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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 30.09.1999, Seite 13

Indonesien

Vor einem neuen Putsch?

Die massive und gewalttätige Kampagne gegen die osttimoresische Bevölkerung von Seiten der indonesischen Militärs, Polizei und Pro-Jakarta-Milizen nach dem überwältigenden Sieg der Befürworter von Osttimors Unabhängigkeit beim Referendum vom 30.August hat in Indonesien eine neue politische Krise ausgelöst.
Die Niederlage der Unabhängigkeitsgegner beim Referendum und ihre anschließende Politik der Massaker und der verbrannten Erde fällt mit einem wachsenden Druck auf das indonesische Militär zusammen, der darauf abzielt, die Rolle der Armee im politischen Leben des Landes zu beschränken.
Dieser Druck äußert sich in zweifacher Weise: im Kampf für die Entmilitarisierung der Provinz Aceh (Nordsumatra) und im Kampf gegen ein neues Gesetz zur Staatssicherheit, das der Verteidigungsminister und kommandierende General der Streitkräfte, Wiranto, vorgeschlagen hat.
Nahezu alle politischen Kräfte haben gefordert, das Staatssicherheitsgesetz so zu ändern, dass kein Ausnahmezustand erklärt werden kann, bei dem die Armee ohne Ratifizierung durch das Parlament besondere politische Vollmachten erhält.*
Mit der UNO-Intervention in Osttimor wurde die politische Elite Indonesiens zunehmend polarisiert. Diese Polarisierung hat nicht nur mit der schrecklichen Lage in Osttimor zu tun, sondern auch mit der Angst vor einem Militärputsch oder der wachsenden Macht des Militärs. Die Unterstützung für oder die Opposition gegen das von Wiranto vorgeschlagene Ermächtigungsgesetz ist mit der Frage des Blauhelmeinsatzes in Osttimor verknüpft.
Zu den Gegnern einer UNO-Intervention gehörte die Kerngruppe der Suharto-Anhänger in der Regierung Habibie. Neben Wiranto zählen vor allem Außenminister Ali Alatas und der Innenminister, General Syarwan Hamid, dazu. Es besteht kein Zweifel, dass die Demonstrationen der letzten Wochen gegen die "ausländische Einmischung" von dieser Gruppe gesteuert wurden, zusammen mit den Aktivitäten ultrarechter Kräfte.
Diese mit dem Suharto-Clan verbundenen Kräfte haben immer noch einen starken Einfluss auf die Armee und die Geheimdienste, und sie sind fähig, ihre wirtschaftlichen und politischen Privilegien, die in der aktuellen Krise auf dem Spiel stehen, gewaltsam zu verteidigen. Sie versuchen anscheinend auf einer nationalistischen Welle wieder in das Zentrum der Macht zu gelangen.
Der Versuch, nationalistische Gefühle gegen die "Einseitige Haltung der UNO", die "australische Arroganz" u.ä. zu entfachen, ist bisher nicht durchschlagend gewesen. Während der Eindruck einer antiwestlichen Stimmung geweckt wird, gab es bisher keine massiven fremdenfeindlichen Mobilisierungen.
Alle Teile der politischen Elite - ob an der Macht oder nicht - haben Probleme mit dieser Strategie Unterstützung für den militärischen Terror in Osttimor zu gewinnen. Alle Teile dieser Elite sind mit den imperialistischen Machtzentren in Washington, Tokyo und London verbunden. Die großen politischen Parteien haben bereits ihre Unterstützung für das Sparpaket des Internationalen Währungsfonds versprochen.
Die Tatsache, dass die Kreise um Wiranto und Alatas beim Entfachen chauvinistischer Stimmungen nur teilweise erfolgreich waren, zeigt sich auch in der zunehmenden Unterstützung einer Reihe politischer Kräfte und Persönlichkeiten für eine die indonesische Armee in Osttimor ablösende UN-Friedenstruppe. So sprach sich Amien Rais, der Führer der Nationalen Mandatspartei (PAN), am 10.September gegen die Verhängung des Kriegsrechts in Osttimor aus, "da diese Region seit dem Referendum kein Teil Indonesiens mehr ist. Wenn das Ziel darin besteht, die Sicherheit der Region zu gewährleisten, so kann dies am besten durch eine internationale oder UNO-Streitmacht geschehen." Rais rief die indonesische Gesellschaft auf zu akzeptieren, dass die Bevölkerung Osttimors die Unabhängigkeit will, auch wenn dies eine bittere Enttäuschung sein mag.
Am selben Tag erklärte der Vorsitzende der Partei des Nationalen Erwachens (PKB), Matori Abdul Djalil, dass die Regierung in der Osttimor-Frage offener sein solle. Der Wunsch der UNO, Blauhelmsoldaten nach Osttimor zu schicken, sei verständlich und dürfe angesichts der ungewissen Lage in Osttimor nicht abgelehnt werden.
Abdurrahman Wahid, Chef der islamischen Massenorganisation Nadhlatul Ulama, drückte ebenfalls seine Unterstützung für UNO-Friedenstruppen aus, doch dürfe Australien sich daran nicht beteiligen, da es die Unabhängigkeit Osttimors zu sehr unterstützt hätte (während in Wirklichkeit die Regierungen in Canberra bisher die stärksten Pfeiler Suhartos und seine Osttimor-Politik waren).
Die Unterstützung der UNO-Intervention durch PAN und PKB ist eine bedeutende Entwicklung, weil diese beiden Parteien eine Schlüsselrolle bei der Wahl des neuen Präsidenten spielen und eine neue Regierung bilden könnten.
Eine schwankende Haltung nehmen Megawati Sukarnoputri und ihre Demokratische Partei Indonesiens (PDI-P) - die Siegerin der Parlamentswahlen vom Mai diesen Jahres - ein. Wenngleich Megawati erklärt hat, dass sie das Ergebnis des Referendums vom 30.August respektieren würde, hat sie sich zu einer UNO-Intervention nicht klar geäußert. Anscheinend gibt es in dieser Frage Differenzen in der Partei. Megawati hatte Habibie heftig angegriffen, weil dieser dem Referendum zugestimmt hatte, da diese verfrühte Entscheidung erst zum Chaos in Osttimor geführt habe.
Auf diese Weise will Megawati die Verantwortung von Wiranto und der Armee ablenken. Sie hat ein deutliches Interesse, Habibie so weit wie möglich politisch zu schaden, da er ihr größter Rivale für die Präsidentschaft im November ist und sie sich die Unterstützung der Armee sichern will.
Megawati vertritt die Auffassung, dass Osttimor eine legitime Provinz Indonesiens ist, so dass für das Referendum ein spezielles Gesetz erforderlich gewesen wäre. Damit leugnet sie die Illegalität der blutigen Invasion von 1975. Ihre Haltung hat die Position Wirantos und der Armee gestärkt und es dieser dadurch erleichtert, die Milizen aufzustellen und zu decken, die in Osttimor die Massaker verübt haben.
Während bürgerliche Oppositionsparteien wie die PKB und die PAN über öffentliche Stellungnahmen nicht hinausgegangen sind, gab es Demonstrationen und Kundgebungen von Menschenrechtsgruppen und radikalen Kräften wie der Demokratischen Volkspartei (PRD), die das Staatssicherheitsgesetz ablehnen und einen Rückzug der indonesischen Truppen aus Osttimor forderten.
Am 9.September kam es bspw. in Jakarta zu Zusammenstößen zwischen 2000 Demonstranten und der Polizei. Am selben Abend wurde auf die Zentrale der PRD ein Brandanschlag verübt. Auch indonesische Gewerkschafter haben ihre Solidarität mit Osttimor zum Ausdruck gebracht: insbesondere die radikale Gewerkschaft FNPBI, deren Vorsitzende Dita Sari kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat in einer Erklärung vom 11.September den Rückzug der indonesischen Streitkräfte und die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe gefordert.
Max Lane/d.Red.

* Am 23.September - unmittelbar vor seiner Ablösung durch das im Mai gewählte Parlament - verabschiedete das alte, noch unter Suharto gebildete indonesische Parlament den von General Wiranto eingebrachten Gesetzesvorschlag zur Inneren Sicherheit. Darin werden dem Militär weitgehende Notstandsbefugnisse eingeräumt, ohne dass es dem Parlament Rechenschaft schuldet: das Militär kann in eigener Verantwortung den Ausnahmezustand über die Nation verhängen und die Freiheitsrechte weitgehend ausschalten; z.B. sind dann Pressezensur und Verhaftungen ohne richterliche Kontrolle möglich. Die Opposition nannte das neue Gesetz "faschistisch". PAN-Führer Amien Rais äußerte, dass die mit dem Sturz Suhartos erwirkten demokratischen Freiheiten nun aufgehoben werden. Die Gefahr eines Putsches ist damit akut geworden.


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