März, 29.März, 30.Juni, 15.Juli. Die Unionisten ließen alle Termine verstreichen, ohne ihren Widerstand aufzugeben. Der Streit dreht sich hauptsächlich um die Frage der Entwaffnung der Paramilitärs.
"Decommissioning" ist schon seit Beginn der Verhandlungen das Hauptargument unionistischer Parteien, nationalistischen Vertretern die Partizipation an parlamentarischer Macht zu verwehren. Dabei ist im Friedensabkommen unzweideutig festgehalten, dass die Entwaffnung bis zum Mai 2000 zu erfolgen hat, ohne einen konkreten Beginn zu datieren.
Die unionistische Blockadepolitik zeigte Wirkung in der Republik. Am 3.Juni sind die irischen Verfassungsparagrafen wieder in Kraft getreten, in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird. 1998 hatte eine Mehrheit im Referendum für die Streichung der Paragrafen gestimmt. Dies war jedoch an Fortschritte bei der Umsetzung des Karfreitagsabkommens binnen eines Jahres gebunden.
ATAT steht für "All Taigs Are Targets" - alle Taigs (Katholiken) sind Ziele. Täglich gibt es loyalistische Attacken - Schmierereien, niedergetretene Zäune, beschädigte Autos, Feuerwerkskörper durch den Briefschlitz, direkte Bombenattacken. In den letzten zwölf Monaten zehn Morde und 300 Familienvertreibungen. Besonders in den loyalistischen Hochburgen wie Larne, Carrickfergus, Antrim und Nord-Belfast wird diese "ethno-konfessionelle Kampagne" (Irish Times) ungebrochen praktiziert.
Neben den traditionellen Paramilitärs und ihren Verbündeten wie die neofaschistische Organisation Combat 18 sowie die British National Party bilden sich neue Terrorgruppen wie "Brigade des Schwarzen Freitags" und Red Hand Defenders. Seit dem Waffenstillstand der IRA steht die nationalistische community diesen Angriffen relativ schutzlos gegenüber.
"Die Freilassung unserer politischen Gefangenen ist notwendige Voraussetzung für den Friedensprozeß", verkündete Gerry Adams während der Verhandlungen zum Friedensabkommen. Eine Friedensstudie der Universität Bradford stellte fest, daß die Freilassung der politischen Gefangenen "einen entscheidenden Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg des Friedensprozesses" hat.
Gegen den Widerstand der unionistischen Parteien wurde das Freilassungsprogramm in das Abkommen aufgenommen. Seit September 1998 wurden 277 Gefangene vorzeitig entlassen. Bis zum 28.Juli 2000 soll das Programm abgeschlossen sein. Jüngste unionistische Vorstöße, das Programm auszusetzen, wären für die republikanische Bewegung nicht akzeptabel und würden zu einem Kollaps des Friedensprozesses führen.
Der parteienübergreifende Orange Order (Oranierorden) hatte allein für Juli über 1000 Märsche angekündigt. Ihr Hit war der vom 24.Juni (Derry) bis zum 4.Juli (Portadown) durchgeführte "lange Marsch" quer durch die Provinz, "um die Aufmerksamkeit auf die Benachteiligung der protestantischen Gemeinde zu lenken". Inhaltlich eine Lachnummer, hatte diese Aktion die Funktion, die Stimmung gegen die Umsetzung des Karfreitagabkommens anzuheizen.
Ohnehin setzt die Langzeitplanung des Ordens auf Spannung. So wollen sie ihre Belagerung von Drumcree Hill bis 2001 fortsetzen. Erwartungsgemäß führten die bisher gelaufenen Märsche zu einem Mix von Verboten, heftigen Auseinandersetzungen zwischen Unionisten und der paramilitärischen RUC sowie brutalen Attacken der Sicherheitskräfte auf Sitzblockaden katholischer EinwohnerInnen.
Die republikanische Partei Sinn Féin konnte bei der Europawahl ihren Stimmenanteil nahezu verdoppeln und das bisher beste Wahlergebnis einfahren. Dies belegt eindrucksvoll, daß die republikanische Bewegung in den six counties voll hinter dem Waffenstillstand der IRA und der Position von Sinn Féin im Friedensprozess steht.
Innerhalb der IRA zeichnet sich ein Konflikt um die bis Mai 2000 avisierte Entwaffnung ab. Vor allem die südirischen IRA-Einheiten werden ihre Arsenale nicht aufgeben. Sie sind noch immer der physical force tradition verbunden und werden sich nach der Waffenabgabe der Mehrheits-IRA neu gruppieren.
Es ist zu erwarten, dass es in Zukunft neben einer politischen Ablehnung des Friedensprozesses auch eine militante Kritik daran geben wird, allerdings auf äußerst niedrigem Niveau. Für die überwältigende Mehrheit der Bewegung ist die Rückkehr zum Guerillakrieg keine Alternative mehr.
Nach der jüngsten Umfrage würden nur noch 41% der unionistischen Wähler dem Karfreitagsabkommen zustimmen. Und bei den Europawahlen konnte der klerikal-faschistische UUP-Führer Paisley zum fünften Mal in Folge die meisten Erststimmen einsammeln.
In der UUP sammeln sich die "Falken" um den jungen Hardliner Jeffrey Donaldson und dem Parteivize John Taylor. Vor diesem Hintergrund entfaltete UUP-Chef und Friedensnobelpreisträger Trimble eine rhetorische Kampagne. Er forderte die britische Nordirland- Ministerin Mo Mowlan zum Rücktritt auf, weil sie "das Vertrauen der Unionisten verspielt" habe.
Die Einbeziehung von Sinn-Féin-Ministern würde bedeuten, "Terroristen in das Herz der Regierung zu lassen", Tony Blair beginne "seine Klarsicht zu verlieren". Dafür wurde er in der unionistischen Gemeinde für seine "typisch protestantische Beharrlichkeit" hochgejubelt. Es haben sich hier wieder die Kräfte durchgesetzt, denen die Schlachten von gestern lieber sind als die Friedenstauben von heute.
Paul Stern


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