Sozialistische Zeitung |
Zur Erinnerung ein kurzer Rückblick. Erleichert registrierte die interessierte Öffentlichkeit das
"Good-Friday-Agreement", Ostern 1998. In Irland verbanden beide communities damit die Hoffnung auf einen nicht
rückgängig zu machenden Friedensprozess. Die Zeitungen titelten: Endlich Frieden. Skeptische Beobachter analysierten
nüchterner die Ereignisse. Sie behielten (leider) Recht.
Der nordirische Friedensprozess liegt seit Monaten auf Eis. Eine neue Runde der Friedensgespräche mit Vertretern aller Parteien unter
Leitung des früheren US-Senators George Mitchell beginnt am 6.September in Belfast. Ziel ist ein Kompromiss als Voraussetzung
für die Bildung eines Kabinetts und die Entwaffnung der IRA.
Die Macher in London und Dublin stolperten von Ultimatum (zur Umsetzung des Friedensabkommens) zu Ultimatum: 10.März,
29.März, 30.Juni, 15.Juli. Die Unionisten ließen alle Termine verstreichen, ohne ihren Widerstand aufzugeben. Der Streit dreht sich
hauptsächlich um die Frage der Entwaffnung der Paramilitärs.
"Decommissioning" ist schon seit Beginn der Verhandlungen das Hauptargument unionistischer Parteien, nationalistischen
Vertretern die Partizipation an parlamentarischer Macht zu verwehren. Dabei ist im Friedensabkommen unzweideutig festgehalten, dass die
Entwaffnung bis zum Mai 2000 zu erfolgen hat, ohne einen konkreten Beginn zu datieren.
Die unionistische Blockadepolitik zeigte Wirkung in der Republik. Am 3.Juni sind die irischen Verfassungsparagrafen wieder in Kraft getreten,
in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird. 1998 hatte eine Mehrheit im Referendum für die Streichung der Paragrafen gestimmt.
Dies war jedoch an Fortschritte bei der Umsetzung des Karfreitagsabkommens binnen eines Jahres gebunden.
ATAT steht für "All Taigs Are Targets" - alle Taigs (Katholiken) sind Ziele. Täglich gibt es loyalistische Attacken -
Schmierereien, niedergetretene Zäune, beschädigte Autos, Feuerwerkskörper durch den Briefschlitz, direkte
Bombenattacken. In den letzten zwölf Monaten zehn Morde und 300 Familienvertreibungen. Besonders in den loyalistischen Hochburgen
wie Larne, Carrickfergus, Antrim und Nord-Belfast wird diese "ethno-konfessionelle Kampagne" (Irish Times) ungebrochen
praktiziert.
Neben den traditionellen Paramilitärs und ihren Verbündeten wie die neofaschistische Organisation Combat 18 sowie die British
National Party bilden sich neue Terrorgruppen wie "Brigade des Schwarzen Freitags" und Red Hand Defenders. Seit dem
Waffenstillstand der IRA steht die nationalistische community diesen Angriffen relativ schutzlos gegenüber.
"Die Freilassung unserer politischen Gefangenen ist notwendige Voraussetzung für den Friedensprozeß",
verkündete Gerry Adams während der Verhandlungen zum Friedensabkommen. Eine Friedensstudie der Universität
Bradford stellte fest, daß die Freilassung der politischen Gefangenen "einen entscheidenden Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg des
Friedensprozesses" hat.
Gegen den Widerstand der unionistischen Parteien wurde das Freilassungsprogramm in das Abkommen aufgenommen. Seit September 1998
wurden 277 Gefangene vorzeitig entlassen. Bis zum 28.Juli 2000 soll das Programm abgeschlossen sein. Jüngste unionistische
Vorstöße, das Programm auszusetzen, wären für die republikanische Bewegung nicht akzeptabel und würden zu
einem Kollaps des Friedensprozesses führen.
Der parteienübergreifende Orange Order (Oranierorden) hatte allein für Juli über 1000 Märsche angekündigt. Ihr
Hit war der vom 24.Juni (Derry) bis zum 4.Juli (Portadown) durchgeführte "lange Marsch" quer durch die Provinz, "um
die Aufmerksamkeit auf die Benachteiligung der protestantischen Gemeinde zu lenken". Inhaltlich eine Lachnummer, hatte diese Aktion
die Funktion, die Stimmung gegen die Umsetzung des Karfreitagabkommens anzuheizen.
Ohnehin setzt die Langzeitplanung des Ordens auf Spannung. So wollen sie ihre Belagerung von Drumcree Hill bis 2001 fortsetzen.
Erwartungsgemäß führten die bisher gelaufenen Märsche zu einem Mix von Verboten, heftigen Auseinandersetzungen
zwischen Unionisten und der paramilitärischen RUC sowie brutalen Attacken der Sicherheitskräfte auf Sitzblockaden katholischer
EinwohnerInnen.
Die republikanische Partei Sinn Féin konnte bei der Europawahl ihren Stimmenanteil nahezu verdoppeln und das bisher beste
Wahlergebnis einfahren. Dies belegt eindrucksvoll, daß die republikanische Bewegung in den six counties voll hinter dem
Waffenstillstand der IRA und der Position von Sinn Féin im Friedensprozess steht.
Innerhalb der IRA zeichnet sich ein Konflikt um die bis Mai 2000 avisierte Entwaffnung ab. Vor allem die südirischen IRA-Einheiten
werden ihre Arsenale nicht aufgeben. Sie sind noch immer der physical force tradition verbunden und werden sich nach der Waffenabgabe der
Mehrheits-IRA neu gruppieren.
Es ist zu erwarten, dass es in Zukunft neben einer politischen Ablehnung des Friedensprozesses auch eine militante Kritik daran geben wird,
allerdings auf äußerst niedrigem Niveau. Für die überwältigende Mehrheit der Bewegung ist die Rückkehr
zum Guerillakrieg keine Alternative mehr.
Nach der jüngsten Umfrage würden nur noch 41% der unionistischen Wähler dem Karfreitagsabkommen zustimmen. Und bei
den Europawahlen konnte der klerikal-faschistische UUP-Führer Paisley zum fünften Mal in Folge die meisten Erststimmen
einsammeln.
In der UUP sammeln sich die "Falken" um den jungen Hardliner Jeffrey Donaldson und dem Parteivize John Taylor. Vor diesem
Hintergrund entfaltete UUP-Chef und Friedensnobelpreisträger Trimble eine rhetorische Kampagne. Er forderte die britische Nordirland-
Ministerin Mo Mowlan zum Rücktritt auf, weil sie "das Vertrauen der Unionisten verspielt" habe.
Die Einbeziehung von Sinn-Féin-Ministern würde bedeuten, "Terroristen in das Herz der Regierung zu lassen", Tony
Blair beginne "seine Klarsicht zu verlieren". Dafür wurde er in der unionistischen Gemeinde für seine "typisch
protestantische Beharrlichkeit" hochgejubelt. Es haben sich hier wieder die Kräfte durchgesetzt, denen die Schlachten von gestern
lieber sind als die Friedenstauben von heute.
Paul Stern