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Mehr als 450 Gewerkschaftsmitglieder drängten sich am vergangenen Samstag im größten
Saal des Frankfurter Gewerkschaftshauses, um dort ihre Perspektiven nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu erörtern. Die
Sitzplätze reichten nicht aus, die Zuhörer nahmen auf dem Boden Platz oder blieben im Foyer stehen. Das waren weit mehr
Teilnehmer, als die Veranstalter der bundesweiten Konferenz - unter ihnen Landesverbände der IG Medien und HBV, der
Bundesvorstand der Deutschen Journalistenunion sowie zahlreiche unabhängige Gewerkschaftsinitiativen - erwartet hatten.
"Nie wieder Krieg", hieß die Parole des Deutschen Gewerkschaftsbunds nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl sie auch heute
immer noch Bestandteil des Grundsatzprogramms ist, hatte der DGB dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien zugestimmt. Nicht wenige
Gewerkschaftsfunktionäre hätten daraufhin die Position des DGB übernommen, so Sabine Leidig, DGB-Kreisvorsitzende in
Karlsruhe und Kriegsgegnerin. "Es wurde kaum diskutiert, die Basis war verunsichert", schildert sie weiter.
Diskutiert haben die Kriegsgegner nun in Frankfurt. Viele Gewerkschafter waren mit der Hoffnung gekommen, die Tagung der
Gewerkschaftslinken würde Druck auf den DGB ausüben, der anlässlich des Antikriegstags am 1.September seine
befürwortende Haltung erneut bekräftigt hatte. Mit ihrer Unterschrift unter einen unabhängig von den Bundesgremien der
DGB-Gewerkschaften initiierten Aufruf gegen den Balkankrieg hatten seit April 15.000 Gewerkschafter an die antimilitaristische
Gewerkschaftstradition angeknüpft.
Nach zwei Eingangsreferaten zum Thema "Kriegsursachen - neue Weltordnung" des Marburger Politikwissenschaftlers Frank
Deppe und des Hamburger Friedensforschers Dieter Lutz gab es zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum, die für eine lebhafte
Debatte sorgten.
"Der NATO ging es nie um Menschenrechte", widersprach Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung der
Ansicht des Hamburger Friedensforschers. Vielmehr hätten geostrategische Interessen eine zentrale Rolle gespielt. Nach Ansicht
Pflügers gebe es mit dem Ausbau der Krisenreaktionskräfte "effektive Mehrausgaben für Militär" unter der
neuen Bundesregierung. "Warum sind die Gewerkschaften immer noch loyal gegenüber dieser neoimperialistischen
Regierung?", verabschiedete sich Pflüger vom Mikrofon. Der Applaus übertraf deutlich den für die Referenten. Mit
seinem Vorstoß blieb er nicht allein, weitere Tagungsteilnehmer forderten von den Gewerkschaftsführungen die
"Regierungshörigkeit aufzugeben" oder "Front gegen die Regierung" zu machen.
"Was kostet der Krieg und wer bezahlt ihn?" war die Fragestellung, mit der sich der Bremer Ökonom Jörg Huffschmid
am frühen Nachmittag beschäftigte.
Er wies die Ansicht einiger Teilnehmer zurück, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Krieg und dem Abbau sozialer
Systeme gibt. Einige hatten die These aufgestellt, die "Politik der Sozialstreichungen" sei die "Fortsetzung des Krieges".
"Eine Sparpolitik hätte es auch ohne Krieg gegeben", korrigierte Huffschmid. Sie erfahre aber durch den Krieg eine
"neue Verschärfung". Eine Gewerkschafterin der ÖTV Frankfurt betonte allerdings, dass sowohl Sozialabbau als auch
Krieg "Bestandteile des kapitalistischen Krisenmanagements" seien.
Der Mehrheit der Anwesenden erschien der Zusammenhang zwischen Sozialabbau, Kriegsführung und Aufrüstung als wichtiges
Interventionsfeld. Immer wieder brachten Rednerinnen und Redner die Sprache auf das geplante Sparpaket, das es zu kippen gelte. Manche
schlugen vor, sich auf ein traditionelles gewerkschaftliches Kampfmittel zu besinnen: den Streik. Nicht nur diese Vorschläge, auch die
nach einem gemeinsamen Appell, fanden keine Resonanz bei den Organisatoren auf dem Podium. Die Moderatorin erklärte, ein solcher
Appell könne nur von den Einzelgewerkschaften verabschiedet werden, in die dieser Vorschlag hineingetragen werden solle.
"Damit hat die Konferenz keine politischen Konsequenzen", kommentiert ein Mitglied der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
die Haltung der Moderatorin. Denn seine Gewerkschaft ist dafür bekannt, dass sie den DGB allenfalls von rechts unter Druck
setzt.
Um gewerkschaftliche "Antworten auf die neue Weltordnung" ging es im Schlussplenum. Michael Sommer, stellvertretender
Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft, sieht die kriegsbefürwortende Haltung vieler Gewerkschafter als Folge einer
"Desinformationskampagne" an; Horst Schmitthenner, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall, hat
während des Krieges persönlich die "bittersten Erfahrungen in der Gewerkschaftsarbeit" gemacht. Viele kritisieren
auch die mangelnde Aktivität in den Betrieben. Für Berthold Balzer, Landesvorsitzender der IG Medien in Hessen, liegt die
Begründung auf der Hand: Der NATO-Krieg war auf Betriebsversammlungen kein Thema.
Man müsse mit gesellschaftspolitischen Themen der "Entpolitisierung der Gewerkschaften entgegenwirken", sich wieder den
"Mut aneignen, ‚Nein zu sagen" und gewerkschaftliche Grundsätze "reaktivieren", lauteten die Rezepte der
Referenten. Welche konkreten Schritte dabei zu gehen sind, ließen mit einer Ausnahme alle Podiumsteilnehmer offen. Nur Frank Spieth,
Vorsitzender des ostdeutschen DGB-Landesbezirks Thüringen, sprach sich für "gewerkschaftliche Autonomie auch
gegenüber einer sozialdemokratischen Regierung" aus und fordert die Gewerkschaften auf, sich zwischen "Co-Management
und Gegenmacht" zu entscheiden.
Jakob Moneta, der frühere Chefredakteur der auflagenstarken IG-Metall-Mitgliederzeitschrift, führte den "geringen
Widerstand in den Betrieben" auf die "Hegemonie des Neoliberalismus in den Köpfen" und der entsprechend
aggressiven Außenpolitik zurück. Als historisches Beispiel für die einzig legitime Intervention von außen bezog er sich
auf die Internationalen Brigaden, die Ende der 30er Jahre die spanische Republik im Kampf gegen die Franco-Faschisten unterstützten.
Weitere Redebeiträge aus dem Publikum machten den Vorschlag, Reperationszahlungen für Jugoslawien und Kosovo in den
Forderungskatalog aufzunehmen. Wolfram Treiber vom Karlsruher Arbeitskreis Internationalismus beantragte, die Konferenz möge sich
öffentlich gegen die Kriminalisierung von Kriegsgegnern aussprechen.
Doch die Moderatoren aus dem Umfeld der Hamburger Zeitschrift Sozialismus wollten keine Resolution und keine konkreten Schritte
beschließen. Der Entwurf für einen "Frankfurter Appell", eingebracht von einigen Betriebsräten der IG Metall,
forderte zur Vorbereitung "massiver Proteste" gegen "Sparpolitik" und "Großmachtinteressen" auf und
wurde schon im vorbereitenden Arbeitsausschuss abgelehnt. Für die Moderatoren war es vielmehr von Bedeutung, den "Prozess
der Verständigung der Gewerkschaftslinken" mit diesem Treffen endlich ein Stück vorangebracht zu haben. Erst auf einem
weiteren Treffen Anfang Dezember in Stuttgart wollen sie eine linksgewerkschaftliche "Position zur Bundesregierung"
bestimmen.
Gerhard Klas