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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 30.09.1999, Seite 14

"Schulen des Hasses"

Im Fischer Taschenbuch Verlag ist im Mai 1999 das Buch Schulen des Hasses. Faschistische Systeme in Europa von Jerzy W. Borejsza erschienen. Der 1935 in Warschau geborene Autor studierte Geschichte und Russisch und lehrte als Professor am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften und an der Universität Warschau. Viele Jahre forschte er in Archiven in der Sowjetunion, in Deutschland, Italien, Frankreich und den meisten osteuropäischen Ländern und lehrte an verschiedenen Hochschulen außerhalb Polens, darunter von 1991 bis 1996 in Paris.
"Nicht ohne Grund wird im Rahmen der ‚Europäischen Geschichte‘ eine Darstellung der faschistischen Systeme aus der Sicht eines Angehörigen einer verfolgten Nation vorgelegt", heißt es im Vorspann des Buches. "Borejsza gilt als der wohl beste polnische Kenner der Materie. Der Faschismus war die schwärzeste Epoche unseres Jahrhunderts. Er gipfelte in einem beispiellosen Ausbruch an Gewalt. Der millionenfache Mord an der jüdischen Bevölkerung, der brutalen Verfolgung und Ermordung Andersdenkender und ein blutiger Krieg mit unzähligen Opfern sind die Bilanz des deutschen Nationalsozialismus."
Der Autor zeigt nicht nur die Merkmale faschistischer Regime auf. Er geht auch auf Entwicklungen in den einzelnen Ländern ein, in denen es faschistische, autoritäre, totalitäre und diktatorische Regierungen oder Bewegungen in Europa gab. Er weist auf neueste Forschungsergebnisse hin und wendet sich gegen die bis heute verbreitete Auffassung, dass der italienische Faschismus keine Merkmale von massenhaftem Völkermord aufweise, im Gegensatz zum deutschen Faschismus.
"Erst in den letzten Jahren brachte die Publikation von Angelo Del Boca den offensichtlichen Rassismus und die Massenexekutionen, die seit 1936 in Äthiopien stattfanden, wieder ans Tageslicht. Liest man die Instruktionen Mussolinis und die Rapporte von Marschall Graziani aus Addis Abeba, in denen Formulierungen wie ,totale Eliminierung‘ zu finden sind, wird deutlich, dass der italienische Faschismus keineswegs frei war von verbrecherischem Massenmord", so Borejsza. "Dennoch sind seine Verbrechen in den eroberten Gebieten von Albanien, Griechenland und Jugoslawien weiterhin unzureichend bekannt."
Weiter beschäftigt sich das Buch mit der Erforschung und Analyse, Entstehung und Entwicklung des Faschismus im 20.Jahrhundert in Europa. Der Verfasser zieht Vergleiche, zeigt Trennendes und Gemeinsames auf. Ein Teil befasst sich mit den Unterschieden zwischen Faschismus, Nationalismus und Bolschewismus und der Autor geht der Frage nach, ob sich diese Systeme unter dem Begriff des Totalitarismus zusammenfassen lassen.
Er hält Vergleiche und das Herausfinden von Gemeinsamkeiten zwischen dem italienischen Faschismus, dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus am ehesten für angebracht. Den Bolschewismus grenzt er ein auf die Zeit der Oktoberrevolution bis zur völligen Festigung der Macht Stalins 1928 ein. Über die alten Bolschewiki und Lenin schreibt er: "Ihm standen die Guillotine der Niederlagen von 1794, der Galgen, an dem sein Bruder auf Befehl von Zar Alexander III. gehängt worden war, und die Qualen der Arbeiter am Fluss Lena vor Augen … Die Erfahrungen der russischen Revolution von 1905 lehrten ihn und die gesamte Generation der alten Bolschewiki, dass eine Niederlage gleichbedeutend mit dem Tod war. Diese historische Erinnerung gehört zu den Wurzeln des bolschewistischen Terrors. Aber der Generation Lenins und Trotzkis schwebte eine internationale Revolution, eine permanente Revolution, der Kampf gegen Nationalismus und Rassismus und die Verwirklichung der alten Parolen von sozialer Gleichheit des Sozialismus im 19.Jahrhundert vor."
Borejsza stellt den aktuellen Bezug her: "Aus der Perspektive des zu Ende gehenden Jahrhunderts scheint die Zeit des Faschismus nicht unwiderruflich abgeschlossen zu sein. Ich meine hier nicht die gewöhnliche Wiederholbarkeit von Erscheinungen, die die Historiker zuweilen sich selbst und ihren Lesern vorgaukeln. Ich sehe vielmehr die Möglichkeit einer Entwicklung von abgeleiteten, verwandten und ähnlichen Bewegungen und Regimen … Die Nationalismen eines Großteils der Bevölkerung in den einzelnen Ländern des ehemaligen Jugoslawien, die mit einer nationalen Massenmobilisierung durch rassistische, bis hin zum Völkermord gehende Losungen und mit einer allgemeinen Brutalisierung des Lebens auf dem Balkan einhergehen, nähern sich deutlich den faschistischen Vorbildern an."
Bei der Lektüre von Schulen des Hasses wird deutlich, wie inflationär der Begriff Faschismus bei uns, und nicht nur in der Linken, gebraucht wird. Das Werk ist nicht bloß ein wissenschaftlich-historischer Abriss, es ist auch ein lebendiges Geschichtsbuch unseres Jahrhunderts bis in die Gegenwart.
"Das 19. Jahrhundert ging als Jahrhundert der Demokratie, des Fortschritts und der Hoffnung auf die Entfaltung der Menschlichkeit in die Geschichte ein. Das zu Ende gehende 20.Jahrhundert wird das Jahrhundert des Totalitarismus und der technologischen Revolution sein. Die technologische Revolution hat dem Totalitarismen die Vernichtung unserer Welt erleichtert. Wird nach dem Jahr 2000 das Jahrhundert der Vernichtung kommen?"
Hans Peiffer

Jerzy W. Borejsza, Schulen des Hasses. Faschistische Systeme in Europa, Frankfurt/M. (Fischer Taschenbuch Verlag) 1999; 28,90 DM.


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