Sozialistische Zeitung |
Wie haben sich die Dinge im Betrieb nach den Ferien entwickelt, nachdem eine Zeit lang keine spektakulären Aktionen
gemacht wurden?
Norbert Bömer: Die Entscheidungen im Konzern laufen
langsamer als wir dachten. Es gibt immer noch mehrere Kaufinteressenten, aber zwei schälen sich als Favoriten heraus. Das sind Arbed
und Salzgitter. Wir machen weiter Aktionen beim Besuch der jeweiligen Delegationen, die den Betrieb besichtigen. Wir wollen auch den Druck
aufrechterhalten, da noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist. Inzwischen stellt sich für uns der mögliche Verkauf an
Arbed als "schlimmster Fall" dar, da sie einen Konkurrenten vom Markt wegkaufen würden, mit der Folge einer ziemlich
baldigen Stilllegung.
Bei Salzgitter sehen wir das anders. Sie würden den Betrieb in ihrer
Konzernstrategie zur Verbesserung ihrer Lage am Markt benötigen, und wir könnten mit den nötigen Investitionen rechnen.
Deswegen hat sich die Meinung der Belegschaft dahin entwickelt, dass wir den Verkauf an Salzgitter bevorzugen. Aber noch ist nichts
entschieden.
Steht die Belegschaft nach wie vor geschlossen zu den Forderungen
und welche Aktionen habt ihr in der letzten Zeit gegen den Konzern gemacht?
Ja, es bleibt dabei, wir kämpfen um den Erhalt der Arbeitsplätze. Thyssen will unbedingt verkaufen, trotz unseres bisherigen
Drucks werden keine Investitionen gemacht. Sie setzen auf einen Käufer, der das machen soll. Das wiederum senkt natürlich den
Kaufpreis. Deswegen auch der Stimmungsumschwung in der Belegschaft zugunsten eines Kaufs durch Salzgitter. Wir machen weiter Druck in
der Öffentlichkeit und auch intern, z.B. bei den Mitbestimmungsorganen. Wir machen weiterhin unsere außerordentliche
Belegschaftsversammlung, die erreicht inzwischen teilweise eine Dauer von 60 Stunden. Wir haben neulich die Abfahrt eines
Vorstandsmitglieds verhindert, der uns keine Informationen geben wollte. Die Kollegen blockierten das Auto auf dem Hof, und nach einiger
Zeit bequemte er sich zu einer einstündigen Diskussion. Wir haben auch die Zeit vor den Kommunalwahlen für zahlreiche
Informationen der Politiker benutzt.
Wie reagiert der Konzern auf eure andauernde
Kampfbereitschaft?
Wir fahren im Moment zweigleisig, also nicht nur öffentliche Aktionen, sondern auch interne Gespräche mit Vorstand und den
Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Unsere Risikoanalyse über den Kauf durch Arbed wurde akzeptiert, unsere Meinung über
Salzgitter teilt man dort auch. Selbst der Thyssen-Krupp-Vorstandsvorsitzende Schulz stimmt uns da zu. Die letzte Aufsichtsratssitzung verlief
auch mal ohne Aktionen. Die Verkaufsverhandlungen laufen weiter, sie pokern um den Verkaufspreis, um die Arbeitsplätze. Deswegen
gibt es keine Entwarnung für die Belegschaft, und wir arbeiten, dass der öffentliche Druck bleibt. Unsere Aktionen haben was
gebracht, es gibt zwar noch keine Entscheidung, aber im Oktober werden wohl die Würfel fallen.
Erwartet ihr eine weitere Zerschlagung der Stahlseite bei Thyssen
und was ergibt sich daraus für die Restbetriebe in Dortmund?
Es ist ziemlich sicher, dass bald im gesamten Konzern das "große Rad gedreht" wird, d.h. dass Pläne für
den gesamten Stahlbereich gemacht werden, vom Gang an die Börse bis hin zur Zerlegung oder Verkauf. Zur Zeit ist der Vorstand auf
dem Weltstahlkongress in Mexiko, da wird vielleicht schon hinter den Kulissen geredet und verhandelt. Wir erwarten, dass schon Mitte
Oktober gerechnete Varianten dem Vorstand vorliegen, für Dezember werden Entscheidungen im Aufsichtsrat erwartet.
Wir hoffen, dass dann für HSP die Dinge entschieden sind, denn
wenn der gesamte Stahlbereich zur Debatte steht, gehen wir darin unter. Unsere Aktionen sollten ja gerade eine Entscheidung für die
Arbeitsplätze beschleunigen. Vielleicht wollen sie uns ja auch "vom Hof" haben, um Ruhe für die anderen
Maßnahmen zu bekommen.
Aber da auch der Verkauf des gesamten Stahls an Arbed eine Variante sein
könnte, sind wir sehr wachsam. Man muss sehen, dass Dr. Hendricks und der Vorstand Thyssen Krupp Steel unter starkem Druck des
Konzerns und Crommes stehen. Unter Druck des shareholder value wollen sie eventuell die Stahlseite ganz loswerden, da dort keine
kurzfristige Rendite zu erwarten ist wegen der langfristigen Investitionen. Der Trend geht bei den Geldgebern weg zum kurzfristigen
Engagement. Vielleicht geht die Stahlseite selbst an die Börse. Oder sie kaufen sich auf dem amerikanischen Markt ein, um dort was zu
erreichen.
Ist es inzwischen gelungen, weitere betroffene Betriebe in
solidarische Aktionen mit einzubeziehen? Zum Beispiel die Kokerei Kaiserstuhl, die ja den Gas- und Wärmeverbund mit der
bedrohten Westfalenhütte hat?
Im Konzernbetriebsrat beginnt gerade die Diskussion, es gibt keine Aktionen konzernweit, weil sich noch niemand richtig hervortraut, und
bei den Betrieben und BR-Vorsitzenden gäbe es Gewinner und Verlierer, so dass wir da keine großen Hoffnungen auf
Unterstützung im Moment haben.
Auf unsere Aufforderungen hin tut sich nichts, die Bündnispartner
bleiben ohne Antwort. Vor allem für Dortmund drohen ja weitere immense Verluste. Rasselstein droht die Stilllegung, sie sind jetzt schon
von 590 auf 360 Beschäftigte runter. Der Warmbreitbandstraße droht im September 2000 das Aus, für das Stahlwerk
Hörde und den letzten Hochofen Westfalenhütte spätestens im Jahr 2001, und die Folgen für die Kokerei Kaiserstuhl
und eine weitere Zeche sind auszurechnen, obwohl auch da gepokert wird.
Der Konzern läßt einige Betriebe richtig
"verhungern". Verkaufen steht auf der Tagesordnung, aber wir haben bisher rechts und links kaum Betroffenheit gefunden. Das
könnte sich ja vielleicht ändern, wenn Großfusionen anstehen, weil dann viele Standorte betroffen sind, und dann europaweit
die Standorte gegeneinander ausgespielt werden.
Welche Auswirkungen hatten die Kommunalwahlen und das Ergebnis
auf euren Kampf gehabt?
Während des Wahlkampf konnten wir schon auf die Landesregierung Druck machen, dass sie überhaupt unser Anliegen, die
Möglichkeiten und unsere Haltung dazu verstanden. Wir haben Wirtschaftsminister Steinbrück besucht, Zusagen für die
Belegschaftsversammlung erhalten. Durch die Aktionen ist das Wichtigste für den Erhalt der 650 Arbeitsplätze getan worden, sie
waren nicht nur am Ort Gesprächsstoff, und wir haben Gehör gefunden, sie mussten sich zu unserer Sache bekennen.
Viele glauben, ihr seid die "letzte kämpferische
Bastion" im Revier. Wie geht ihr damit um?
Wir sind bestimmt nicht die "letzte", aber wir waren natürlich von der Belegschaft her in einer guten Ausgangsposition.
Die politische Erfahrung einiger Aktivisten ist sicher auch wichtig, die Erfahrungen von Rheinhausen im Hintergrund. Entscheidend ist: wir
haben uns auf uns selbst verlassen.
Die Belegschaft drängelt uns, den Betriebsrat, und zeigt große
Bereitschaft zu Aktionen. Unsere Anliegen werden nicht an den Konzernbetriebsrat oder andere Mitbestimmungsträger abgegeben. Wenn
wir mit diesen Stellen oder dem Vorstand verhandeln, schaut die Belegschaft uns auf die Finger. Wir wissen, dass wir den Konzern aus einem
Betrieb mit 0,3% des Umsatzes und der Belegschaft nicht ökonomisch in die Knie zwingen können.
Wir haben auch nicht die Erwartung, dass die IG Metall für uns
etwas herausreißen kann. Sie können andere Betriebe und Kollegen auch nicht besser für unsere Sache sensibilisieren als wir
selber. Die IG Metall leistet für uns das, was nötig ist an sachlicher Unterstützung, aber wir machen keine
Stellvertreterpolitik.
Wir haben unsere Kräfte noch nicht verpulvert, wir haben noch die
Möglichkeit nachzulegen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die lange Zeit der Verhandlungen auch an den Nerven der Belegschaft
zerrt. Aber die Belegschaft wird ernst genommen, und solange wir eine Perspektive haben, ist es wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten, damit
sich nicht einzelne aus der Belegschaft resignierend abwenden.