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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 14.10.1999, Seite 3

Die "verschwundenen" Gewerkschafter von Mercedes Benz

Daimler hilft bei Folter und Mord

"Erst werden wir die Subversiven töten, dann ihre Kollaborateure, dann ihre Sympathisanten, danach die Indifferenten, und zum Schluss die Lauen."

(Brigadegeneral Ibérico Manuel Saint Jean, 1977)

"Ja, wer sich einigermaßen auskannte in Argentinien, der wusste, dass gegen jede menschlichen Sinne, gegen jedes Menschenrecht Leute beseitigt wurden."

Werksleiter der Daimler-Niederlassung in González Catán, Juan Tasselkraut, 1999

Im Januar 1977 zerschlugen Militär und Polizei die unabhängige Gewerschaftsorganisation im Mercedes-Benz-Werk von González Catán in der Nähe der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Nacheinander verhafteten sie neun der aktivsten und bekanntesten Mitglieder. Acht davon sind nie wieder aufgetaucht. Sie gehören zu den 30.000 "Verschwundenen", die während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 in den Folterkellern ermordet wurden.
Auf "Mord, Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung" lautet nun eine Anzeige gegen Juan Tasselkraut, den ehemaligen Werksleiter der Mercedes-Benz-Niederlassung. Sie wurde letzte Woche von Wolfgang Kaleck im Namen des Republikanischen Anwaltsvereins in Berlin der Staatsanwaltschaft eingereicht. Angezeigt wurden außerdem Jorge Rafael Videla, ehemaliger Oberkommandierender des Heers, Emilio Eduardo Massera, Ex-Chef der Seestreitkräfte Argentiniens, sowie namentlich unbekannte "Verantwortliche bei Mercedes Benz, heute DaimlerChrysler im Muttersitz des Konzerns in Untertürkheim, Deutschland".
Die Recherchen der in Argentinien lebenden Journalistin Gaby Weber haben diese Anzeige möglich gemacht. Nach den Zeugenaussagen, die sie gesammelt hat, scheint offensichtlich, dass Juan Tasselkraut und die Mercedes-Werksleitung mit den Militärs bei der Beseitigung der unbequemen Gewerkschaftern zusammengearbeitet hat. Die deutsche Justiz ist zuständig, weil sowohl der angezeigte Tasselkraut, als auch einer der Ermordeten, Esteban Reimer, deutsche Staatsbürger sind. "Es geht uns darum zu zeigen, dass es sich bei den Tätern während der Militärdiktatur nicht um durchgeknallte Sadisten handelte, sondern dass sie ein klares politökonomisches Projekt verfolgten", erklärt Kaleck die Anzeige.
Tatsächlich war der Terror während der Diktatur nicht willkürlich, sondern zielgerichtet. Der damalige Arbeitsminister, General Horacio Tomas Liendo, brachte dies auf den Punkt, als er sagte, die Streitkräfte hätten alle Mittel aufgeboten, um die "Vernichtung des Feindes" in den Industriebetrieben "zu gewährleisten". Die Junta formulierte dies im Geheimerlass 504/77 folgendermaßen: "Das Heer wird in Bestimmung mit den für diesen Bereich zuständigen staatlichen Organen gezielt auf Industrieunternehmen und Staatsbetriebe einwirken, um Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu neutralisieren, die durch die Subversion provoziert wurden oder durch sie ausgenutzt werden könnten; auf diese Weise werden aufrührerische Agitation und Aktionen der Massen verhindert und zum effizienten Funktionieren des Produktionsapparats des Landes beigetragen."
Wie Mercedes seinen Produktionsapparat flott machte, zeigt das Vorgehen von Werksleitung und Militär im Werk González Catán beispielhaft. Dort war - wie in vielen Industriebetrieben Argentiniens - in den Jahren vor dem Putsch vom 24.März 1976 eine aktive und kämpferische unabhängige Gewerkschaftsorganisation aufgebaut worden. Die Geschäftsleitung sah sich gezwungen, auf Forderungen der Arbeiter einzugehen. Als sie wenige Wochen vor der Machtübernahme durch das Militär 118 Gewerkschaftsaktivisten kündigte, trat die Belegschaft in den Streik. 24 Tage später musste Mercedes die Kündigungen zurücknehmen, nicht zuletzt deshalb, weil während des Streiks der aus Deutschland entsandte Manager Heinrich Mentz von der Guerillagruppe Montoneros gekidnappt worden war. Letztere verlangte für die Freilassung von Mentz die Wiedereinstellung der Entlassenen, ein saftiges Lösegeld und eine "Entschuldigung" für die arbeiterfeindliche Politik des Unternehmens.
Um genau diese Zustände zu beenden, trat das Militär an. Nach dem Putsch wurden alle Streiks als "terroristisch" bezeichnet und verboten. Es folgte eine Repressionswelle gegen Gewerkschafter. In González Catán begann sie in der Nacht auf den 5.Januar 1977. Wie María Luján Reimer, die Witwe des verschwundenen Esteban Reimer, berichtet, war ihr Mann mit seinem Kollegen Hugo Ventura am Vortag in die Zentrale von Mercedes in Buenos Aires zitiert worden. Dort verhandelten die Gewerkschafter über einen Forderungskatalog. Später kehrte Reimer nach Hause zurück. In der Nacht tauchte ein Kommando von neun bewaffneten Männern auf, die sich als Angehörige des 1.Heereskommandos ausgaben. Sie verhafteten Reimer. Auch Hugo Ventura wurde in derselben Nacht verhaftet. Ähnlich erging es weiteren Gewerkschaftsaktivisten, die in den folgenden Tagen von zu Hause abgeholt oder vor bzw. im Mercedeswerk verhaftet wurden.
Nun spricht nicht allein das offensichtliche politische Interesse der Werksleitung an den Verhaftungen für die Annahme, dass sie Hand in Hand mit den Militärs vorging. Die von Gabriele Weber gesammelten Zeugenaussagen belasten Juan Tasselkraut auch konkret. So hat er bspw. nach Aussage von Juan Ratto, einem ebenfalls entführten Gewerkschafter, der als einziger später wieder freigelassen wurde, erlaubt, dass sich Polizisten in Zivil auf dem Werksgelände bewegen konnten. Ratto schildert außerdem, dass Tasselkraut in seinem Beisein den Polizisten in Zivil die Adresse des Gewerkschafters Diego Núñez nannte. Dieser wurde in der folgenden Nacht verhaftet und in das Folterzentrum Campo de Mayo verschleppt, wo er ermordet wurde.
Hector Ratto führt seine spätere Freilassung lediglich auf die Umstände seiner Festnahme zurück, und auch die belasten Tasselkraut erheblich. Ratto erzählt, dass Polizisten ihn vor dem Werkstor verhaften wollten, um einen Aufruhr in der Fabrik zu vermeiden. Doch es kam zu einer Verwechslung. Anstelle von ihm nahmen die Polizisten Juan José Ratto fest, einen Kollegen mit demselben Nachnamen. Bevor sie den Irrtum bemerkten, hatte Hector Ratto die Fabrik aber schon betreten. Dort sei ihm dann am Nachmittag vom werkseigenen Sicherheitsdienst mitgeteilt worden, dass seine Frau angerufen und ihm mitgeteilt habe, zu Hause sei ein Unfall passiert. Die Personalabteilung erteilte ihm daraufhin die Erlaubnis, das Werksgelände zu verlassen, ohne dass er darum gebeten hatte. "Das war eine Falle. Die Nacht vorher war der Kollege Del Conte verschleppt worden, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Jetzt war ich an der Reihe", sagte Ratto im Interview mit Frau Weber. Ratto weigerte sich, das Werk zu verlassen. Daraufhin bat ihn Juan Tasselkraut in sein Büro, wo zwei Polizisten in Zivil auf ihn warteten. Am Abend kamen Lastwagen des Heeres und nahmen ihn mit.
Bei einem Prozess 1985 wurden Rattos Aussagen für die Verurteilung von Militärs herangezogen. Die Urteilsbegründung dokumentierte damals seinen Fall und den des ermordeten Diego Núñez. Die Richter hielten Rattos Aussagen für glaubwürdig. Es wird Tasselkraut nun schwer fallen sie zu entkräften, auch wenn er im Frühjahr in einem Interview zu Rattos Anschuldigungen meinte: "Der junge Mann liegt absolut schief."
María Ester Ventura, die Schwester des verschwundenen Hugo Ventura, berichtet, Mercedes habe den Familien der acht verschwundenen Gewerkschaftern etwa zehn Jahre lang das Gehalt weitergezahlt, ohne jemals einen Grund dafür zu nennen. Sie sieht darin ein Schuldeingeständnis des Unternehmens. Tasselkraut widerspricht auch dieser Interpretation und meint: "Wir als Unternehmen wollten uns wirklich als ein menschliches Beispiel darstellen."
Juan Tasselkraut ist heute Chef der Transporterproduktion von Mercedes in Buenos Aires. Er streitet die Vorwürfe kategorisch ab. Die "Kritischen Aktionäre" von DaimlerChrysler fordern dagegen seine "sofortige Beurlaubung". In einer Presseerklärung haben sie sich außerdem an den Vorstand des DaimlerChrysler-Konzerns gewandt und ihn aufgefordert, die Staatsanwaltschaft bei der "lückenlosen Aufklärung der zum Himmel schreienden Vorgänge" zu unterstützen. Davon ist allerdings noch nichts zu merken. Die Pressestelle von DaimlerChrysler in Stuttgart gibt sich zugeknöpft. Dort will man von den Anschuldigungen nichts erfahren haben, man könne sich daher nicht dazu äußern. Das könnte sich ändern, wenn es zum Prozess kommt. Ob dieser überhaupt eröffnet wird, das hat die Staatsanwaltschaft aber noch nicht entschieden.
Definitiv entschieden ist allerdings, dass es heute in Argentinien keine Alternative zum Neoliberalismus gibt. Bei den Wahlen am 24.Oktober stehen sich mit Fernando de la Rúa und Eduardo Duhalde zwei Kandidaten gegenüber, die sich dadurch auszeichnen, dass sich ihre Wirtschaftsprogramme kaum voneinander unterscheiden. Eine einflussreiche linke Gewerkschaftsbewegung existiert nicht mehr.
Boris Kanzleiter
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