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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 14.10.1999, Seite 6

‘Letzte kämpferische Bastion‘ im Revier

Interview mit Norbert Bömer (BR, Hoesch Spundwand)

Bei Thyssen-Krupp steht ein größerer Konzernumbau vor der Tür. Aber schon seit Frühsommer geht eine Belegschaft dagegen vor: Die KollegInnen der Hoesch Spundwand und Profil GmbH in Dortmund kämpfen für ihre Arbeitsplätze. Mit Demonstrationen, ausgedehnten Belegschaftsversammlungen, Mobilisierung von Presse und Politik in Dortmund und intensiven Kontakten zu den Belegschaften übernahmewilliger Konzerne haben sie den Ruf einer kämpferischen Belegschaft gefestigt, die sich nicht so einfach verkaufen und dann stilllegen lassen will. Mit dem Betriebsratsvorsitzenden von HSP, Norbert Bömer, sprach Anfang Oktober Rolf Euler für die SoZ.

Wie haben sich die Dinge im Betrieb nach den Ferien entwickelt, nachdem eine Zeit lang keine spektakulären Aktionen gemacht wurden?
Norbert Bömer: Die Entscheidungen im Konzern laufen langsamer als wir dachten. Es gibt immer noch mehrere Kaufinteressenten, aber zwei schälen sich als Favoriten heraus. Das sind Arbed und Salzgitter. Wir machen weiter Aktionen beim Besuch der jeweiligen Delegationen, die den Betrieb besichtigen. Wir wollen auch den Druck aufrechterhalten, da noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist. Inzwischen stellt sich für uns der mögliche Verkauf an Arbed als "schlimmster Fall" dar, da sie einen Konkurrenten vom Markt wegkaufen würden, mit der Folge einer ziemlich baldigen Stilllegung.
Bei Salzgitter sehen wir das anders. Sie würden den Betrieb in ihrer Konzernstrategie zur Verbesserung ihrer Lage am Markt benötigen, und wir könnten mit den nötigen Investitionen rechnen. Deswegen hat sich die Meinung der Belegschaft dahin entwickelt, dass wir den Verkauf an Salzgitter bevorzugen. Aber noch ist nichts entschieden.
Steht die Belegschaft nach wie vor geschlossen zu den Forderungen und welche Aktionen habt ihr in der letzten Zeit gegen den Konzern gemacht?
Ja, es bleibt dabei, wir kämpfen um den Erhalt der Arbeitsplätze. Thyssen will unbedingt verkaufen, trotz unseres bisherigen Drucks werden keine Investitionen gemacht. Sie setzen auf einen Käufer, der das machen soll. Das wiederum senkt natürlich den Kaufpreis. Deswegen auch der Stimmungsumschwung in der Belegschaft zugunsten eines Kaufs durch Salzgitter. Wir machen weiter Druck in der Öffentlichkeit und auch intern, z.B. bei den Mitbestimmungsorganen. Wir machen weiterhin unsere außerordentliche Belegschaftsversammlung, die erreicht inzwischen teilweise eine Dauer von 60 Stunden. Wir haben neulich die Abfahrt eines Vorstandsmitglieds verhindert, der uns keine Informationen geben wollte. Die Kollegen blockierten das Auto auf dem Hof, und nach einiger Zeit bequemte er sich zu einer einstündigen Diskussion. Wir haben auch die Zeit vor den Kommunalwahlen für zahlreiche Informationen der Politiker benutzt.
Wie reagiert der Konzern auf eure andauernde Kampfbereitschaft?
Wir fahren im Moment zweigleisig, also nicht nur öffentliche Aktionen, sondern auch interne Gespräche mit Vorstand und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Unsere Risikoanalyse über den Kauf durch Arbed wurde akzeptiert, unsere Meinung über Salzgitter teilt man dort auch. Selbst der Thyssen-Krupp-Vorstandsvorsitzende Schulz stimmt uns da zu. Die letzte Aufsichtsratssitzung verlief auch mal ohne Aktionen. Die Verkaufsverhandlungen laufen weiter, sie pokern um den Verkaufspreis, um die Arbeitsplätze. Deswegen gibt es keine Entwarnung für die Belegschaft, und wir arbeiten, dass der öffentliche Druck bleibt. Unsere Aktionen haben was gebracht, es gibt zwar noch keine Entscheidung, aber im Oktober werden wohl die Würfel fallen.
Erwartet ihr eine weitere Zerschlagung der Stahlseite bei Thyssen und was ergibt sich daraus für die Restbetriebe in Dortmund?
Es ist ziemlich sicher, dass bald im gesamten Konzern das "große Rad gedreht" wird, d.h. dass Pläne für den gesamten Stahlbereich gemacht werden, vom Gang an die Börse bis hin zur Zerlegung oder Verkauf. Zur Zeit ist der Vorstand auf dem Weltstahlkongress in Mexiko, da wird vielleicht schon hinter den Kulissen geredet und verhandelt. Wir erwarten, dass schon Mitte Oktober gerechnete Varianten dem Vorstand vorliegen, für Dezember werden Entscheidungen im Aufsichtsrat erwartet.
Wir hoffen, dass dann für HSP die Dinge entschieden sind, denn wenn der gesamte Stahlbereich zur Debatte steht, gehen wir darin unter. Unsere Aktionen sollten ja gerade eine Entscheidung für die Arbeitsplätze beschleunigen. Vielleicht wollen sie uns ja auch "vom Hof" haben, um Ruhe für die anderen Maßnahmen zu bekommen.
Aber da auch der Verkauf des gesamten Stahls an Arbed eine Variante sein könnte, sind wir sehr wachsam. Man muss sehen, dass Dr. Hendricks und der Vorstand Thyssen Krupp Steel unter starkem Druck des Konzerns und Crommes stehen. Unter Druck des shareholder value wollen sie eventuell die Stahlseite ganz loswerden, da dort keine kurzfristige Rendite zu erwarten ist wegen der langfristigen Investitionen. Der Trend geht bei den Geldgebern weg zum kurzfristigen Engagement. Vielleicht geht die Stahlseite selbst an die Börse. Oder sie kaufen sich auf dem amerikanischen Markt ein, um dort was zu erreichen.
Ist es inzwischen gelungen, weitere betroffene Betriebe in solidarische Aktionen mit einzubeziehen? Zum Beispiel die Kokerei Kaiserstuhl, die ja den Gas- und Wärmeverbund mit der bedrohten Westfalenhütte hat?
Im Konzernbetriebsrat beginnt gerade die Diskussion, es gibt keine Aktionen konzernweit, weil sich noch niemand richtig hervortraut, und bei den Betrieben und BR-Vorsitzenden gäbe es Gewinner und Verlierer, so dass wir da keine großen Hoffnungen auf Unterstützung im Moment haben.
Auf unsere Aufforderungen hin tut sich nichts, die Bündnispartner bleiben ohne Antwort. Vor allem für Dortmund drohen ja weitere immense Verluste. Rasselstein droht die Stilllegung, sie sind jetzt schon von 590 auf 360 Beschäftigte runter. Der Warmbreitbandstraße droht im September 2000 das Aus, für das Stahlwerk Hörde und den letzten Hochofen Westfalenhütte spätestens im Jahr 2001, und die Folgen für die Kokerei Kaiserstuhl und eine weitere Zeche sind auszurechnen, obwohl auch da gepokert wird.
Der Konzern läßt einige Betriebe richtig "verhungern". Verkaufen steht auf der Tagesordnung, aber wir haben bisher rechts und links kaum Betroffenheit gefunden. Das könnte sich ja vielleicht ändern, wenn Großfusionen anstehen, weil dann viele Standorte betroffen sind, und dann europaweit die Standorte gegeneinander ausgespielt werden.
Welche Auswirkungen hatten die Kommunalwahlen und das Ergebnis auf euren Kampf gehabt?
Während des Wahlkampf konnten wir schon auf die Landesregierung Druck machen, dass sie überhaupt unser Anliegen, die Möglichkeiten und unsere Haltung dazu verstanden. Wir haben Wirtschaftsminister Steinbrück besucht, Zusagen für die Belegschaftsversammlung erhalten. Durch die Aktionen ist das Wichtigste für den Erhalt der 650 Arbeitsplätze getan worden, sie waren nicht nur am Ort Gesprächsstoff, und wir haben Gehör gefunden, sie mussten sich zu unserer Sache bekennen.
Viele glauben, ihr seid die "letzte kämpferische Bastion" im Revier. Wie geht ihr damit um?
Wir sind bestimmt nicht die "letzte", aber wir waren natürlich von der Belegschaft her in einer guten Ausgangsposition. Die politische Erfahrung einiger Aktivisten ist sicher auch wichtig, die Erfahrungen von Rheinhausen im Hintergrund. Entscheidend ist: wir haben uns auf uns selbst verlassen.
Die Belegschaft drängelt uns, den Betriebsrat, und zeigt große Bereitschaft zu Aktionen. Unsere Anliegen werden nicht an den Konzernbetriebsrat oder andere Mitbestimmungsträger abgegeben. Wenn wir mit diesen Stellen oder dem Vorstand verhandeln, schaut die Belegschaft uns auf die Finger. Wir wissen, dass wir den Konzern aus einem Betrieb mit 0,3% des Umsatzes und der Belegschaft nicht ökonomisch in die Knie zwingen können.
Wir haben auch nicht die Erwartung, dass die IG Metall für uns etwas herausreißen kann. Sie können andere Betriebe und Kollegen auch nicht besser für unsere Sache sensibilisieren als wir selber. Die IG Metall leistet für uns das, was nötig ist an sachlicher Unterstützung, aber wir machen keine Stellvertreterpolitik.
Wir haben unsere Kräfte noch nicht verpulvert, wir haben noch die Möglichkeit nachzulegen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die lange Zeit der Verhandlungen auch an den Nerven der Belegschaft zerrt. Aber die Belegschaft wird ernst genommen, und solange wir eine Perspektive haben, ist es wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten, damit sich nicht einzelne aus der Belegschaft resignierend abwenden.

Die Belegschaft ist erreichbar über: Hoesch Spundwand und Profil GmbH, Betriebsrat, Alte Radstr.27, 44147 Dortmund, Fon (0231) 158-6187.

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