Sozialistische Zeitung |
Der Europäischen Kommission geht der Abbau der sozialen Systeme in Europa nicht schnell genug. In
ihren am 10.9. veröffentlichten "Empfehlungen zur Durchführung der Beschäftigungspolitik" sieht sie in den
bestehenden Sozialsystemen vieler EU-Mitgliedsländer eine wesentliche Ursache für die anhaltende Massenerwerbslosigkeit in
Europa. Zwar konstatiert die Kommission einen Zuwachs bei der Anzahl der Beschäftigten in Europa von 1,8 Millionen in der Zeit von
1997 bis 1998, doch liege die Erwerbstätigenquote mit 61% immer noch weit hinter den USA und Japan zurück.
Besonderes Augenmerk schenken die Kommissare in ihrem jüngsten
Bericht der Altersgruppe zwischen 50 und 64. Dort schneide die EU im internationalen Vergleich noch schlechter ab: Während in der EU
weniger als die Hälfte der Menschen dieser Altersgruppe erwerbstätig sei, kämen die USA und Japan auf weit über
60%.
Als wichtigsten Grund für die niedrigen Quoten in Europa sieht die
EU-Superbehörde großzügige "Anreize für einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand" an. Sie will
künftig Unternehmer, Gewerkschaften und Regierungen in die Pflicht nehmen, diesen Zustand zu ändern.
"Vorruhestandsregelungen, wie auch andere sozialpolitische
Maßnahmen, durch die ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bewirkt wird, z.B. Sonderregelungen für Menschen mit
Behinderungen, stellen nicht nur eine erhebliche Belastung für die Sozialhaushalte dar, sondern langfristig gesehen auch eine Bedrohung
für die Zukunftsfähigkeit der Rentensysteme", heißt es im Kommissionsbericht, der dem Europäischen Rat auf
seinem nächsten Treffen in Helsinki vorgelegt wird. Die Kommission empfiehlt deshalb eine Heraufsetzung des Mindestalters für
den Bezug von Altersrente oder Vorruhestandsgeld.
Die nach wie vor hohe Jugendarbeitslosigkeit ist der Kommission ebenfalls
ein Dorn im Auge. Immerhin hätten bis auf Griechenland, Luxemburg und Italien alle Mitgliedstaaten Maßnahmen ergriffen.
Vorbildlich seien die britischen Bemühungen. Dort zwingt die Blair-Regierung Jugendliche mit ihren workfare-Programmen in
Billiglohnjobs. Nehmen sie die nicht an, droht ihnen der Entzug der Sozialleistungen.
Auch der Anteil der Frauen am Erwerbsleben ist der Kommission im
internationalen Vergleich zu niedrig. Sie mahnt zwar einerseits eine bessere Infrastruktur für Kinderbetreuung und "verschiedene
Initiativen zur Unterstützung alleinerziehender Eltern, die eine Beschäftigung aufnehmen" an, sagt jedoch nicht, wie dies
finanziert werden soll, ohne den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätspakt zu widersprechen. Ausgerechnet die in ihrer Mehrzahl
überschuldeten Kreise und Städte sollen mit "kommunalen Steuerzuschüssen" in die Bresche springen.
Die Kommission regt an, die "gemeinsame steuerliche Veranlagung
eines Ehepaars" zu individualisieren. Erwerbstätige Ehefrauen sollen nicht mehr über ihren Partner versichert sein, sondern
die sozialen Risiken selber tragen. Dadurch entstehe für den "nichterwerbstätigen Partner der Anreiz, eine
Beschäftigung aufzunehmen".
In den beschäftigungspolitischen Leitlinien behandelt die
Kommission auch steuerpolitische Fragen. Steuerreformen sollen "Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeit [sprich: der Unternehmer]
senken". Gleichzeitig votiert sie für eine Erhöhung der Energie- und Verbrauchsteuern, die vor allem Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen trifft.
Von der Bundesrepublik fordert die Kommission weitere
"Maßnahmen zur Verhütung der Langzeitarbeitslosigkeit" - vor allem in den neuen Bundesländern - und eine
"Strategie zur Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials im Dienstleistungssektor". Hauptsächlich aber soll sie
"nach geeigneten Möglichkeiten suchen, die verhindern, dass ältere Arbeitnehmer vorzeitig den Arbeitsmarkt
verlassen".
Gerhard Klas
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